Gestaltung aus der zweiten Reihe?

Berlin-Wahl Obwohl sie mit Grünen und Linken selbst weiterregieren könnte, will Franziska Giffey nun also ihre SPD zur Juniorpartnerin der CDU machen. Ein beispielloser Schritt - angeblich allein zum Wohl der Stadt. Große Skepsis ist angebracht

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Sie hat es also wirklich getan. Obwohl ihre bestehende Koalition aus SPD, Grünen und Linke im Berliner Abgeordnetenhaus weiterhin eine Mehrheit hat, will die (noch) Regierende SPD-Bürgermeisterin Franziska Giffey lieber der CDU und deren Landeschef Kai Wegner das Rote Rathaus – und damit die Richtlinienkompetenz der Berliner Politik – überlassen. Es wäre ein beispielloser Schritt. Wer als Spitzenkandidat*in zu einer Wahl antritt, sollte normalerweise mit einem starken Gestaltungswillen an den Start gehen. Und wer diesen Willen – wie knapp auch immer – am Ende gar als Gestaltungsmöglichkeit über die Ziellinie gerettet hat, überlässt sie in der Regel nicht einfach seinem Kontrahenten.

Natürlich: Die SPD-Konservative Giffey ist offensichtlich der Überzeugung, als – zwar – Juniorpartnerin der Union, aber dafür mutmaßliche „Supersenatorin“ mit erweitertem Ressortbereich, besser gestalten zu können denn als Chefin einer – aus ihrer Sicht – widerspenstigen links-grünen Koalition, mit der sie von Anfang an gefremdelt hat. Dass diese Koalitionspartner gemeinsam immer noch mehr Wähler*innenzuspruch bekommen haben als die vermeintliche Wahlsiegerin CDU, die weniger wegen eigener Inhalte, sondern vor allem deswegen so stark zugelegt hat, weil das Wahlvolk mit der SPD unzufrieden war – egal.

Giffey kann nun so tun, als würde sie demütig das Wahlergebnis akzeptieren und einem angeblich gewünschten Regierungs-„Wechsel“ den Weg bereiten. In Wahrheit sichert sie damit der größten Wahlverlierin SPD vermutlich mehr Senatorenposten als vorher und sich selbst wohl den größten. Und in der Tat: Was ein SPD-Bericht als Ergebnisse der Sondierung festhält, scheint deutlich mehr Zugeständnisse der Union zu beinhalten, zugleich aber auch Anliegen der rot-grün-roten Regierung zu umfassen.

Etwa im Bezug auf den Volksentscheid zur Enteignung großer Wohnungskonzerne, auf dessen Umsetzung vor allem die Linke Wert gelegt hatte, während die SPD stets mauerte. Hier will Schwarz-Rot nun ein „Vergesellschaftungsrahmengesetz“ auf den Weg bringen, obwohl sowohl Wegner als auch Giffey weiterhin gegen Enteignungen sind – erst recht gegen pauschale, wie es die Volksentscheids­vorlage ab einem Besitz von mehr als 3000 Wohnungen vorsieht. Laut Giffey sei es stattdessen „viel wirksamer“ und „viel schneller“, Wohnungen für den kommunalen Bestand „anzukaufen“, so meldet die DPA. Wie genau das dazu nötige „Sondervermögen“ in dem stark eingeschränkten Landeshaushalt funktionieren soll, oder an welchen anderen Stellen dafür dann gespart werden muss, bleibt abzuwarten.

Bei der Polizei soll das jedenfalls nicht passieren, da sind sich SPD und CDU einig. Rettungs- und Sicherheitskräfte sollen sowohl finanziell als auch in ihren Befugnissen gestärkt werden, so der Sondierungsbericht weiter. Auch das 29-Euro-Nahverkehrsticket soll trotz bundesweitem 49-Euro-Ticket bleiben. Besonders überraschend ist allerdings, dass die CDU anscheinend sowohl für die Fortführung des Landesantidiskriminierungsgesetzes als auch für ein Wahlrecht ab 16 Jahren gewonnen werden konnte. Beides hatte sie im Wahlkampf noch vehement abgelehnt.

Es ist natürlich nichts Neues, dass nach der Wahl andere Regeln herrschen als vorher. Geht es im Wahlkampf vor allem darum, im Bereich des eigenen Lagers zu punkten, muss eine Regierungskoalition dann möglichst Politik für alle machen. In der besten aller möglichen Welten würde eine schwarz-rote Regierung das in Zukunft wirklich tun. Bevor davon allerdings nicht irgendetwas tatsächlich zu sehen ist, darf man – gerade auch angesichts der GroKo-Erfahrungen in Berlin und Bund – weiterhin sehr skeptisch bleiben.

Die Berliner rot-schwarze Koalition kam übrigens 2011 nur dadurch zustande, dass SPD-Bürgermeister Klaus Wowereit noch nach Beginn von Koalitionsverhandlungen kurzerhand die designierten Grünen gegen die CDU austauschte. Momentan machen innerhalb der SPD vor allem die Jusos gegen eine Berliner GroKo mobil. Sollten sie damit Erfolg haben, wird diesmal dann vielleicht noch die SPD ausgetauscht.

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Geschrieben von

Tom Wohlfarth

Politische Theorie und Kultur

Tom Wohlfarth

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