Für Diktatur und Führer: Neue Studie zu rechtsextremen Denkmustern

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Die gesellschaftliche Linke, hieß es in den vergangenen Jahren immer einmal wieder, müsse doch eigentlich „von der Krise profitieren“; das offenkundige Scheitern einer als neoliberal bezeichneten Politik neue Mehrheiten auf alternative, linke Pfade des Denkens und Handelns lenken. Dass sich die Krise vielmehr in ganz andere Richtung auswirkt, zeigt jetzt eine neue Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung: Mit zeitlicher Verzögerung stellen die Autoren eine Anstieg von antidemokratischen, rassistischen und sozialdarwinistischen Denkmuster fest. Jeder Zehnte sehnt sich nach einem „Führer“, ein Viertel spricht sich für eine Diktatur aus, jeder Dritte will Nichtdeutsche zurückschicken. Wie sehr sich in der Zunahme die Auswirkungen der Finanz- und Wirtschaftskrise spiegeln, stand bei den Forschern ganz oben auf der Liste der erhofften Erkenntnisse. Und auch wenn es vorsichtig formuliert wird, halten die Autoren ihre Ergebnisse „mit hoher Wahrscheinlichkeit“ für eine Bestätigung des Zusammenhangs.

Die Mitte in der Krise: Studie der FES von 2010
Bewegung in der Mitte: Studie der FES von 2008
Vom Rand zur Mitte: Studie der FES von 2006

Die Zunahme der auf den Begriff „rechtsextrem“ gebrachten Einstellungen sei besorgniserregend und bestätige einen ernüchternden Befund Adornos aus dem Jahre 1959: „Demokratie hat sich nicht derart eingebürgert, dass sie die Menschen wirklich als ihre eigene Sache erfahren.“ Die „erschreckend hohe Zustimmung“ zu Aussagen wie „Auch heute noch ist der Einfluss von Juden zu groß“ (17,2 Prozent) oder „Die Bundesrepublik ist (…) in einem gefährlichen Maße überfremdet“ (45,6 Prozent) findet sich dabei keineswegs nur an den „gesellschaftlichen Rändern“ und sozialen Problemmilieus – sondern, wie Vorgängerstudien bereits zeigten, eben in der „Mitte der Gesellschaft“. Was die Autoren um Oliver Decker und Elmar Brähler als rechtsextreme Einstellungen fassen, habe bei der Erhebung „in allen gesellschaftlichen Gruppen, in allen Altersstufen, unabhängig vom Erwerbsstatus und Bildungsgrad und bei beiden Geschlechtern“ deutliche Ausschläge gezeigt. Die Befragung von rund 2.500 zufällig ausgewählten Personen hat das Berliner Meinungsforschungsinstitut USUMA übrigens im April 2010 durchgeführt – also noch vor der anschwellenden Debatte, die zuerst mit dem Namen Thilo Sarrazin und inzwischen jenem von Horst Seehofer verbunden ist.

In der Diskussion ist immer auch von der Möglichkeit einer „sechsten Partei“ die Rede gewesen, die eine „politische Nachfrage“ zwischen dem „demokratischen Spektrum“, also der Union, und rechtsradikalen Organisationen wie der NPD befriedigen werde. Die FES-Studie lässt diese Frage noch einmal aktuell werden, denn die Lücke in der politischen Repräsentation ist augenfällig: Die Zahl der Befragten mit einem „geschlossenen rechtsextremen Weltbild“ liegt bundesweit bei 8,6 Prozent, und damit zwar etwas niedriger als in der ersten Hälfte des Jahrzehnts. Im Vergleich dazu fallen die Wahlergebnisse der rechtsradikalen Parteien eher niedrig aus. Die Autoren von „Die Mitte in der Krise“ warnen davor, diese Differenz als Argument gegen ihre Studienergebnisse ins Feld zu führen. In der Tat ist damit noch nichts darüber gesagt, wie stabil die etablierten Parteien einen Teil der Wähler mit rechtsextremen Einstellungen integrieren können, und ob nicht die generelle „Erschöpfung der Demokratie“ an einem bestimmten Punkt zum Aufstieg einer neuen rechten Partei führen könnte. Zumal die FES-Autoren nach einem leichten Rückgang rechtsextremer Einstellungen bei der Studie von 2008 nun „möglicherweise eine Trendwende“ sehen: ein „weiteres Anwachsen“ der Zustimmung zu rechtsextremen Ideologien in den nächsten Jahren“ sei „nicht unwahrscheinlich“.

FES-Definition: "Der Rechtsextremismus ist ein Einstellungsmuster,
dessen verbindendes Kennzeichen Ungleichwertigkeitsvorstellungen
darstellen. Diese äußern sich im politischen Bereich in der Affinität zu
diktatorischen Regierungsformen, chauvinistischen Einstellungen und
einer Verharmlosung bzw. Rechtfertigung des Nationalsozialismus.
Im sozialen Bereich sind sie gekennzeichnet durch antisemitische,
fremdenfeindliche und sozialdarwinistische Einstellungen."

Interessantes ergibt ein Blick in die Tiefen der Umfrageergebnisse: Stieß man bei Untersuchungen zu rechtsextremen Einstellungen bisher meist auf einen deutlichen Graben zwischen Männern, die eher rechtsextremen Positionen zustimmten, und Frauen, bezeichnet die FES-Studie diesen Unterschied nun als „nicht mehr statistisch bedeutsam“. Bei christlich konfessionell Gebundenen haben sich in der Studie in fast allen Bereichen höhere Zustimmungswerte für rechtsextreme Aussagen gefunden als bei Konfessionslosen. Auffällig auch: Unter Rentnern finden sich mehr rassistische Denkmuster als unter Erwerbslosen, bei denen auch Sozialdarwinismus seltener vorkommt als bei Beschäftigten. Auch der Ost-West-Vergleich zeichnet ein Bild, das Vereinfachungen à la „der braune Osten“ ins Wanken geraten lässt. So ist in den nicht mehr ganz so neuen Ländern zwar die Ausländerfeindlichkeit deutlich höher, im Westen finden sich dagegen höhere Werte bei Antisemitismus und der Verharmlosung des Nationalsozialismus.

Ebenfalls auffällig sind einige Ergebnisse der FES-Studie, wenn man sie in Bezug zu den parteipolitischen Vorlieben der Befragten setzt. Sieht man einmal von den Anhängern rechtsextremer Parteien ab, unter denen wenig überraschend die Zustimmungswerte zu rechtsextremen Einstellungen am höchsten sind, zeigen sich interessante Details: So finden sich im Westen unter Anhängern der FDP die meisten Diktatur-Befürworter; bei denen von Union und SPD die höchsten Rassismus-Werte und bei denen der Grünen am stärksten sozialdarwinistische Einstellungen. Im Osten wurden besonders viele Befürworter einer Diktatur unter Unionsanhängern gezählt, die Ausländerfeindlichkeit ist bei den Sympathisanten von CDU, SPD und FDP besonders hoch. Insgesamt fallen bei den Anhängern der Linken die recht hohen Zustimmungswerte für chauvinistische und ausländerfeindliche Positionen auf.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Tom Strohschneider

vom "Blauen" zum "Roten" geworden

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