Ramelows Verzicht

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Eine rot-rot-grüne Regierung in Thüringen wird zumindest nicht an Bodo Ramelow scheitern. Der Spitzenkandidat der Linkspartei hat am Donnerstagabend angeboten, auf das Ministerpräsidentenamt zu verzichten. Gemeinsam mit Grünen und SPD solle „gleichberechtigt ein Personalvorschlag“ gefunden werden - womöglich eine Frau. Die Nachricht bringt Bewegung in die Koalitionssuche im Freistaat, kommt aber nicht völlig überraschend: In den vergangenen Wochen hatte Ramelow immer wieder angedeutet, ein Regierungswechsel in Erfurt werde nicht an seiner Person scheitern. Nach der Wahl war bereits über einen parteiunabhängigen Kandidaten spekuliert worden. Nun geht Ramelow noch einen Schritt weiter und beharrt nicht einmal mehr auf dem Vorschlagsrecht für die stärkste Partei des möglichen Dreiers.

Den Sozialdemokraten, die sich trotz eines schwachen Wahlergebnisses eine Führungsrolle in einem rot-rot-grünen Bündnis herbeihalluziniert hatten, fehlt nun mindestens das personelle Argument gegen die programmatisch näher liegende Variante. Eine Woche vor der Bundestagswahl müsste die SPD schon sehr gute Gründe finden, nun immer noch die von der Thüringer CDU erhoffte „große Koalition“ für eine Lösung zu halten. Beharrt Matschie nun immer noch darauf, als Drittplatzierter zum Ministerpräsident gewählt zu werden, wird er Juniorpartner der CDU. Der Ball liegt jetzt wieder im Spielfeld der SPD.

Auch die Grünen, deren Parteirat am Freitag über die Aufnahme von Sondierungsgesprächen berät, sollten die Signale erhören. Sie hatten sich bisher wie die SPD auf den ziemlich absurden Standpunkt gestellt, zwar eine Ablösung der Althaus-Regierung anzustreben - aber keinesfalls unter einem Regierungschef der deutlich erfolgreicheren Linkspartei. Dabei spielte in dem grünen Landesverband mit starker DDR-Oppositions-Tradition immer wieder die Vergangenheit eine Rolle. Dass pünktlich zur Koalitionsdebatte in der vergangenen Woche auch noch ein Stasi-Fall in Ramelows Umgebung an die Presse durchgestochen wurde, dürfte nun aber nicht mehr so sehr ins Gewichtfallen.

Ramelow plädierte abermals „für eine neue Form der Politik“. Ob diese in einem anderen Regierungsbündnis in Erfurt durchzusetzen ist, ob die Landesebene den Spielraum lässt, ob man sich auf einen wirklich "anderen" Stil einigen kann - all das bleibt abzuwarten. Ramelow hat einen Schritt getan, der verhindern soll, dass der Zug nach Rot-Rot-Grün schon auf dem Abstellgleis landet, bevor er richtig losgefahren ist.

Eines fällt allerdings auf: Das Verzichtsangebot des Ex-Gewerkschafters ist ein Bruch mit jenen ungeschrieben Spielregeln, auf deren Einhaltung die Linken-Spitze in den vergangenen Wochen stets großen Wert gelegt hatte. Noch in dieser Woche hatte Oskar Lafontaine erklärt, die SPD habe „nur die Möglichkeit, mit der Linken zu gehen und Ramelow zu wählen“, wolle sie ihre Glaubwürdigkeit wahren. Der ließ sich daraufhin mit den Worten zitieren, er nehme Lafontaines Meinung „zur Kenntnis“ - über Koalitionen werde aber der Landesverband entscheiden. Wird hier ein Konflikt innerhalb der Linken-Spitze sichtbar? Wenn es so ist, wird die Partei diesen in den Tagen bis zur Bundestagswahl kaum öffentlich austragen.

Ramelows Verzicht ist auf Gewinn ausgelegt - den Gewinn einer Regierungsbeteiligung der Linkspartei. Der zum Realoflügel zählende Politiker hat dabei auch die Entwicklung der Bundespartei im Blick: Man dürfe „nicht immer nur Opposition“ sein, hat er zu Wochenbeginn in einem Interview erklärt. „Nur wenn wir in den Ländern ein Linksbündnis ausprobieren, könnte sich irgendwann auch im Bund diese Perspektive bieten.“

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Geschrieben von

Tom Strohschneider

vom "Blauen" zum "Roten" geworden

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