Das Gras wachsen hören: Die NRW-Linke und die Regierungsfrage

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Vor dem ersten Sondierungsgespräch in Nordrhein-Westfalen am Donnerstag werden eifrig die Zeichen gedeutet: Will die Linkspartei wirklich in die Regierung, wie wird die Basis entscheiden, was hat die Bundesspitze vor?

Dass der Parteibildungsbeauftragte Ulrich Maurer nach Düsseldorf entsandt wurde und die NRW-Pressearbeit aus dem Berliner Karl-Liebknecht-Haus unterstützt wird, gilt manchem als Signal für unbedingten Regierungswillen. „Zentralgesteuerte Verhandlungen“ sollen, so ist man am linken Rand der Linken überzeugt, dazu dienen, „den Sprung auf die Regierungsbank in Düsseldorf zu realisieren“. Es ist nicht so ungewöhnlich, dass die Kritiker einer Koalitionsbeteiligung jetzt das Gras wachsen hören. Eine Erklärung aus der Bildungsgemeinschaft SALZ e.V., die Rot-Rot-Grün an Rhein und Ruhr als „Rückschlag“ bezeichnet und allenfalls eine rot-grüne Minderheitsregierung mit wechselnden Mehrheiten befürwortet, verschwand Anfang der Woche von der Website des Landesverbandes. Vor dem ersten Gesprächen am Donnerstag sollen offenbar Signale vermieden werden, die das Bild von der „regierungsunwilligen Linken“ reproduzieren. Ob es dabei in erster Linie darum geht, die 5,6 Prozent vom Wahlabend tatsächlich in einen Platz auf der Regierungsbank umzurubeln, sei einmal dahingestellt.

Es gibt auch andere Varianten: Mit Blick auf den Bund wird eine rot-rot-grüne Koalition in NRW von wichtigen Figuren an der Linkenspitze eher skeptisch gesehen, es komme jetzt nur darauf an, „den Schwarzen Peter für die drohende Große Koalition der SPD zuzuschieben“, wie es die Junge Welt „aus Parteikreisen“ erfahren haben will. Ähnliches las man unter anderem im Spiegel, der die Sorgen „moderater Funktionäre“ kolportiert: „Wenn die SPD sich mit den Linken in Düsseldorf einließe, sei ein Bündnis auf Bundesebene nach den Wahlen 2013 definitiv tot.“ Beim großen Glaskugelgucken hat mancher deshalb auch sehr aufmerksam Äußerungen von Gregor Gysi und Oskar Lafontaine registriert, die sich inzwischen sehr skeptisch äußern (hier und hier). Motto: Die Sozialdemokraten haben nicht die Kraft zu Rot-Rot-Grün. Auch Klaus Ernsts Mahnung vor „hessischen Verhältnissen“ könnte man für einen Beitrag zur Strategie der vorbereitenden Schuldzuweisung halten. Ob solche Interpretationen richtig sind, wer sie aus welchem Grund streut und wie es am Ende tatsächlich kommt, ist damit aber längst nicht gesagt.

Der Tagesspiegel hat inzwischen aus einer internen Email zitiert: „Erst mal reisen die Linken-Strippenzieher aus dem Büro des Herrn Maurer zusammen mit ihrem Chef nach Düsseldorf, um die Genossen auf Linie zu bringen“, schimpfe darin ein Führungsmitglied und äußere die Sorge, „dass man nur als Sättigungsbeilage auf einem rot-grünen Teller verfüttert werden soll“. Hier wird noch ein weiteres Motiv im innerlinken Koalitionsgerangel angeboten: Die Zentrale in Berlin würde die NRW-Genossen „volles Rohr gegen die Wand fahren lassen“, so der Verdacht, dann wäre ein „linker Landesverband kaltgestellt“. Solche Theorien weist man die Spitze in Düsseldorf allerdings zurück. Für den Weg der Sondierung habe man sich „einstimmig entschieden“, sagt der Landtagsabgeordnete Rüdiger Sagel. Ulrich Maurer sei keine „Nanny“ und kein „Aufpasser“, sondern von den Landessprechern Katharina Schwabedissen und Wolfgang Zimmerman „am Rande des Bundesparteitages in Rostock gebeten“ worden, an den Gesprächen teilzunehmen - weil die Bundespolitik auch eine Rolle dabei spielen wird. Ein wenig Entwicklungshilfe soll der inzwischen schon „Koalitionsbeauftragter“ genannte Maurer aber wohl auch leisten. Er selbst wird in der Süddeutschen (bisher nur Print) mit dem Satz zitiert: „Die Unbefangenheit, mit der hier manche agieren, ist sympathisch, aber nicht ganz ungefährlich.“

Womit wir wieder beim SALZ-Papier wären. Die Frankfurter Allgemeine hat von Fraktionschef Zimmermann auf die Frage, ob sich sein Kollege Michael Aggelidis gegen eine Regierungsbeteiligung ausgesprochen habe, ein „Nein, nein“ erfahren. Aggelidis gehört zu den Unterzeichnern des bereits angesprochenen SALZ-Papiers, dessen Argumentation in wichtigen Fragen früheren Erklärungen der in NRW starken Strömung Antikapitalistische Linke entspricht. „Eine Regierungsmitverantwortung wie in Berlin und Brandenburg wäre ein Rückschlag und würde alle Tendenzen zur Resignation fördern“, heißt es in dem Papier. Man könne zwar Hannelore Kraft „zur Ministerpräsidentin einer Minderheitsregierung wählen, sofern sie sich im Landtag nicht auf CDU oder FDP stützt“ und im Landtag all solche Beschlüsse mittragen, „die eine deutliche Verbesserung der Lebensverhältnisse der Menschen“ zum Ziel haben. Für alles andere aber müsse sich die SPD „mit wechselnden Mehrheiten bei anderen Parteien im Landtag Unterstützung suchen“.

In diese Richtung ging bereits kurz nach der Bundestagswahl 2009 eine Erklärung der Antikapitalistischen Linken. „Ein Wandel wird an uns aber nicht scheitern, denn wir sind bereit, eine SPD-Grüne Regierungen gegen Schwarz-Gelb zu tolerieren – aber es muss eine Tolerierung der Vernunft und nicht des Zwanges sein. Deshalb wird es keine Tolerierungsverhandlungen oder -abkommen geben. Wir werden die richtigen Regierungsmaßnahmen stützen, andere ablehnen. Das wird in Richtung Minderheitsregierungen laufen, vielleicht auch in Richtung schwacher Regierungen – aber das ist gut und der notwendige Prozess zur Herausbildung wirklich neuer gesellschaftlicher Mehrheiten.“ Einer der Unterzeichner von damals, der AKL-Sprecher von Nordrhein-Westfalen, Jürgen Aust, hat den Faden jetzt wieder aufgenommen und zählt zu seinen „Schlussfolgerungen aus den Landtagswahlen“ auch diese: Wenn die Linke in NRW keine „Berliner Verhältnisse“ schaffen wolle, könne „das nur heißen, dass sie sich an keiner Regierungskoalition beteiligt, bei der sie ihre roten Linien über Bord wirft, sondern aus der Opposition heraus Widerstand entwickelt und so die Forderungen der ausserparlamentarischen Bewegungen im Parlament zum Thema macht. Eine solche Strategie würde selbstverständlich nicht ausschliessen, dass die Linke solche Beschlüsse mitträgt, die eine deutliche Verbesserung der Lebensverhältnisse der Menschen in NRW zum Ziel haben. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.“

Wie stark eine solche Haltung unter den Mitgliedern an Rhein und Ruhr ist, lässt sich schwer sagen. Die Basis hat in jedem Fall noch ein Wörtchen mitzureden. Am Pfingstsonntag wird es einen Sonderparteitag in Bottrop geben, der muss über die Aufnahme von Verhandlungen mit SPD und Grünen beschließen. Am Mittwoch findet die letzte Regionalkonferenz vor der „ersten Kontaktaufnahme“ (Donnerstag ab 13 Uhr) statt. Am Montagabend im Bürgerhaus Stollwerck in der Kölner Südstadt sei die Stimmung vor den Sondierungen „euphorie- und illusionslos“ gewesen, berichtet das Neue Deutschland heute von einer der Regionalkonferenzen. Es geht offenbar die nicht ganz unberechtigte Befürchtung um, die Linke werde mit ihren 5,6 Prozent auch nur 5,6 Prozent Einfluss in einer Koalition haben können - für viele keine gute Aussicht. Jene, die sich gegen jegliche Verhandlungen aussprachen, unter anderem Vertreter der ISL und der SAV, fanden an der Basis allerdings auch „wenig Zustimmung“.

Mehr zu Koalitionssuche in NRW und zur Linkspartei auf lafontaines-linke.de

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Geschrieben von

Tom Strohschneider

vom "Blauen" zum "Roten" geworden

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