Hitler am Kiosk? "Mein Kampf" zwischen Produkt und Aufklärung

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Stellen Sie sich vor, Sie haben gerade ein Buch über Adolf Hitler geschrieben. Besser gesagt eines über das ominpräsente, kulturindustriell verzerrte Bild vom „Führer“, das sich für Witze genauso eignet wie als Schreckgespenst, das zur Müllhalde für kollektive Schuld und Verantwortung genauso geworden ist wie zu einer Art Maßeinheit. Stellen Sie sich vor, sie haben das über Jahre beobachtet, sie wissen noch, wie das war als die Bild den „Russen-Hitler“ erfand, können sich bestens daran erinnern, wie der Spiegel alle paar Wochen mit einem Hitler-Titel kam (Hund, Frau, Krankheit und andere Geheimnisse), und kennen den Unterschied, den es machte, als die Titanic schlagzeilte: „Schrecklicher Verdacht: War Hitler Antisemit?“ Stellen Sie sich also vor, Sie haben ein kritisches Buch über die „Banalisierung des Bösen“ geschrieben – und dann kommt ein umstrittener britischer Verleger und will was tun? Genau: Hitlers Mein Kampf an die deutschen Kioske bringen. Riesenpresse und so. Und sie können sich darüber gar nicht richtig freuen, weil es dann so aussehen würde, als ob sie von dem Hitler-Hype, den sie gerade noch kritisiert haben, nun profitieren würden.

Nun, das Buch über den „Zeitgenossen Hitler“ hat Daniel Erk geschrieben, der natürlich ganz genau weiß, dass man mit so einem "Hitler-Medienzirkus-Zug" ganz gut vorankommt. Aber eben dieses selbstreflektierte Wissen macht ja im Glashaus den Unterschied. Seit ein paar Jahren betreibt er unter dem Onlinedach der Tageszeitung das „Hitlerblog“ und sein So viel Hitler war selten wird vom Verlag mit den Worten beworben: „Immer sorgloser gehen wir mit Hitler um.“ Eben diesen Vorwurf machen einige auch dem britischen Verleger Peter McGee, der schon in der kommenden Woche „Mein Kampf“ in Auszügen und mit Kommentaren versehen an die Kioske bringen will: „Das unlesbare Buch“ als etwa 15-seitige Broschüre, drei Folgen sind geplant – mit einer Auflage von 100.000 Exemplaren.

Es ist keine deutsche Diskussion, nicht etwas, das nur im Land der Täter die Leute umtreibt. Auch in Frankreich wurde gerade erst wieder über Hitlers Mein Kampf debattiert und in Großbritannien sorgte unlängst eine Buchkette für Aufregung, in deren Läden Mein Kampf als Weihnachtsbuchtipp angepriesen wurde – und sich bestens verkaufte. So etwas soll, nein: darf hierzulande nicht möglich sein, findet das bayerische Finanzministerium und hat juristische Schritte angekündigt. Aber es steckt weit mehr darin als eine bloße Urheberrechtsfrage.

McGee will Geld machen, er bedient sich eines sicheren Aufregers und kleidet das alles in einen bildungspolitischen Pelz: Wenn die Leute das „extrem miese Buch“ nur endlich wirklich Lesen würden, kommentiert zudem, dann werde niemand mehr den alten und neuen Nazis auf den Leim gehen. Die Haltung der bayerischen Urheberrechtsinhaber wiederum wird von Experten wie der Historikerin Barbara Zehnpfennig als volkspädagogischer Eifer kritisiert, „den man nur haben kann, wenn man dem Volk kein Urteilsvermögen zutraut“. Auch der frühere Regierungssprecher Uwe-Karsten Heye rät zur Gelassenheit, schließlich fänden sich im Internet nicht nur die beiden Bände des Hitler-Machwerks, sondern auch jede Menge Hass-Seiten, „die nicht ein Gran weniger menschenfeindlich und unerträglich sind“.

Bernd Matthies hat im Tagesspiegel trotzdem ein wenig verstört zwar aber jedenfalls abgelehnt. Und das mit einem ziemlich eigenwilligen Vergleich, der allein auf die ökonomische Skandallogik abstellt, die McGee verfolge – und bei dem Mein Kampf auf eine Ebene mit „Schmuddelbildern“ aus „den Jugendjahren unserer Republik“ gestellt wird. Nachvollziehbarer erscheinen da schon jene Kritiker, die auf das Auslaufen der Urheberrechte 2015 und die geplante Edition des Münchner Instituts für Zeitgeschichte verweisen, an der bereits seit einiger Zeit gearbeitet wird. „Würde ja auch reichen“, meint Jan Sternberg in der Märkischen Allgemeinen. Würde es wahrscheinlich, wenn man allein von der Frage ausgeht, ob es nicht endlich Zeit für eine wissenschaftliche Ausgabe auch in Deutschland ist. Doch McGees Broschürchen ist als Massenprodukt konzipiert, hat also einen ganz anderen (wohl auch einen unsichereren) Wirkungshorizont als eine noch abzuwartende Historiker-Ausgabe, die ebenso schwergewichtig wie teuer werden dürfte.

Beim Zentralrat der Juden spricht man mit Blick auf die McGee-Pläne von einer „längst notwendigen Entmystifizierung“. Dass dafür Anlass selbst unter Fachkundigen besteht, zeigt die gegenwärtige Diskussion selbst: Unter der Überschrift „Mein Kampf für alle!“ hat in der Welt Zeitgeschichts-Autor Sven Felix Kellerhoff die Herausgabe einer kommentierten Version für Zeitungsleser als „überfällige Beseitigung eines Ärgernisses“ verteidigt, weil bisher die starre Haltung des bayerischen Finanzministeriums dazu beigetragen habe, dass „ein schlecht geschriebenes und wirres Buch“ eine Aura des Verbotenen erhalten habe, was die Nachfrage auf braunen Internetkanälen wohl erhöht haben dürfte. „Ein schlecht geschriebenes und wirres Buch“? Das, entgegnet Historikerin Zehnpfennig, stimme „ja nun überhaupt nicht! Das wird zwar immer wieder behauptet, aber wer hat das Buch schon gelesen, zumindest vorurteilslos gelesen?“

(Foto auf der Startseite: Carl de Souza/AFP/ Getty Images)

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Geschrieben von

Tom Strohschneider

vom "Blauen" zum "Roten" geworden

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