Polizei-Alltag in der Ukraine

Ukraine/Pawel Scheremet Eine Lageeinschätzung nach dem Mord an Journalist Pawel Scheremet vom Gründer der ukrainischen Kriminalpolizei, Polizei-Oberst Walerij Kur

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Ich mag sie, die alten, erfahrenen Kader aus Sowjetzeiten, vor allem, wenn sie in Rente sind. Dann paaren sich jahrzehntelange Berufserfahrung mit ungeschminkten Einschätzungen. Und es gibt Prognosen, die man gewöhnlich nicht in Zeitungen liest. Diese Leute machen keine PR für irgeneine windige Regierungs-Reform. Sie treibt die Sorge um die Heimat.

Da ist zum Beispiel der Gründer der ukrainischen Kriminalpolizei UBOP, Polizeioberst Waleri Kur. In einem Interview http://obozrevatel.com/crime/04796-odin-iz-osnovatelej-ubopa-valerij-kur-sheremeta-ubili-professionalyi-so-spetsnavyikami.htm mit der Kiewer Internetplattform Obosrewatel spricht der Oberst über den tödlichen Anschlag auf den Journalisten Pawel Scheremet, der am Mittwochmorgen im Zentrum von Kiew durch eine Bombe im Auto getötet wurde.

Der Anschlag habe eine hohe demonstrative Wirkung gehabt und wurde auf höchstem professionellen Niveau ausgeführt, stellt der Oberst fest. Außer dem Journalisten sei Niemand zu Schaden gekommen. In der Ukraine seien zehntausende Männer durch die Hölle des Krieges gegangen. Und es gäbe jetzt viele Männer mit „psychischen Deformationen“, die derartige Anschläge ausführen können. Polizei und Geheimdienst in der Ukraine zehrten zwar noch von jahrzehntelanger Erfahrung befänden sich aber insgesamt auf einem sehr niedrigen, professionellen Niveau. Es gäbe Pseudoreformen der Polizei aber „keinen realen Kampf gegen das Verbrechen“. Angesichts zahlreicher Verbrechen, reiche die Zahl qualifizierter Ermittler nicht aus. So werde die Aufklärung verzögert. Oft würden auch die Täter liquidiert, um Spuren zu verwischen. Der Kampf gegen Journalisten werde vermutlich so lange weitergehen, „bis wir es lernen, die Demokratie zu schützen“.

Der Anschlag gegen den Journalisten Pawel Scheremet sei ein schwerer Schlag gegen die Macht in der Ukraine, insbesondere auch deshalb, weil Scheremet der Regierung nahe stand.

Wer war Pawel Scheremet, der im Alter von 44 Jahren starb? Ein Fernsehjournalist, der für den ersten russischen Kanal arbeitete, ein Freund des russischen Reformers Boris Njemzow. Scheremet war nicht nur in Russland und der Ukraine bekannt, sondern auch in Weißrussland, wo er geboren wurde und sich seine ersten Sporen als Kritiker des weißrussischen Präsidenten Aleksander Lukaschenko verdiente.

2014 siedelte Scheremet von Moskau nach Kiew über. Der Grund war seine Kritik an der "Anexion der Krim" und der Einmischung Russlands in der Ost-Ukraine.

In Kiew wurde Scheremet Geschäftsführer des regierungsnahen Internet-Portals Ukrainskaja Prawda. Außerdem arbeitete er für Radio Vesti.

Das Kiewer Internetportal Obosrewatel veröffentlichte heute Aufnahmen http://obozrevatel.com/crime/70936-ubijstvo-pavel-sheremet-video-zakladka-vzryivchatka-vzriv-killer-zhenshina.htm einer Überwachungskamera, aufgenommen in der Nacht auf Mittwoch. Um 00:22 ist ein Mann zu sehen der in die Hocke geht und offenbar etwas für die Anbringung des Sprengsatzes unterhalb des Autos der Marke Subaru vorbereitet. Es ist das Auto in dem Scheremet am Mittwochmorgen zur Arbeit fuhr und von einem vermutlich ferngesteuerten Sprengsatz getötet wurde. Um 2 Uhr 33 gehen in 15 Meter Abstand ein Mann und eine Frau zum Haus in Richtung des Hauses indem Scheremet wohnt. Die Frau hält eine Tasche oder eine Tüte von einigem Gewicht. Die Ermittler meinen, dass sich in der Tüte der Sprengsatz befand. Um 2:39 holt die Frau den Sprengsatz aus der Tüte/Tasche und bringt ihn in der Nähe des Fahrersitzes an. Danach verlässt sie den Ort.

Es war eine lauschige Sommernacht in Kiew. Die Straßenlaternen brannten. Die Attentäter bewegten sich ohne Hektik und zwanglos. Sie fühlten sich unbeobachtet.

Im Frühjar 1992, als ich mehrere Monate in Kiew lebte und meine ersten Geh-Versuche als Auslandskorrespondent machte, hätte ich mir nicht vorstellen können, dass in dieser Stadt einmal Journalisten gejagt werden.

Am Sonnabend wird Pawel Scheremet in seiner Geburtsstadt Minsk beerdigt.

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