Amaryllis im Winter

Friends of Amarillis Das Berliner „Radialsystem“ brillierte mit frühbarockem Silvesterfeuer

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Die Amaryllis blüht bekanntlich am schönsten im Winter. Das gilt gelegentlich auch für musikalische Blüten wie sie zu Sylvester im Berliner „Radialsystem“ zu bewundern waren. Dramaturgisch von Folkert Uhde auf die Bühne gepflanzt, spross ein dreifacher Ritterstern, wie die Amaryllis auch genannt wird, erst zart tönend, dann expressiv und opulent. „Friends of Amarillis“ nennt sich die Produktion, die das Ensemble „Urban Strings“, ein Zusammenschluss von Instrumentalsolisten, darunter der bekannte Violinist Georg Kallweit, zur Uraufführung brachte und mit verschwenderischer Farbenpracht bestach.

Georg Kallweit konnte man dabei mit seiner Barockvioline als erstaunlich kämpferischen Straßenmusiker zu erleben. Zusammen mit seinem Partner, dem Schlagzeuger und Gitaristen Michael Metzler, wandelte er zunächst auf den Spuren von Django Reinhardt und Stéphane Grapelli. Aus der trauten Zweisamkeit entwickelte sich allerdings feindselige Konkurrenz, als sich die schöne Margret Köll dazugesellte. Zwischen den beiden Musikanten entbrannte ein heftiger musikalischer Streit um die Gunst der Holden, die unbeeindruckt davon an ihrer Barockharfe saß und ungeachtet des einstigen Disputs, ob Bach auf Cembalo oder Klavier zu spielen sei, ihr Instrument als weitere Option offerierte.

Beim Streifzug durch die barocke Violinen-Literatur verbanden sich Geige und Harfe aufs Innigste, selten wurde die Aria aus Bachs Goldberg-Variationen so harmonisch-anmutig präsentiert. Metzler hingegen brachte im Fight gegen seinen Kontrahenten unterschiedlichste Schlaginstrumente in Anschlag. Solistisch brillierte er auf einem Tamburin, dem Kallweit lediglich das Klappern auf Pseudo-Kastagnetten entgegenzusetzen hatte.

Während der virtuose Geiger Arpeggien der „Imitazone delle Capmpane“ von Johannn Paul von Westhoff zelebrierte, sekundierte Metzler auf einem riesigen Glockenspiel. Die „Battalia“ von Heinrich Ignaz Franz von Biber bildete den musikalischen Background dieses erbitterten Duells zwischen Geigenbogen und Trommelschlegel.

Beachtliche akrobatische Fähigkeiten demonstrierte Metzler indessen bei Johann Georg Albrechtsberger mit einem rasenden Wechsel der Maultrommeln. Den weithin bekannten „La Follia“-Variationen von Arcangelo Corelli entlockten die drei Musiker neue Facetten: Metzlers Barockgitarre und Kastagnetten entfachten spanisches Feuer, das wiederum Kölls Harfe herausforderte.

Metzlers musikalische Vielseitigkeit wiederum offenbarte sich im begeisternden Solospiel auf dem völlig unbekannten Schweizer Instrument Hang, zwei zusammengefügte Halbschalen aus Metall mit eingearbeiteten Klangfeldern, das eher asiatisch als alpenländisch anmutet und mit den Fingern gespielt wird.

Bilderreichtum, Spielfreude und Experimentierfreudigkeit kennzeichnet diese Produktion unter der Regie von Ilka Seifert. In „Friends of Amarillis“ geht es um eine dramatische Liebesgeschichte, die nicht nur musikalisch, sondern auch lichtoptisch und darstellerisch unter die Haut geht. Die Effekte der Eingangsszene, in der die Harfenistin nur als Schatten auftritt, werden im Finale noch einmal aufgenommen: Zunächst führen die drei Musiker die „Ciaconna“ von Andrea Falconiero als Schattenspiel hinter einer Leinwand auf, dann treten sie auf die Bühne, während das Trio hinter der Leinwand im Playback weiterspielt und beide Geigen verschmelzen.

Bleibt zu hoffen, dass das völlig ausverkaufte Konzert zur Jahreswende nicht die letzte Blüte der „Friends of Amarillis“ gewesen sein wird.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

Ulrike Baureithel

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden