Das entbehrt nicht einer gewissen Ironie: Ausgerechnet die linke Konferenz zur Transformation der Autogesellschaft in Stuttgart muss kurzfristig umziehen, weil im ursprünglich als Veranstaltungsort gebuchten Rathaus die Schlichtung im Bahnhofsstreit fortgesetzt wird. Das nahe gelegene Gewerkschaftshaus, in dem Auto.Mobil.Krise nun stattfindet, lässt sich aber passender Weise leicht zu Fuß erreichen. Ein Teil des Programms hatte ohnehin dort stattfinden sollen. Und miteinander zu tun haben S21-Proteste und die Frage nach einer alternativen Mobilität der Zukunft ja auch. Stuttgart als Autostadt, der Schlosspark als Brennpunkt eines demokratiepolitischen Konflikts, der Bahnhofsstreit als Frage des Rechts auf Stadt, das Milliardenprojekt als eine den Nahverkehr fressende Profitmaschine. „Es geht um eine solidarische Mobilität und unsere Zukunft“, hat Mitorganisator Rainer Rilling von der Rosa-Luxemburg-Stiftung, das Vorhaben in der Jungen Welt umrissen. „Wir wollen versuchen, die Frage zu beantworten: Wie kommen wir von hier nach dort?“
Auto.Mobil.Krise: das Blog zur Konferenz
Wie kommen wir von hier nach dort? Interview mit Rainer Rilling
Voller Tank und leerer Bauch: Gespräch mit Elmar Altvater
Als die Idee zu einer internationalen Konferenz erste Formen annahm, war das multiple Krisenszenario, das mit dem Auto als kulturellem Leitbild, industriellem Kernprodukt und zentralem Ressourcenschlucker noch etwas präsenter. Inzwischen scheinen enorme globale Überkapazitäten, das Opel-General-Motors-Drama, die Diskussionen über Oil-Peak und Klimawandel ein wenig aus dem Blickfeld geraten sein. In den Zeitungen feiert die Branche inzwischen ihr Comeback, nach Monaten der Kurzarbeit werden Sonderschichten gefahren und mit der allgegenwärtigen Werbung für „grüne Autos“ hat sich der falsche Schein einer angeblichen Alternative über das Konsumentenbewusstsein gelegt, in der doch alles so bleiben würde wie bisher: der Flächenverbrauch, die Ressourcenbelastung, das Problem der Zersiedlung, die autogetriebene Raumordnung, das Beschäftigungsproblem, die Leiharbeit, Werksschließungen, die globale Gerechtigkeitslücke bei der Verwirklichung eines Anspruchs auf individuelle Fortbewegung, das Szenario eines ebenso verständlichen wie verheerenden Wachstums in den Schwellenländern etc.
Auslaufmodell Auto: Bericht von einer Tagung im August
Stephan Krull: Transformation oder Katastrophe - hier
C. Lutz / A. Lutz Fernandez: Kultur und Geschlecht der Mobilität - hier
Manfred Kriener: Wie fahren wir in die Zukunft? - hier
Weert Canzler und Andreas Knie: Grüne Wege aus der Autokrise - hier
Weltwirtschaftskrise & Krise der Autoindustrie: Sonderheft lunapark21
Ende der Autogesellschaft? Schwerpunkt bei linksnet.de
Auto.Kämpfe.Global: über Streiks, Konversion und Kooperation - hier
Die große Transformation: Karl Otto Henseling - hier
Auto.Mobil.Alternativen: über Konzepte autofreier Städte - hier
„Die Autoindustrie redet von Neuerfindung des Autos – damit die politische Ökonomie des Autos so bleibt, wie sie ist“, sagt Rilling. „Uns geht es dagegen um eine demokratische und solidarische, sozial gerechte Mobilität und um eine andere Ökonomie.“ Dass die Linke im weitesten Sinne da noch ganz am Anfang eines Weges steht, der wegführen müsste von den breit asphaltierten und zugestauten Pfaden der Autogesellschaft, wird dabei ganz nüchtern betrachtet. Und doch gebe es, meint Elmar Altvater in Analyse & Kritik, „nur eine Alternative: weg vom Auto. Man muss die Lebensweise umstellen, das ist die einzige Möglichkeit.“
Autokrise und Alternativen im Freitag
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Die Konferenz versammelt dazu ökologisch inspirierte Wissenschaftler und Verkehrsexperten, Betriebsräte und Politiker, Bahnaktivisten und Umweltschützer. Man frage „nach der Zukunft der Autoindustrie und einer anderen Mobilität“: Wohin führt die von den Konzernen angestrebte Verdoppelung der weltweiten PKW-Menge? Was bedeutet die Verlagerung von Betriebsstätten in die Absatzboomregionen für die industriellen Strukturen in den „alten Autoländern“? Wie steht es mit E-Auto und alternativen Antriebssystemen, wie mit der Vision einer postfossilien und sozial gerechten Mobilität? Was können dazu Bahn und Städtebau leisten? Und wie überwindet man die machtpolitischen Hürden, die tief in der Struktur eines Auto-Kapitalismus verankert sind?
