"Es wäre doch gar nicht schlecht", riet Oskar Lafontaine unlängst seiner Linken, „wenn das Wort Liebe zumindest einmal in einem Grundsatzprogramm irgendeiner Partei auftaucht“. So verkehrt, insistierte der Saarländer, „wäre das doch nicht!“
Liebe? Der Gedanke, ausgerechnet die notorisch streitende Linke müsste die Liebe auf einen programmatischen Nenner bringen, ist amüsant. Anhänger einer „radikalen“ Variante könnten den „Pragmatikern“ vorwerfen, einer „reformistischen“ Haltung zur Liebe anzuhängen. Zur Entgegnung wäre der Vorwurf zu hören, mit Maximalforderungen komme man auch in Sachen Liebe nicht weiter. Klassiker würden zitiert und ostdeutsche Erfahrungen beschworen. Am Ende stünde ein Kompromiss, dem aus Vernunftgründen zugestimmt wird. Nicht aber aus Liebe.
Das Problem auf die Partei zu kaprizieren, deren Hang zum Streit man für einen Ausdruck von Hingabe halten könnte, ist freilich ungerecht. Linkssein gibt es nicht ohne Schwierigkeiten mit der Liebe – weil die Linken es sich mit ihr nicht einfach machen können. Dem einen nährt das Ideologische, das „gesellschaftlich Gemachte“ an ihr den Zweifel an einem Gefühl, das doch eigentlich so gut tut. Der andere glaubt in der Bedingungslosigkeit der Liebe jene große Kraft zu erkennen, mit der sich die Verhältnisse erst umstürzen lassen – und erinnert sich daran, wie Revolutionen die Liebe zurichteten.
Weil es ihn selbst verändert
Dass in der Liebe, in der praktischen zumal, die großen Widersprüche stecken, hat die Linke von Anfang an begleitet. Mal ging es um ihre Befreiung, mal um die Befreiung von ihr. Im utopischen Sozialismus eines Campanella geriet die Liebe zum Amtsbereich, sie „betreut vor allem das Zeugungsgeschäft“, alles war bis ins Detail vorgeschrieben. 1881, zur Zeit der Sozialistengesetze, erklärte August Bebel, „die Befriedigung des Geschlechtstriebes“ sei „jedes einzelnen persönliche Sache“. Von Liebe las man da nichts, wenigstens aber hatte niemand „darüber einem anderen Rechenschaft zu geben, und kein Unberufener hat sich einzumischen“. 90 Jahre später war das Private längst politisch und ging plötzlich jeden etwas an. Nicht weniger als die Auflösung „der privaten Liebesverhältnisse“ wurde zur Parole der Kommune I. Wer wollte, konnte dagegen Che Guevara ins Feld führen, der Liebe als „das wichtigste Gefühl des Revolutionärs“ bezeichnet hatte: „Weil es ihn selbst verändert.“ Die anderen reden noch heute lieber von „Beziehungen“.
Liebe bleibt der Linken ein vertracktes Ding, etwas, in dem Besitzanspruch und Freiheitsidee gefährlich eng beieinander liegen, das so individuell ist und doch nur kollektiv erfüllt werden kann. Und schließlich ist die Liebe unser schönster und schrecklichster Selbstbetrug zugleich. Oder wie es die Theoriegeschulten sagen würden: ein Vorstellungs- und Erwartungskomplex, der mit der bürgerlichen Familienordnung eng verbunden ist und sich als Kriterium der Partnerwahl in allen Klassen durchgesetzt hat, mithin Ideologie, weil sie, die Liebe, die materiellen Grenzen der realen Welt doch nicht überwinden kann.
Oskar Lafontaine übrigens hat in Wahrheit nie dafür plädiert, die Liebe als Ziel ins Programm der Linken zu schreiben. Ihm ging es mit dem evangelischen Theologen Paul Tillich um den demokratischen Sozialismus als „eine Widerstandsbewegung gegen die Zerstörung der Liebe“. Eine Anleitung, wie wir es mit ihr halten sollen, gibt es nicht.
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