Frag nicht, was Du für die KI tun kannst. Frag, was die KI für dich tun kann!
Linke Utopien Was KI kann, entscheidet derzeit das libertär-reaktionäre Silicon Valley, doch es gäbe linke Gegenstrategien. Die entscheidende Frage ist: Wer kann sich die Produktivitätsgewinne aneignen, die Beschäftigten oder die Bosse?
Montage: der Freitag; Material: iStock, Getty Images
Jede linke Strategie in puncto Künstliche Intelligenz steht vor der Sisyphosarbeit, sich dem Hype zu widersetzen. Denn derzeit wird die technologische Zukunft leider im Silicon Valley erdacht. Die Pflicht linker Technopolitik ist daher eine doppelte: ständig prüfen, wo diese dominanten Tech-Visionen vom Naiven ins Bösartige umschlagen. Und gleichzeitig eine alternative Vision für die Technologie vorlegen, die um ihre eigenen Möglichkeiten und Mängel weiß und sich trotzdem Radikalität erlaubt.
Denn einerseits sind die kalifornischen Traumbilder meist eine eher abgestandene Ästhetik von Zukunft, schamlos abgepaust aus eigentlich als Warnung entworfenen Science-Fiction-Romanen aus der nerdigen Jugend von Tech-Baronen wie Mark Zuckerberg, Peter
rg, Peter Thiel, Sam Altman, Elon Musk oder Bill Gates. Andererseits durchzieht sie ein menschenfeindlicher Strang: eine reaktionäre Maschinenphilosophie, die technologische Entwicklung um jeden Preis beschleunigen möchte. Autonome Systeme werden herbeigesehnt, um Arbeiter:innen und ihre lästigen Ansprüche loszuwerden. Künstliche Intelligenz gerät zum Schlüssel für eine hyperkapitalistische Zukunft voll steiler Hierarchien, in der Dinge zunehmend menschenähnlich agieren, während Menschen wie Dinge behandelt werden.Fast alles, was linke KI-Strategien brauchen, um sich dem zu widersetzen, schwirrt spätestens seit 2016 als Meme durchs Internet. Die Rede ist vom Fully Automated Gay Space Luxury Communism. Der ist utopisches Traumbild und halb ironische Forderung gleichzeitig. An ihm lässt sich erzählen, was KI für linke Politik sein kann und was nicht.Voll-Automatisierung: Was ist damit gemeint?Wenn es um (Voll-)Automatisierung geht, spielt sich linke Technopolitik zwischen zwei Extremen ab: den Minimalisten („Das passiert gar nicht wirklich!“) und den Maximalisten („Das passiert wirklich, und zwar nicht schnell genug!“).Die Minimalisten sehen Vollautomatisierung mit Recht als einen kapitalistischen Fetisch. Für sie handelt es sich um einen Scheinriesen, der sich am Horizont auftürmt, doch immer kleiner wird, je mehr man sich ihm nähert. In den vergangenen Monaten häufen sich die Beispiele: Amazons „vollautomatische“ Supermärkte ohne Kasse brauchten für 70 Prozent aller Einkäufe die manuelle Hilfe von rund 1.000 Arbeiter:innen in Indien, die Käufer:innen über Kameras beobachteten. Die „selbstfahrenden“ Taxis des kalifornischen Start-ups Cruise brauchen alle sechs bis acht Kilometer menschliche Hilfe, und die angeblich „eigenständig lernenden“ KIs von OpenAI, Meta und Co. beruhen auf der Arbeit schlecht bezahlter Clickworker in Ländern wie Kenia, die die KI trainieren und moderieren (der Freitag 16/2023).Vollautomatisierung, so die Minimalisten, ist nichts weiter als eine leere Drohung, die Arbeiter:innen davon abhalten soll, faire Löhne zu verlangen. Man zieht den Vorhang ein Stück zurück, und der Zauberer von Oz ist nur ein alter Mann; noch ein Stück weiter, und die KI ist nur ein Haufen allzu menschlicher Arbeiter:innen. Was bei dieser Position zum Problem wird, ist der Protest all jener, die ihre Jobs tatsächlich an Maschinen verlieren oder deren Handwerk von Maschinen entprofessionalisiert und deren Löhne gesenkt werden.Die Maximalisten erkennen das an und preschen vor. „Verlangt Vollautomatisierung!“, verkünden Nick Srnicek und Alex Williams schon 2015 in Inventing the Future. Und fordern, den Menschen durch Maschinen von Arbeit zu befreien. Einige wollen die nun arbeitslose Bevölkerung mit einem bedingungslosen Grundeinkommen ausstatten, finanziert durch eine Maschinensteuer auf KI (lesen Sie das Interview hier), andere erträumen sich einen kapitalistischen Weg in den Postkapitalismus.Die jeweiligen Varianten sind anschlussfähig, von Sozialdemokraten bis zu waschechten Antikapitalisten. Sie alle weisen jedoch Leerstellen auf. Die gemäßigte Variante läuft Gefahr, auch das letzte bisschen Mitspracherecht bezüglich der Produktionsmittel an die Kapitalist:innen abzutreten und die BGE-bestückten Arbeiter:innen zu einem Schicksal als nutzlose Klasse zu verdammen. Die radikale Variante hingegen ist zu zuversichtlich, dass das Ergebnis ihrer Anstrengungen der Mensch ohne Kapitalismus und nicht der Kapitalismus ohne Menschen ist. Doch dazu später mehr.KI-Kommunismus ist „Gay“Warum ist Gay hier wichtig? Weil autonome KI-Systeme häufig inhärent konservative Technologien sind. Sie enthalten algorithmische Vorurteile, die gesellschaftliche Machtverhältnisse reproduzieren, zuungunsten von queeren Personen, Frauen oder People of Color. Gesichtserkennung? Funktioniert am besten für weiße Menschen. Wer eine KI nach Bildern von „Führungskräften“ fragt, bekommt nur Fotos von Männern serviert. Angewandte KI-Kritik muss diesen technologischen Konservatismus aufspüren und stellen.Auf in den Space!Ein Space-Kommunismus soll es sein, das klingt arg nach Science-Fiction. Aber: Die „Grenze, die gesellschaftliche Realität von Science Fiction trennt, ist eine optische Täuschung“, schrieb die Biologin und Philosophin Donna Haraway 1985 in Ein Manifest für Cyborgs, einem der klügsten Texte des 20. Jahrhunderts über bestehende und noch kommende Hochtechnologien. Science-Fiction als Genre hilft, die Gegenwart zu verstehen und die Zukunft zu konstruieren. Wer ins Silicon Valley blickt, bekommt das auf ernüchternde Weise bestätigt. Technologien aus Science-Fiction und Fantasy sind dort wichtige Stützen für die eingeschränkte Vorstellungskraft der Tech-Elite.So wird das Metaverse aus Neal Stephenson Dystopie (!) Snow Crash aus dem Jahr 1992 zum Businessplan und Namensgeber für Mark Zuckerbergs Unternehmen. Peter Thiel nennt seine Datenanalyse- und Überwachungs-KI Palantir Technologies, nach den Palantíri aus J. R. R. Tolkiens Herr der Ringe, Kristallkugeln, die mit ihrer Macht ihre Nutzer:innen korrumpieren. Und Wayne Gamlich und Patri Friedman wollen mit ihrem Seasteading Institute libertäre Rückzugsorte in Form schwimmender Städte konstruieren. Eine Idee, die Jules Vernes einst in Die Propellerinsel (1895) als Satire auf genau solche Politik entwarf.Dagegen müssten linke KI-Utopien ihre eigenen Sci-Fi-Anleihen richten. Wer suchet, der findet; Inspiration, Ideen und Mahnungen gibt es in den Texten von Ursula K. Le Guin, Octavia Butler, Stanisław Lem und anderen. Es braucht die nachhaltigen Utopien des Solarpunk-Genres, wo KI bei optimaler Energie- und Ressourcennutzung helfen kann, das aber auch Lowtech wie Fahrräder oder Züge (statt Flugtaxis) nicht unterschätzt. Und die warnenden Dystopien des Cyberpunk, wo kapitalistische Technologien Natur abschaffen und den Menschen vollends fremdbestimmen.Und woher kommt der Luxus für alle?Vielleicht am kontroversesten unter Linken, die über KI-Zukunft nachdenken, ist die Luxus-Komponente. Fans einer sogenannten Überflusswirtschaft entwerfen eine Zukunft, in der jeder alles haben kann, ermöglicht durch obskure Zukunftstechnologien, die auf FDPeske Weise vage bleiben (Gentechnik, Asteroidenbergbau). Meist beruht das auf einer oberflächlichen Lesart von Karl Marx, wonach der Kapitalismus sich schon irgendwie selbst abschaffen wird und wir seine beeindruckenden Technologien erben: ein antikapitalistisches Plädoyer für den Hyperkapitalismus.Wenn man mal davon absieht, dass eine Beschleunigung des Kapitalismus, bis sein Motor explodiert, größere Teile der Welt zugrunde richten würde: Es ist nicht klar, ob sich kapitalistisch entwickelte Technologien wie die real existierende KI überhaupt für eine postkapitalistische Gesellschaft eignen. Die Pfadabhängigkeiten sind real. Zum Beispiel konnten unsere heutigen Deep-Learning-Modelle nur entstehen, weil 25 Jahre Überwachungskapitalismus Unmengen an Daten abgesaugt und Berge von Text produziert haben, die für ihr Training nötig sind. Technologien sind stets Ausdruck der Gesellschaften, die sie hervorbringen.Wer beides, Technologie und Gesellschaft, zusammendenkt, ist Peter Frase. In seinem Buch Four Futures. Life After Capitalism entwarf er 2016 zwei Himmel und zwei Höllen, die zwei Fragen entwachsen: Knappheit oder Überfluss? Und Hierarchie oder Gleichberechtigung?Erreichen wir Gleichheit, knacken jedoch nicht unser Ressourcenproblem, erreichen wir laut Frase eine Spielart des Sozialismus: eine gerechte Aufteilung knapper Ressourcen. Erreichen wir Überfluss, erhalten aber unsere gegenwärtigen Hierarchien, ergibt das Rentismus, bei dem eine kleine Elite den Luxus der vollautomatischen Zukunft monopolisiert und die arbeitslose Restgesellschaft betteln muss. Noch schlimmer wird es, wenn nicht einmal Überfluss erreicht wird. Klimawandel und Ressourcenknappheit bei gleichzeitig hoher Ungleichheit führen uns in den Exterminismus, bei dem Reiche sich in vollautomatisierte Gated Communities zurückziehen, während vor den Toren die Leute verhungern. Frases letzte Zukunft, der Kommunismus, ist geprägt von Überfluss und Gleichberechtigung. Keine zwangsläufige Entwicklung, sondern eine mögliche Utopie.Wenn wir uns all dieser möglichen Zukünfte bewusst sind, wie setzen wir sie um? Nur eine Antwort ist möglich: kollektiv. Hollywoods Schauspieler:innen und Drehbuchautor:innen haben im vergangenen Jahr erkämpft, dass sie eben nicht durch eine KI ersetzt werden dürfen, deren Output sie dann nur noch verfeinern sollen. Hotelarbeiter:innen in Las Vegas haben durchgesetzt, dass sie für den Umgang mit KI geschult werden, dass Automatisierung geplant und angekündigt stattfindet und dass jeder Jobverlust mit Abfindungen abgefedert wird. Angestellte des Tech-Giganten Windows haben erstritten, dass sie zu zukünftigen Implementierungen von KI konsultiert werden. In Deutschland haben Arbeiter:innen der Telekom das Zugeständnis durchgesetzt, dass Algorithmen nicht ohne menschliche Zustimmung über Kündigungen entscheiden können. Zugleich wurde die algorithmische Überwachung von Angestellten eingeschränkt. Es sind erste kleine Siege in einer neuen Art von Auseinandersetzung darüber, wer sich die durch den Einsatz von KI entstehenden Produktivitätsgewinne aneignet und wem sie zugutekommen.Welches Ziel und welche Strategie angesichts dieser vielen Spielarten der KI die richtigen sind, wird sich nur in der Praxis zeigen. Nur im Umgang mit den neuen Technologien können Arbeiter:innen die Schwachstellen entdecken, an denen sie ansetzen können. Nur so können sie entscheiden, welche Technologien ihnen helfen und welche nicht. Welche Maschinen sie stürmen und welche sie nutzen sollten.Placeholder authorbio-1
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