Antworten darauf führen nicht „bloß“ zu politischen Herausforderungen. Es gebe derzeit keine große Bewegung, die sich die Abschaffung des Autos auf die Fahnen schreibt, meint Altvater, der Abschied von einem mehr als vieles andere die sozialen Zusammenhänge dominierenden Modells werde sich „experimentell entwickeln müssen“. Ohne die verbreitete Erkenntnis der „absoluten und relativen Grenzen“ (Rilling) der Autogesellschaft, wird das nicht gehen. Denn auch wenn die globalen Stoffwechselprobleme des motorisierten Verkehrs längst unübersehbar sind, hat das „zentrale ikonische Objekt der Industriegesellschaft“ (Claus Leggewie) bisher und vor allem in den Augen derer, die es sich leisten können, ein paar Kratzer.
Freitag-Autor Michael Jäger ist zur Autokonferenz nach Stuttgart
gefahren – selbstverständlich mit der Bahn. Seinen Bericht lesen Sie
in der kommenden Ausgabe des Freitag.
Startseitenfoto: Thomas Kienzle / AFP / Getty Images
Kommentare 3
Sehr geehrter Herr Strohschneider,
den Forderungen bzw. Ideen welche in Ihrem Text angerissen wurden stimme ich zu.
Aber eine paar kleine Überlegungen möchte ich bezüglich der urlinken Themen dann doch machen.
Thema Verteilung; Verteilung von was? Geld? zu was führt das? In Deutschland wird das mehr vom Netto (in einigen Branchen gibt es ja noch ganz ordentliche Löhne) in den Konsum gesteckt.
Konsum ist nicht einfach eine Tätigkeit, welche sich abstellen lässt. Konsum ist Bewusstsein, Konsum ist psychisch, Konsum ist prägt und gehört zum Alltag der Menschen.
Ebenso der Individualverkehr. Die große Freiheit endet pünktlich zum Feierabend im Stau. Aber das interessiert keinen, man verdrängt es. Wenn man dann das Abenteuer öffentlicher Verkehrsmittel in Kauf nimmt, so kann das schon einige Nerven kosten. Gerade in Berlin, wo Fahrstrecken schonmal bis über eine Stunde gehen können. Wer dann diese Zeit in völlig überfüllten Zügen stehen muss, der freut sich wie Bolle, wenn er diese in einer sesselartigen Sitzstruktur eines PKW verbringen kann. Dort niest und hustet einen keiner voll.
Verstehen Sie mich bitte nicht falsch, ich hasse Autos und die darin sitzenden Hypochonder.
Es muss sich erst das Bewusstsein der Menschen ändern. Hierzu müsste die milliardenschwere PR und Werbeindustrie kaputt gemacht werden. Sie sind es schließlich welche mit ausgefeilten Strategien, dem Konsumenten suggerieren, dass ein Apple-Produkt die große Design und Kreativitätsfreiheit verheißt. Der Kunde fühlt sich mit dem Produkt regelrecht wohler. Unser Begriff von Glück und Zufriedenheit muss neu definiert werden.
Des Weiteren ist es eine dem System imanente Eigenschaft, dass in irgendeiner Form und Weise konsumiert werden muss (Wachstum). Sicherlich könnte eine Zerschlagung von Großkonzernen, Überkapazitäten mindern und deren Systemrelavanz gegen Null streben lassen. Mit dieser Regionalisierung wäre auch deren Lobbymacht gebrochen. Aber wenn die Herrschaften davon Wind bekommen, dann steppt hier der Bär.
Einen kleinen Vorgeschmack lieferte die Springerpresse als Ideen der Linken durchsickerten innerhalb des Berliner S-Bahnringes überall Tempo 30 gelten zu lassen.
Da wird dann der dicke Pathos von der Freiheit im Automobil herangezogen und das die böse böse Linke wieder allen den Spaß verderben will.
Kucken Sie doch mal nach wieviel Leute im ADAC sind. Einer der mächtigsten Autolobbyvereine überhaupt.
Schauen Sie doch bitte einmal, womit unsere wasserpredigenden, aber weinsaufenden Politiker so unterwegs sind! PS ohne Ende! ;-)
Tritt ihn, ausgenommen. Der ist wahrscheinlich immer bei der Führerscheinprüfung durchgefallen! ;-)
"Auto" - ein gutes Thema für den Freitag. Ich freue mich auf den ausführlichen Beitrag von Michael Jäger.
Im "Auto" findet sich alles, was für eine Kapitalismusdiskussion benötigt wird. Das beginnt bei Faszination, die das "Auto" auf die meisten Menschen ausübt, setzt sich fort über die Verheißung von Freiheit und endet noch nicht bei der wirtschaftlichen und politischen Bedeutung dieser Branche. Es ist für mich nicht vorstellbar, dass es zu einer Veränderung im Denken einer nennenswerten Menschenmenge gegenüber dem "Auto" kommt.
Ich wünsche mir, dass es zu so einer Veränderung käme, bin aber selbst wie ein Galeerensträfling an diese Maschine gebunden. Ich verdiene damit mein Geld, fahre damit in den Urlaub und benötige es für meine alltäglichen Besorgungen.
Widerwärtig ist das Drängeln der getunten grauen Wölfe und des prolligen Packs auf der Autobahn. Noch schlimmer sind die im Koma über die Landstraßen rasenden zweirädrigen Kampfmaschinen von Kawasaki, Harley und Ducati. Aber genau das ist die Zielgruppe für eine Reform. Wie also soll diese gelingen?