Ampel auf Gelb

Pandemische Lage Das Ende des Ausnahmezustands kann Grünen, SPD und FDP nicht schnell genug kommen. Solchen Tatendrang bräuchte es beim fehlenden Pflegepersonal
Ausgabe 43/2021
Die künftige Ampel-Koalition hat in Sachen Corona-Politik vorgelegt, bevor es überhaupt steht. Überraschend und leise wie bei den Sondierungsverhandlungen
Die künftige Ampel-Koalition hat in Sachen Corona-Politik vorgelegt, bevor es überhaupt steht. Überraschend und leise wie bei den Sondierungsverhandlungen

Foto: Jens Schlueter/Getty Images

Ende Notstand? Schluss mit dem Ausnahmezustand? Symbolische Entwaffnung der Corona-Leugner:innen, die die staatlichen Maßnahmen als propagandistische Munition missbraucht haben? Was Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), der am Dienstag gemeinsam mit dem gesamten Kabinett seine Entlassungsurkunde entgegennahm, schon angekündigt hat, wird nun von anderen umgesetzt. Die seit Frühjahr des Jahres geltende „epidemische Lage nationaler Tragweite“, die für bislang nicht vorstellbare Grundrechtseingriffe sorgte, wird nach Willen von SPD, Grünen und FDP Ende November auslaufen. Obwohl die Ampel gerade erst ihre Koalitionsverhandlungen aufgenommen hat, demonstriert sie: Wir reagieren und regieren. Auch wenn Spahn und die Union damit gerechnet haben mögen, einen Keil in das Dreierbündnis zu treiben und die FDP vorzuführen.

Eine schnelle Reaktion war auch notwendig. Die Infektionszahlen steigen seit einiger Zeit wieder kontinuierlich an, und was ein Corona-Grippe-Winter für die Krankenhäuser im Land bedeutet, ist bisher nicht absehbar. Nach Willen der Koalitionäre soll nun vom 25. November an eine bis zum 20. März 2022 währende Übergangszeit gelten, während der die Bundesländer auf Grundlage von Paragraf 28a des Infektionsschutzgesetzes eigene Regelungen treffen können zu Maskentragen, Abstandhalten, Kontaktbeschränkungen und dem Umgang mit den 2G- bzw. 3G-Regeln. Gleichzeitig werden der einfache Zugang zur Grundsicherung und andere pandemiebedingte Sonderregelungen verlängert.

Segnet der Bundestag im November diesen Plan, der bis dahin in ein Gesetz gegossen werden soll, ab, wird also eintreffen, was viele Kritiker schon befürchtet haben: ein föderaler Flickenteppich. Er führt dazu, dass zum Beispiel in Bayern Weihnachtsmärkte ohne Masken besucht werden dürfen, in Berlin, wie zu hören ist, dagegen nicht. Daran wird die Republik kaum zugrunde gehen, auch wenn es für den einen oder die andere nicht einleuchtend sein mag.

Entscheidend für den Verlauf der Pandemie in den kommenden Monaten wird ohnehin sein, wie schnell für die unter Zwölfährigen ein Impfstoff bereitsteht. In den USA hat der Impfausschuss der zuständigen Behörde der FDA gerade grünes Licht für die Notfallzulassung eines Vakzins von Biontech/Pfizer gegeben, mit dem demnächst Kinder über fünf Jahre geimpft werden sollen. Die Vorteile überwögen das Risiko, so dessen Stellungnahme, die von deutschen Fachleuten zurückhaltend aufgenommen wurde. Doch auch hierzulande wird ein Impfstoff für Kinder kommen – dann werden Bedenken von Fußballspielern eine immer geringere Rolle spielen.

Das künftige Regierungsbündnis hat also vorgelegt, bevor es überhaupt steht, überraschend und leise wie bei den Sondierungsverhandlungen. Das ist offenbar Teil des „neuen Politikstils“, den die Koalitionäre sich auf die Fahnen geschrieben haben. Niemand braucht Koalitionsgetöse. Aber zu hoffen ist, dass daraus keine Politik der Hinterzimmer und Überrumpelungen wird.

Noch mehr wünscht man sich, dass die neue Regierung auch dort schnell Durchschlagskraft zeigt, wo es dringend notwendig ist: in der Pflege und den Krankenhäusern, dem Flaschenhals der Pandemie. Erst wenn dem Personalnotstand begegnet wird, wird es zu keinen Notfalllagen mehr kommen. Und hier sind auch die Tarifpartner der Länder in der Pflicht bei den gerade laufenden Tarifverhandlungen.

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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

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