Gefährlicher Pfeffer: ein Nachtrag zum Polizeieinsatz von Dresden

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Die Polizei hat in Dresden offenbar mit Pepperballs auf Demonstranten geschossen. Eine Sequenz in einem Video von der Räumung einer Blockade (etwa bei 3:40 Min.) und ein im Internet veröffentlichtes Foto legen das nahe, eine Antifagruppe berichtet ebenfalls über den Einsatz von Pepperball-Pistolen. Die Tageszeitung hat die Geschichte bereits aufgegriffen. Über die möglichen Gefahren solcher Munition und auch beim in Dresden umfangreichen Einsatz von Pfefferspray durch die Polizei steht in der Taz leider nichts. Deshalb hier ein kurzer Nachtrag:

Bereits nach der berüchtigten Stuttgarter Schlacht gegen S21-Gegner hatte die Linksfraktion im Bundestag die Regierung zum „Einsatz von Reizstoffen durch Polizeibehörden von Bund und Ländern“ befragt. Die Antwort des zuständigen Innenministeriums ist vor dem Hintergrund der Bilder aus Dresden interessant. So heißt es zum Beispiel, „der Einsatz von Pfefferspray wird vorher angedroht“, was am Samstag augenscheinlich nicht passierte: Polizisten sprühen ansatzlos und ungezielt auf umstehende Demonstranten. Auch vorher ist von einer Warnung bezüglich des Einsatzes von Pfefferspray zumindest auf im Internet kursierenden Videos nichts zu hören. Der Hinweis des Ministeriums, „Personen, die den Einsatz von Zwangsmitteln gegen sich vermeiden wollen, haben zu jeder Zeit die Möglichkeit, den Anordnungen der Polizeikräfte folge zu leisten und den Wirkbereich von Reizstoffen zu verlassen“, trifft aber womöglich noch aus einem anderen Grund ins Leere: Die Gefahren der verwendeten Wirkstoffe sind weder ausreichend erforscht noch wenn überhaupt in der Öffentlichkeit breit bekannt.

In den vergangenen Jahren sind mehrfach Todesfälle in Zusammenhang mit dem Einsatz von Pfefferspray gebracht worden. Dabei waren Personen, die zuvor Psychopharmaka oder Drogen genommen hatten, verstorben. Der Spiegel berichtete Ende 2009, die Fälle seien geeignet, „den von Kritikern geäußerten Verdacht zu untermauern, dass Pfefferspray für Menschen, die unter Drogen oder Psychopharmaka stehen, tödlich wirken kann“. Im vergangenen Sommer starb ein 26-jähriger Dortmunder nach einem Polizeieinsatz mit Pfefferspray, die Umstände des Todes konnten in einer Oduktion nicht geklärt werden. Ein ähnlicher Fall ist für den Beschuss von Menschen mit Pepperball-Munition bekannt: Im Herbst 2004 berichtete die New York Times über eine 21-jährige Studentin, die von einem Pfeffergeschoss am Auge getroffen wurde und wenige Stunden später starb. Das US-Justizministerium hatte 2003 mehrere Todesfälle im Zusammenhang mit dem Einsatz von Pfefferspray beschrieben – insbesondere gegen inhaftierte Personen, die unter unmittelbarem Drogeneinfluss standen. Dem Wissenschaftlichen Dienst des Bundestags sind diese Fälle offenbar bekannt.

Zwischen Capsaicin, dem Chili-Wirkstoff aus dem Pfefferspray, und Kokain kann es, beruft sich der Spiegel auf den amerikanischen Suchtmediziner John Mendelson, zu fatalen Wechselwirkungen kommen. In Pepperball-Munition wird in der Regel der Wirkstoff PAVA (Pelargonsäurevanillylamid) beziehungsweise Capsaicin II eingesetzt. Die Bundesregierung nennt als Wirkstoffe im Pfefferspray außerdem Oleoresin Capsium. Pepperball-Pistolen sind nach Informationen des Neuen Deutschland im vergangenen Jahr erstmals in Sachsen eingesetzt worden – auch wenn schon früher die Einführung erwogen worden war. Die Sächsische Zeitung zitierte im Februar 2010 den Landesvorsitzenden der Gewerkschaft der Polizei, Matthias Kubitz, der von einem zuvorigen Test im „Spezialeinsatzkommando“ sprach und meinte, dort sollten die Waffen auch verbleiben. „Normales“ Pfefferspray war im Sommer 1999 von der Innenministerkonferenz zum Einsatz empfohlen worden. Und inzwischen von keiner Demonstration mehr wegzudenken.

Weil dieses ungefährlich sind? Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags teilte im vergangenen November im Wesentlichen den oben aufgelisteten Stand der Dinge mit und zitiert einige Untersuchungen. Demnach könne Capsaicin „bleibende Schädigungen der Hornhaut jedenfalls dann verursachen, wenn der Abschuss aus kurzer Distanz und mit einer hohen Austreibungswucht vorgenommen wird. Dies ist etwa der Fall bei der Verwendung sogenannter pyrotechnischer Handabschussgeräte“. Eine erhöhte Gesundheitsgefahr bestehe außerdem „für Asthmatiker, Allergiker und blutdrucklabile Personen bzw. bei arterieller Hypertonie“. Womit ein ziemlich großer Teil der Bevölkerung zu den gefährdeten Personen gehören dürfte. In einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linken zu Pepperball-Munition erklärte das Innenministerium im vergangenen April, es lägen „keine Erkenntnisse zu Untersuchungen über die Gesundheits- und Lebensgefährdung von pfefferstaubhaltigen Einsatzmitteln vor“. Auch eine „Statistik über etwaige Verletzungen im Zusammenhang mit der Verwendung von Pfefferspray durch die Polizei wird nicht geführt“.

Pfefferspray (und Pepperball) werden von den Behörden als „Mittel des unmittelbaren Zwangs“ angesehen, es geht dabei also um einen verfassungsrechtlich gerechtfertigten Eingriff in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit. Pfefferspray schließt, so die Bundesregierung, „als Einsatzmittel die Lücke zwischen einfacher körperlicher Gewalt und dem Einsatz ‘schärferer’ Zwangsmittel wie etwa der Schusswaffe. Bei der Anwendung von Zwangsmitteln sind die Polizeikräfte streng an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebunden.“ Was nicht heißt, wie man in Stuttgart und Dresden sehen konnte, dass die eingesetzten Beamten sich auch daran halten.

auch erschienen auf lafontaines-linke.de

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Geschrieben von

Tom Strohschneider

vom "Blauen" zum "Roten" geworden

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