Methode der Wahl

Thüringen Innerparteiliche Kritik und Angst vor Neuwahlen: Christine Lieberknecht wird erst nach einem Abstimmungsdrama Regierungschefin in Erfurt

Zwischen den beiden einzigen Frauen, die in der Bundesrepublik je zur Ministerpräsidentin eines Landes gewählt wurden, herrscht ein beinahe freundschaftliches Verhältnis. Als die SPD-Politikerin Heide Simonis noch Schleswig-Holstein regierte, traf man sich ab und an im Bundesrat, wo die Thüringer CDU-Sozialministerin Christine Lieberknecht auch zu tun hatte. Die beiden werden nicht nur über die Farben der Modesaison gesprochen haben, sondern auch über ihre Erfahrungen in der männlich geprägten Politik. Und vielleicht auch über jene beispiellose Demontage, die Simonis vor vier Jahren erfuhr.

Beinahe wäre es Lieberknecht auch so ergangen. Der CDU-Frau blieb nach einer Zitterpartie das Schicksal ihrer SPD-Kollegin erspart: als Ministerpräsidentin im Landtag zu kandidieren und dort zu scheitern. Und das auch noch an den eigenen Leuten.

Eine Abstrafung war es aber schon – und die ist zur sprichwörtlichen Methode der Wahl geworden: Bei der Abstimmung über die Bundestagsvizepräsidenten erwischte es vor ein paar Tagen Wolfgang Thierse – mit ihm hatte nicht nur die Union eine Rechnung offen, sondern wohl auch Sozialdemokraten. Auch Angela Merkel bekam in dieser Woche die Fallstricke der geheimen Wahl zu spüren – die ihr fehlenden Stimmen, so wurde später gemutmaßt, könnten von ostdeutschen Unionsabgeordneten gekommen sein, die ihren Landstrich in der Bundesregierung unterrepräsentiert wähnen. Und nun Lieberknecht.

Dass die 51-Jährige mit einer glatten Wahl nicht rechnen konnte, stand nach den heftigen Diskussionen über die „große“ Koalition im Freistaat fest. Nahe liegend ist es deshalb, jene Sozialdemokraten zu verdächtigen, die mit dem Kurs von Christoph Matschie nicht einverstanden waren. Wahrscheinlich liegt man damit jedoch falsch: Erstens, weil es so nahe liegend ist. Und zweitens, weil die gezielte Personalpolitik des SPD-Landeschefs dafür gesorgt hat, dass auf den aussichtsreichen Listenplätzen zur Landtagswahl fast ausnahmslos Sozialdemokraten seines Lagers platziert wurden. Die Proteste gegen den schwarz-roten Kurs von Matschie kamen von überall her – aber kaum aus der Landtagsfraktion.

Der Stolperstart von Lieberknecht wäre demnach keine Ohrfeige für Matschie, sondern Ergebnis einer Unmutsbekundung aus den Reihen der Union. Man könnte sich sehr gut Anhänger des unter peinlichen Umständen geschiedenen Vorgängers Dieter Althaus vorstellen, die sich für die Teilrücknahme von dessen Politik revanchierten. Oder CDU-Politiker, die wegen der generösen Abgabe von Ministerposten an die weit schlechtere SPD leer ausgegangen sind. Oder Abgeordnete, denen der „sozialdemokratisierte“ Kurs von Lieberknechts Politik nicht passt.

Wenn Letzteres richtig ist, sollten die CDU-internen Kritiker Lieberknechts nicht jubeln: Ihr Schuss geht nach hinten los. Denn aus Dramen wie dem dieser Wahl erwächst in Fünfparteiensystemen neuer Druck: Wo auf knappe Mehrheiten kein Verlass ist, wird die Suche nach sicherer Unterstützung immer öfter Drei-Parteien-Koalitionen hervorbringen. Für solche Bündnisse aber wird sich auch eine CDU stärker noch als bisher auf andere Partner einlassen müssen – und zwar mit einer Politik, die noch weniger von jener der Konkurrenz unterscheidbar ist.

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Geschrieben von

Tom Strohschneider

vom "Blauen" zum "Roten" geworden

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