Ein Ende mit Schrecken

Venezuela Die Wahlen in Venezuela verheißen weder Gutes für das Land, noch für den südamerikanischen Kontinent

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Hugo Chavez, Simon Bolivar und ein Mann auf dem Weg zur Wahlurne
Hugo Chavez, Simon Bolivar und ein Mann auf dem Weg zur Wahlurne

Bild: LUIS ROBAYO/AFP/Getty Images

„Wir dachten schon, wir müssten dieses Regime mit Gewalt stürzen.“ Es waren Worte von ausgewählter Dreistigkeit, mit denen gestern ein siegestrunkener Oppositioneller den Sieg der Anti-Chavisten für die Tagesschau kommentieren durfte. Die venezolanische Opposition, ein lächerliches Zweckbündnis aus gemäßigten Sozialdemokraten, Liberalen und Konservativen, hat in den letzten sechzehn Jahren kaum eine Gelegenheit ausgelassen, das sogenannte „Regime“ des Hugo Chavez und seines Nachfolgers Maduro mit aller Aggressivität zu sabotieren und scherte sich um die Spielregeln von Demokratie und Rechtstaatlichkeit dabei herzlich wenig. Wer sich ein Bild von der moralischen Integrität jener selbsternannten Widerstandskämpfer gegen den vermeintlichen Autoritarismus der Chavistas machen will, dem sei die bemerkenswerte Dokumentation „The Revolution will not be televised“ ans Herz gelegt. Hautnah war das Filmteam 2002 mit dabei, als die Regierung Chavez sich plötzlich mit einem sorgfältig orchestrierten Putschversuch konfrontiert sah, der am Ende nur um Haaresbreite scheiterte, nachdem sich die Verschwörer mitsamt ihrer Lakaien bereits häuslich im Präsidentenpalast eingerichtet hatten.

Bei genauerer Betrachtung der Umstände muss es fast wie ein Wunder erscheinen, dass die Bolivarische Revolution ganze sechzehn Jahre all dem massiven Druck standzuhalten wusste, dem sie durch die unheilige Allianz von einheimischem Kapital und US-Imperialismus gleich von Beginn an ausgesetzt war.

Dass die westlichen Medien auch hierzulande den Wahlsieg zum Beginn einer neuen, freiheitlichen Ära für Venezuela umdeklarieren ist betrüblich und war doch vorhersehbar. Betrüblich ist es, weil jene Kräfte, die nun das Heft in der Hand halten eben keine demokratische Erneuerung verheißen, sondern die Rückkehr zu Ausbeutung und Agonie. Die neue Ära wird sich vor allem durch ihre frappierende Ähnlichkeit mit der alten, der ganz alten Zeit auszeichnen, als nationales und internationales Kapital den Ölriesen Venezuela noch einträchtig und ungehindert ausnehmen durften wie eine fette Weihnachtsgans. Wieviele chavistische Errungenschaften werden diese glorreiche Zeitenwende wohl überstehen? Es dürfte nur noch eine Frage der Zeit sein, bis man laut oder leise über eine erneute Privatisierung des unter Chavez verstaatlichten Erdölunternehmens PDVSA nachzudenken beginnt.

Die Wahldebakel der neoperonistischen Linkspopulisten in Argentinien und der Chavisten in Venezuela sind bereits für sich genommen nicht weniger als ein politisches Erdbeben, doch darüber hinaus könnten sie krachend und polternd auch den Beginn eines neuerlichen Siegeszuges von Neoliberalismus und Repression auf dem südamerikanischen Kontinent ankündigen. Vorbei sind die Zeiten, da die „Piraten der Karibik“ wie Tariq Ali sie liebevoll nannte, an ehrgeizigen Projekten wie der Bank des Südens bastelten, um dem Einfluss imperialistischer Instrumente wie Weltbank und IWF zu entkommen.

Die lateinamerikanischen Experimente sind seit jeher von Linken überall auf der Welt und nicht zuletzt natürlich in Europa mit größtem Interesse verfolgt worden und riefen gleichermaßen Bewunderung wie Ablehnung hervor. Gerade an Venezuela spalteten und spalten sich noch immer die Geister: Was war das nun? Ein bonapartistisches Regime, das im Namen des Volkes zu sprechen nur vorgab und in Wahrheit einen wirklich radikalen, ja vielleicht revolutionären Umsturz der Verhältnisse im Lande verhinderte?

Derartige Kritik neigt nicht nur dazu, die ernsthaften Bemühungen und Erfolge zu relativieren, die seit Amtsantritt von Chavez gemacht wurden, sie verkennt auch den überaus interessanten Radikalisierungsprozess der ganzen chavistischen Bewegung. War der Commandante anfangs vielleicht wirklich nicht viel mehr als ein lateinamerikanischer Populist mit einer schwammigen Vision von einem „dritten Weg“ zwischen Kapitalismus und Kommunismus, so wurde er auch durch die ungeahnte Aggresivität der in die Defensive geratenen Machteliten zum überzeugten Antikapitalisten. Inspiriert vom deutschen Soziologen Heinz Dieterich wandte er sich einige Zeit lang dessen Konzept eines „Sozialismus des 21. Jahrhundert“ zu, bis die beiden Männer miteinander brachen. Chavez blieb Sozialist, auch wenn seine Vorstellung vom Sozialismus zugegebenermaßen vage waren und dringend einer soliden theoretischen Unterfütterung bedurft hätten. Das strahlende Bild des Hugo Chavez, in der Propaganda seiner Anhänger auch zwei Jahre nach seinem Tod noch ungebrochen omnipräsent, wird schließlich auch durch Nepotismus und den unverzeihlichen, den platten Antisemitismus getrübt, der sich in seiner martialischen Rhetorik immer wieder Bahn brach.

Nichtsdestotrotz bleibt die Abwahl der Chavez-Erben ein Fiasko, für die Linke, aber vor allem anderen für die Menschen in Venezuela und schon allzu bald vielleicht auch anderswo. Noch sind Sozialdemokratie und Radikale Linke in Lateinamerika nicht am Ende. Noch bleibt mit Bolivien ein hoffnungsvolles Bollwerk, das aus den Fehlern des Verbündeten im Norden lernen sollte. Das gilt natürlich auch für die Chavistas selbst: Bis Ende der Dekade bleibt ihnen nun Zeit, schonungslose Selbstkritik zu üben und den Scherbenhaufen der Bolivarischen Revolution genauestens zu inspizieren, um vielleicht schon bei der nächsten Wahl zu alter Stärke und Geschlossenheit zurückzufinden. Noch ist Maduro Präsident, auch wenn seine Macht durch die Verschiebungen im Parlament selbstredend stark eingeschränkt ist. Es nützt wenig, alle Verantwortung für die Krise auf das Ausland abzuwälzen. Gerade dieser Reflex gehört zu jenen Fehlern des Chavismo, denen man sich bis zur nächsten Wahl dringend entledigen sollte, wenn man tatsächlich gewillt ist, die Macht von denen zurückzuerobern, die jetzt vielleicht mit einem demokratischen Mandat ausgestattet sein mögen und doch Feinde der Demokratie und des Volkes bleiben.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden