Rechnen mit Klaus: die Rente und Rot-Rot-Grün

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Man könnte sagen: typisch deutsche Umfrageergebnisse. 70 Prozent
sind der Ansicht, dass eine längere Lebensarbeitszeit zur Sicherung des Rentensystems nicht notwendig ist (Emnid für N24). Eine Mehrheit glaubt zugleich, dass sich der Einstieg in die Rente mit 67 nicht mehr verhindern lässt (Emnid für BamS). Die demoskopische Zerrissenheit zwischen Ablehnung und Duldung hat natürlich auch was mit dem politischen Personal zu tun und der Diskussion, die gerade geführt wird. Die Linkspartei, mehrere Gewerkschaften, Sozialverbände und Teile von SPD sowie Grünen haben sind gegen den für 2012 geplanten Start der Altersanhebung. Die Regierung, Arbeitgeber und Teile von SPD sowie Grünen wollen an dem von einer Großen Koalition durchgesetzten Reformwerk im Grundsatz nicht mehr rütteln.

Das Thema ist auch eines in den Farben Rot-Rot-Grün – weil sich einmal mehr zeigt, dass wichtige Gräben weniger zwischen als in den Parteien selbst verlaufen. Es ist symbolisch stark aufgeladen, es gilt neben der Agenda 2010 als zentrale Bruchstelle zwischen sozialdemokratischem Wählerlager und der SPD. Die Linkspartei hat das für sich genutzt und wird nun kaum von ihrer strikten Ablehnung ablassen wollen. Ein möglicher Weg wäre: Zeit zu gewinnen. Denn ein Stopp der Rente mit 67 ist noch nicht gleichbedeutend mit der Antwort auf real existierende Fragen, etwa was die Finanzierung der Alterssicherung und die unterschiedlichen Lebensentwürfe in einer alternden Gesellschaft angeht. Über flexible Ausstiegsmöglichkeiten vor dem 65. Lebensjahr, die Förderung von Altersteilzeit, einen besseren Zugang zu Erwerbsminderungsrenten, eine Garantierente, den Umbau der Renten- in eine Bürgerversicherung, eine alternative Generationenpolitik, den Umgang mit dem Erbe der Teilprivatisierung und so weiter gibt es bisher kaum eine gesellschaftlich wirksame Debatte. Siehe oben: Die Leute sind zwar gegen die Rente mit 67, glauben aber mehrheitlich nicht, dass die Reform noch verhindert werden kann – es gibt ja auch keine greifbaren Alternativen.

Ein Regierungswechsel hin zu Rot-Grün beziehungsweise Rot-Rot-Grün lässt sich derzeit auch nicht als solche schönreden. (In einem Sinne, wie 1998 „spürbar“ war, dass eine neue Regierung den Kohlschen Änderung auf die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall zurückdrehen würde.) Starke Kräfte in der SPD sind gegen eine Revision der Rente mit 67, die Kompromisssuche bei den Sozialdemokraten vor dem Sonderparteitag Ende September wird schwierig. Grünenchef Cem Özdemir wiederum hat ein Gesprächsangebot der Linkspartei gerade mit dem Argument abgewiesen, es bestehe bei dem Thema keine grundsätzliche Einigkeit. Die Grüne Christine Scheel hält die Rente mit 67 für sinnvoll und wartet offenbar lieber darauf, dass Schwarz-Gelb die Erhöhung des Renteneintrittsalters „mit sozial gerechten Programmen“ unterstützt. Nun will die Linkspartei einen Gesetzentwurf einbringen, mit dem erreicht werden soll, dass die für 2012 vorgesehene Anhebung des Rentenalters zunächst um mindestens einen Berichtszeitraum der gesetzlich vorgesehenen Überprüfungsklausel (vier Jahre) verschoben wird. Das ist einerseits ein Schritt auf die anderen Oppositionsparteien zu – andererseits besteht das alte Problem, dass Anträge der Linken von SPD und Grünen mit dem Verdacht belegt sind, hier solle die frühere rot-grüne Regierung vorgeführt werden.

Wie weiter auf dieser Baustelle? Eine Mischung aus Moratorium und Versachlichung wäre das beste. Klaus Wowereit hat einen Beitrag zu letzterem geleistet – und darauf hingewiesen, dass die Rente mit 67 „versicherungsmathematisch Unsinn“ sei. Wenn das reale durchschnittliche Renteneintrittsalter näher an die 65 heranrückt, ist damit mehr zur Stabilisierung der Rentenkassen getan als durch Verlängerung für die wenigen, die bis 65 arbeiten, so Berlins Regierender Bürgermeister. Mit der Verlängerung über 65 hinaus müssten etwa aus gesundheitlichen Gründen so viele Ausnahmetatbestände geschaffen werden, dass dies zu einer erheblichen Belastung des Rentensystems führen würde und so finanzielle Entlastungseffekte wieder auffrisst. Demografische Trends würden außerdem dabei helfen, das reale Renteneintrittsalter in Richtung 65 zu verschieben: Betriebe würden es sich in Zukunft immer weniger leisten können, auf ältere Mitarbeiter zu verzichten, die sie heute noch mit staatlich subventionierten Sonderzahlungen aus ihren Unternehmen verdrängen.

Ob das und wenn ja in ausreichendem Maße geschieht, wird die Zeit zeigen – und die könnte mit einem Moratorium erreicht werden. Eine vorläufige Verschiebung des Starts der Rente mit 67 schafft den Spielraum, der gebraucht wird, um Klippen zu umschiffen und über Alternativen zu debattieren. Die brisante Frage des Umgangs mit der Rente mit 67 könnte so auch aus den Gesprächen um eine mögliche gemeinsame Regierungskooperation von SPD, Grünen und Linken herausgehalten werden - was nicht heißen soll, dass darüber nicht gestritten wird. Aber als "Bedingung" für oder gegen führt das Thema nur zur Selbstblockade. Mehr Zeit heißt außerdem: mehr Zeit, in SPD und Grünen um neue Kräfteverhältnisse zu ringen. Gregor Gysi hat es als „das Minimum“ bezeichnet, die Verschiebung des Renteneintrittsalters für zehn Jahre bis zum Jahr 2022 auszusetzen. „In dieser Zeit muss darum gestritten werden, sie gänzlich zu streichen.“ Der SPD-Abgeordnete Anton Schaaf hat vorgeschlagen, den Start der Reform erst einmal um fünf Jahre auf 2017 zu verschieben – gegebenenfalls könne die Rente mit 67 dann immer noch starten und mit einer schnelleren Anhebung sogar trotzdem 2029 abgeschlossen sein. So oder so: Es wäre mindestens eine Legislaturperiode Zeit, sich über eine grundlegend neue Politik der Alterssicherung zu verständigen – auch über die reine Rente hinaus. Wer nutzt sie?

auch erschienen auf lafontaines-linke.de

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Geschrieben von

Tom Strohschneider

vom "Blauen" zum "Roten" geworden

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