Unterm Schotter liegt der Strand: Ungehorsam gegen den Castor

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Vor dem für November angekündigten Atommülltransport ins Zwischenlager Gorleben werden angekündigte Protestaktionen zum Thema. Vor allem die Initiative „Castor schottern“ ist dabei ins Blickfeld geraten. Die Kampagne hat angekündigt, „Steine aus dem Gleisbett räumen“ zu wollen, wenn der nächste Transport mit strahlendem Müll ins Wendland rollt. Motto: „Die Atompolitik schafft Fakten. Auch wir schaffen Fakten: wir machen ein Loch.“ Der Versuch, die Proteste gegen Atomenergie über große Kundgebungen hinaus zu radikalisieren, und „den Schritt von öffentlicher Meinungsbekundung zu aktivem Widerstand“ zu machen, hat bereits zu heftigen Reaktionen geführt.

Niedersachsens CDU-Innenminister Uwe Schünemann kündigte an, „mit aller Härte“ gegen die Kritiker vorzugehen und drohte Demonstranten mit „vorsorglicher erkennungsdienstlicher Behandlung“. Dies wiederum rief die SPD auf den Plan, welche von „überflüssigen Provokationen“ sprach – zugleich aber die Castor-Schotterer warnte: „Manipulationen am Gleiskörper oder ähnliche Aktionen gefährden Menschenleben.“ Die Grünen in Niedersachsen vereidigten mögliche Blockaden an der Strecke ohne konkret auf die Gleisbett-Aktion einzugehen. „Es wird zivilen Ungehorsam geben“, meint Landtagsfraktionschef Stefan Wenzel. Aus seiner Sicht sei das aber keine Straftat. Was nicht für die Castor-schottern-Kampagne gilt, das ist selbst den Organisatoren bewusst. Ziel sei es, die Bahnstrecke für den Atommülltransport auf einem bestimmten Streckenabschnitt unpassierbar zu machen. „Wir suchen keinen Ärger, keine Auseinandersetzung“, wird Initiativen-Sprecher Christoph Kleine zitiert.

Schünemanns „Drohgebärde“ und die öffentlichen Reaktionen darauf haben nun abermals eine Diskussion über die Legitimität verschiedener Protestformen ausgelöst. Die hatte es auch in der Vergangenheit immer mal wieder gegeben, etwa im Zusammenhang mit den G8-Protesten in Genua und Heiligendamm. Und stets konnte man dabei nicht nur demonstrative Gesten der Distanzierung von „Gewalt, die uns nur schadet“ erleben, sondern auch Argumente hören, warum oft erst eine gewisse Radikalisierung politischer Aktionen deren Anliegen zum Thema einer breiteren Öffentlichkeit macht. (siehe etwa hier den Reader zur "Militanzdebatte" von 2007) Genau das, die Übertretung von Grenzen, der politisch kalkulierte Rechtsbruch, die taktische Inanspruchnahme medialer Erregungslogik, sind mit dem Widerstand gegen Atomkraft, nicht zuletzt jenem im Wendland, seit Anfang an verbunden.

Wenn es aber in der Vergangenheit eher die Grünen waren, die für sich in Anspruch nahmen, parteipolitischer Ausdruck der Proteste zu sein, müht sich inzwischen die Linkspartei, in eine ähnliche Rolle zu schlüpfen. Doch bei aller Enttäuschung über den rot-grünen Atomausstieg, der vielen Bewegten als fauler Kompromiss erschien, dominieren bisher weiter vor allem die Grüne das Bild der wiedererweckten atompolitischen Opposition, selbst die Sozialdemokraten stehen als glaubwürdige Garanten eines Atomausstiegs da. Die Tatsache, dass Bundestagsabgeordnete der Linken und deren nordrhein-westfälische Landesverband die Kampagne „Castor schottern“ unterstützen, bringt die Partei jetzt allerdings in die Schlagzeilen.

Linke ruft zu Straftaten auf“, heißt es in Meldungen, die Lüneburger Staatsanwaltschaft prüfe die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens. Die Fixierung auf die Unterzeichner der Linken in den Medienberichten überdeckt, dass auch Gewerkschaftssekretäre und Umweltaktivisten, Professoren und Künstler, etwa der Liedermacher Hannes Wader und Freitag-Autor Ekkehart Krippendorff den Aufruf unterstützen. Die Polizeigewerkschaft forderte inzwischen Nordrhein-Westfalens SPD-Ministerpräsidentin auf, sich vom Landesverband der Linken zu distanzieren. Der stellvertretende Fraktionschef der Partei im Bundestag, Jan von Aken, verteidigte seine Unterschrift unter dem Aufruf dagegen mit der Bemerkung, angesichts des zutiefst undemokratischen Charakters des schwarz-gelben Atomdeals sei ziviler Ungehorsam berechtigt: „Wenn die Regierung zu drastischen Mitteln greift, müssen wir auch zu drastischen Mitteln greifen.“

Die Behörden rechnen derzeit mit 50.000 Demonstranten im November – und haben den Einsatz von 16.500 Polizisten angekündigt. Die Initiative „Castor schottern“ hat die Beamten inzwischen direkt angesprochen: Wer sich nicht für „ungelöste politische Konflikte“ ins Feld schicken lassen möchte, heißt es mit Blick auf Äußerungen aus der Gewerkschaft der Polizei, solle seinen Groll nicht gegen die Proteste wenden – sondern gegen „diejenigen, die sie in diesen von der Bevölkerung abgelehnten Einsatz schicken“. Der Atomülltransport sei „gefährlich und teuer“ und müssen abgesagt werden. Damit rechnet zurzeit niemand. Die Kampagne „Castor schottern“ hat deshalb an die Polizisten appelliert, „sich lieber krank zu melden, als sich in einen unverantwortlichen Einsatz schicken zu lassen“.

Merkel und der Castor





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Geschrieben von

Tom Strohschneider

vom "Blauen" zum "Roten" geworden

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