Die Nachricht von der Krebserkrankung Oskar Lafontaines war den Nachrichtenagenturen heute eine Eilmeldung wert. Man kann das seltsam finden und über die Grenze nachdenken, die zwischen zu schützender Privatsphäre und öffentlichem Informationsrecht gezogen wird. Man wird wohl berücksichtigen müssen, dass bei der Gesundheit von Politikern andere Maßstäbe gelten.
Im Fall seiner Krebserkrankung ist der Linksparteichef selbst an die Medien gegangen – allerdings nicht ganz freiwillig. Seiner Mitteilung vorangestellt heißt es, sie werde abgegeben, „um weiteren Spekulationen vorzubeugen“. Das zielt auf die Anfang der Woche zur Medienware gewordenen Gerüchte um eine angebliche Affäre zwischen Lafontaine und Sahra Wagenknecht.
Beim Spiegel, der damit die Klatschoffensive von der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung übernommen hatte, die den Staffelstab irgendwo anders aufgenommen hatte, konnte man heute Nachmittag online jenen Text aus dem Heft lesen, der zwischen dem Vorwurf der Wählertäuschung, gut abgehangenen Erklärungen über den Stand Lafontaines in der Linkspartei und eben jenem ach so politischen Privaten changierte: „Lafontaines großer Bluff“. Ein paar Beiträge darüber dann: „Oskar Lafontaine an Krebs erkrankt“.
Schon mit der ersten Geschichte hat sich der Spiegel nicht viel Freunde gemacht. „In einer waghalsigen Mischung aus Spekulation, Wiedergabe von Hörensagen und seichtem Altmännerwitz will man Oskar Lafontaine auf diese Art und Weise Wählerbetrug nachweisen“, ärgerte sich Freitag-Blogger Spiegelfechter. Der stellvertretende Linksfraktionschef im Bundestag, Ulrich Maurer, ließ mitteilen, das Magazin habe mit dem „Machwerk“ die „Grenzen des journalistischen Anstands endgültig überschritten“ und überdies „locker das Niveau der Bild-Zeitung“ unterboten. Angesichts der „großen publizistischen Kongruenz“ mögen die Augstein-Nachfolger doch gleich überlegen, ob sie nicht „mit Springer fusionieren sollten“.
Von dem Konzern ist man ja einiges gewöhnt - in Sachen Lafontaine und Wagenknecht hielten sich Bild und Co. jedoch eher zurück. Eine Zurückhaltung, die man sich beim Hamburger Nachrichtenmagazin, das so viel auf seinen Qualitätsjournalismus hält, nicht auferlegen wollte. „Vielleicht hätte sie eben doch nicht erzählt werden müssen“, schreibt Heiko Werning in seinem Taz-Blog Reptilienfonds. „Vielleicht hätte sie auch einfach nicht erzählt werden sollen.“ Andere legten heute weniger Zurückhaltung an den Tag: Hoffentlich, meinte jemand im Twitter-Reich, verliere der Spiegel „viele Abonnenten“.
Kommentare 9
Wäre ich meine Tochter, würde ich jetzt sagen: KRASS!
Es ist KRASS, wie die FAS und dann der Spiegel - ich habe das auch gelesen, auf Papier, und war einigermaßen entgeistert - ein Gerücht streuen, sicherlich hinten und vorne juristisch abgesichert, damit nicht "Verleumdung" draus werden kann.
Es ist KRASS, dass man den Eindruck haben muss, dass sogar die Linkspartei die "Publicity" nicht nur ungelegen kam.
Es ist KRASS, dass jemand sich offenbar genötigt sieht, mit einer Krankheit "an die Öffentlichkeit" zu gehen, die erstmal niemanden "in der Öffentlichkeit" etwas angeht.
Es ist KRASS, dass man sich selbst beinahe genötigt sieht zu mutmaßen, das diese Krankheit auch nur wieder eine PR-Maßnahme sein könnte.
Es ist KRASS, dass der Boulevard und seine Gesetze in jeden Gehirn- und Seelenwinkel dringen, so dass man nirgendwo mehr einfach lang spazieren kann, Seitenstraßehn gibt es nicht mehr, Gassen schon gar nicht, überall ist Boulevard und blinkt und blendet sich selbst.
Wo hört eigentlich die "Öffentlichkeit" auf? Und wo fängt die Wirklichkeit an?
klara,
Wo hört eigentlich die "Öffentlichkeit" auf? Und wo fängt die Wirklichkeit an?
Im eigenen Kopf.
Wenn man Glück hat.
Ich wollte gerade etwas ähnliches Schreiben. Die Veröffentlichung der Gerüchte war schon schlimm. Die Reaktionen des Spiegels, wo ihm die ganze Geschichte nun um die Ohren fliegt, sind hingegen fast schon amüsant. "Lafontaine überrascht selbst Freunde" -> will sagen "Wir haben uns nichts vorzuwerfen"
"dass der Boulevard und seine Gesetze in jeden Gehirn- und Seelenwinkel dringen" - In JEDEN?! In meinen NICHT!! Und bis zum Beweis des Gegenteils gehe ich davon aus, dass das auch bei jeder und jedem, mit der/dem ich gerne rede und weiter reden möchte, der Fall ist.
@Streifzug,
nun wirst du zum Mystiker. "im eigenen Kopf". Ich fürchte, da überschätzt du den Kopf und unterschätzt Tatsachen. Die Gedanken sind frei? Nur im Lied, nur im Lied. In Wirklichkeit kann sie jeder erraten - öffentlich ;)
@meisterfalk, doch sie dringen, in jeden Winkel. Schon die Verneinung ist ein Beweis dafür. Es gibt kein richtiges Denken im falschen - nein, ich wiederhole das nun nicht. Es gibt keine Reinheit und keinen Ausweg. Man muss irgendwie damit umgehen, mit dem Dreck.
@klara,
Man muss irgendwie damit umgehen, mit dem Dreck.
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@Streifzug, Putzen hört nie auf.