Wessen Wasser, welche Verträge? Vor dem Volksentscheid in Berlin

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Wie am Sonntag der Volksentscheid zur Offenlegung der Berliner Wasser-Verträge ausgeht, ist nicht einfach zu prognostizieren. Einerseits glauben viele, die Angelegenheit habe sich mit der Veröffentlichung von Papieren zunächst in der Tageszeitung und später auch beim Senat selbst erledigt. Andere halten einen Teil der Formulierungen aus dem Volksentscheid juristisch für wackelig. Den nächsten geht es ums demokratische Prinzip und wieder andere glauben der rot-roten Stadtregierung nicht, dass da wirklich schon alle Kontrakte öffentlich sind. Letztere Vermutung hat am Freitag durch eine Meldung der Nachrichtenagentur dapd neue Nahrung bekommen: Ein Bericht der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG aus dem Jahr 1999 führe neben dem schon bekannten Konsortialvertrag noch fünf weitere Kontrakte aus diesem Jahr auf. Die Initiative „Berliner Wassertisch“ forderte umgehend, auch diese Verträge einzusehen. Der Senat wies den Vorwurf inzwischen zurück: Im Volksentscheid werde lediglich die Offenlegung von Verträgen gefordert, die „zwischen dem Land Berlin und den privaten Anteilseignern geschlossen worden sind“ – die nun in Rede stehenden Papiere seien dagegen rein konzerninterne Unterlagen. Ein im Netz kursierender Auszug aus dem KPMG-Bericht legt dagegen anderes nahe.

Auszug aus dem KPMG-Bericht von 1999 - hier
Konsortialvertrag und Anlagen zur Teiprivatisierung - hier

Die Angelegenheit wird dadurch nicht weniger kompliziert. Das gilt schon allein für die Materie, in die Wassertisch-Aktivisten tief eingestiegen sind, die aber vielen Berlinern spätestens seit der Veröffentlichung der Verträge im November nur noch schwer zu vermitteln ist. Schließlich ist der rot-rote Senat inzwischen auch für einen Rückkauf der Anteile an dem teilprivatisierten Unternehmen, im Sommer 2010 verabschiedeten SPD und Linkspartei zudem ein Informationsfreiheitsgesetz, das die Veröffentlichung von Verträgen vorschreibt, wenn Aufgaben der Daseinsvorsorge an Dritte übertragen werden. Das geht den Initiatoren des Volksentscheids nicht weit genug, doch mitunter ist ihre Argumentation nicht eben leicht verständlich. „Wenn der Senat gegen ein Gesetz ist, das für den Fall einer Geheimhaltung klare Rechtsfolgen hat, ist das doch ein klares Indiz, dass da noch etwas schlummert“, hat Wassertisch-Sprecher Thomas Rudek jetzt noch einmal in der Tageszeitung insistiert – musste aber zugleich zugeben, dass eines der Argumente Pro-Volksentscheid auf der Webseite der Initiative falsch ist.

Nun kommt bei alledem noch ein parteipolitischer Rahmen, der nicht zuletzt durch den nahenden Wahltermin bestimmt wird. Schon als die Tageszeitung den bis dahin geheimen Konsortialvertrag leakte, hatte es Stimmen gegeben, die fragten, ob der journalistische Coup in der den Grünen nahe stehenden Zeitung nicht noch eine andere Dimension haben könnte: Wahlkampf. Berlins Linkenchef Klaus Lederer hat im Neuen Deutschland eine Spitze in Richtung Wassertisch-Sprecher losgelassen: „Warum er sich statt dessen zur Mobilisierung für Sonntag auf uns einschießt, SPD, CDU und Private aber beiseite lässt, hat mir der Sozialdemokrat Thomas Rudek bisher nicht erklären können.“ Wichtiger sei es doch jetzt ohnehin, den Kampf um den Rückkauf der Anteile an den Wasserbetrieben, zu dem es gehöre, einen Investoren-freundlichen Senat zu verhindern. Wer Rekommunalisierung befürworte, so die implizite Lederer-Botschaft, müsse die Linkspartei wählen.

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Die Tageszeitung bringt nun, kurz vor dem Wasser-Volksentscheid, ein neues Argument dagegen und meldet, der linke Wirtschaftssenator Harald Wolf habe sich im Jahr 2003 für eine noch stärkere Erhöhung der Wasserpreise eingesetzt. Das Blatt bezieht sich auf senatsinterne Unterlagen, die ihr „exklusiv vorliegen“. Gegen den designierten Spitzenkandidaten der Linken habe sich damals die damalige SPD-Justizsenatorin Karin Schubert gestellt. Die Pressestelle der Senatsverwaltung für Wirtschaft, so die Tageszeitung, habe dazu jetzt keine Stellung nehmen wollen: „Es macht keinen Sinn, Entwürfe zu kommentieren, die letztendlich nach juristischer, tarifrechtlicher, wirtschaftlicher und politischer Prüfung verworfen wurden.“

2,47 Millionen Berliner sind am Sonntag stimmberechtigt, rund 615.000 müssten sich beim Volksentscheid für den Gesetzentwurf der Initiatoren aussprechen, wenn der erfolgreich sein soll. Nimmt man die Anträge für eine Briefwahl zum Vergleich, wird die Teilnahme am Sonntag wohl geringer ausfallen als bei den letzten Berliner Abstimmungen über Pro Reli und den Flughafen Tempelhof. „Es wird schwer, den Volksentscheid erfolgreich zu gestalten“, sagte Mehr-Demokratie-Vorstand Michael Efler im Neues Deutschland voraus. „Aber der Sonntag wird entscheiden.“ Eine Teilnahme hält Efler so oder so für sinnvoll: „Es geht darum, ein demokratisches Grundrecht auszuüben, das einst erkämpft worden ist.“

(erschienen auf lafontaines-linke.de)

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Geschrieben von

Tom Strohschneider

vom "Blauen" zum "Roten" geworden

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