Vom Rot werden: (k)ein Abschied von freitag.de

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Eigentlich sollte an dieser Stelle etwa über die Timeline-Pflicht von Facebook stehen. Das Thema war irgendwie auf die Agenda der Redaktionskonferenz geraten, von wegen Datenschutz, Zwangsbeglückung und überhaupt. Der Zuckerberg-Konzern ist halt kein Zuckerschlecken, und irgendwie war er das ja in Wahrheit auch nie. So groß die Euphorie ist, wenn sich in Nordafrika junge Menschen in sozialen Netzwerken zur Revolution verabreden, so verbreitet ist die Klage über die Banalität des Selbstgesprächs im eigenen Saft. Freunde? Naja.

Dass hier nun trotzdem nichts Gescheites über Facebook steht, hat Gründe: Selbst dort einen Account zu haben, ist als Expertise ein bisschen dünn. Von den KollegInnen, die sachkundig an der Datenschutz-Front kämpfen könnten, war wiederum gerade niemand da. Und der Autor selbst hat heute seinen letzten Tag beim Freitag, da ist es mit der Konzentration nicht mehr so weit her. (Außerdem schaut er sich lieber die Aktuelle Stunde im Bundestag an, Innenminister Friedrich war ganz aufgebracht, und irgendein Linken-Abgeordnete rief die ganze Zeit „Aufwachen“.) Es war, um hier nicht auch gleich wieder den Faden zu verlieren: eine schöne Zeit.

Zu Ende gehen ziemlich genau zwei Online-Jahre und 50 ebensolche Wochen. (Print habe ich die Legislatur hingegen ziemlich genau voll gemacht.) Wenn es so etwas wie eine Freitags-Timeline geben würde, dann tauchten darin sicher alle 683 „Beiträge“ und 376 „Kommentare“ auf. Wobei mir dieser Unterschied immer ein bisschen konstruiert erschien, weil man auf freitag.de viele Kommentare lesen konnte, die eine gute Figur als Beiträge gemacht hätten – und sind, umgekehrt, in einem „Meinungsmedium“ nicht von Natur aus alle Beiträge auch Kommentare? Wie dem auch sei, das Problem an der Freitags-Timeline wäre wohl das, wovor die Facebook-Datenschützer jetzt warnen: Man findet alles wieder, jeden Satz, auch solche, von denen man später meinte, es wäre vielleicht besser gewesen, wären sie ungeschrieben geblieben.

Etwa jenen Kommentar aus dem Jahr 2009, in dem eine noch Community-ungelernte Frustration sich dazu aufschwang, einen aus der „Chefkommentatorenriege“ (würde ich heute ja eher als Lob verwenden) wegen Pseudonymverwendung zu verwünschen, weil man „nicht mit Leuten“ reden wollte, „die aus der Hecke mit der Trottel-Verbrecher-Invektive schießen“. Ach ja, keine Ahnung ob Streifzug es mir nachgetragen hat. Wir haben später nicht mehr viel diskutiert, vielleicht gab es einfach keinen Grund, waren die Texte nicht pointiert genug, die Thesen lasch, die Themen alt, oder schon gesagt, was hätte gesagt werden können. Wer weiß.

Zugegeben, das Untergewicht der „Kommentare“ in meiner Freitags-Timeline zeigt schon eine gewisse Zurückhaltung an: In die Debatte unter den Beiträgen einzusteigen, empfand ich nie als so einfach, wie es offenbar manch anderen von „uns Blauen“ ging. Dem Kollegen-Trio Dell, Herden und Angele zum Beispiel ist es gelungen, in der selben Zeit zusammen über 2.500 Kommentare zu schreiben. Nein, kein Wettbewerb. Aber man fängt schon ein bisschen an nachzudenken, warum man selbst nicht.

Am ehesten noch ist es mir da klar, wo die Community Debatten um sich selbst herum führte. Wir müssen reden. Ja, aber wer ist "wir"? Und was hätte man sagen sollen? Zwischen der leisen Begeisterung, die aufkommt, wenn Leute aus einer bestimmten Rolle heraustreten und sich selbst ermächtigen, und dem sich dann trotzdem aufdrängenden Gedanken, was das Ganze eigentlich soll, schließlich bleibt ja doch Wesentliches unangetastet, hat eine gewisse Irritation obsiegt. Und dann hält man eben besser den Mund und verliert in der Folge irgendwann den Anschluss. Es wird irgendwann jemand seine Abschlussarbeit über das Dauerexperiment Freitag-Community schreiben. Vielleicht ist es ja sogar schon passiert.

Jeder Robinson braucht seinen Freitag“, hieß mal ein Werbespruch dieser Zeitung, als es hier noch als Vorteil betrachtet wurde, die Welt von einer ziemlich einsamem Insel aus zu betrachten. Wen ich das richtig verstanden habe, ist die Perspektive heute eine andere. Das muss nicht schlecht sein, ob es gut ist, werden andere besser beurteilen können. „Ein Abschied verleitet immer dazu, etwas zu sagen, was man sonst nicht ausgesprochen hätte“, soll die sonst weithin vergessene Knigge-Autorin Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem einmal gesagt haben. Da gäbe es wohl eine ganze Menge. Aber vielleicht reicht das hier: Jeder noch so neue Freitag wird seine Community brauchen. Und ab morgen bin ich einer von den Roten.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Tom Strohschneider

vom "Blauen" zum "Roten" geworden

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