Der Kompromiss zur Neuregelung des Transplantationsgesetzes erinnert an die legendär gewordene paradoxe Formel bei der Schwangerschaftskonfliktberatung: „Ergebnisoffen“ sollten die Beraterinnen tätig sein, hieß es damals, aber auch „zielorientiert“, also Schwangere zum Kind ermutigen. Was bei dieser eigentlich unlösbaren Aufgabenstellung überwiegt, hängt seither von der Haltung der Beraterinnen ab.
Eine Institution zur Beratung wird es bei der Organspende künftig wohl nicht geben. Doch sollen die Bürger bei der Ausgabe ihrer Versichertenkarte oder des Personalausweises demnächst regelmäßig gefragt werden, ob sie bereit wären, Schwer- oder Todkranken im Fall der Fälle Organe zu überlassen. Dies soll „mit so viel Nachdruck wie möglich“ geschehen. Die Entscheidung der Betroffenen soll aber gleichzeitig „völlig freiwillig“ bleiben. Da fragt man sich schon, wie ein solcher Doppelbinder – nämlich „zielorientiert“ im Hinblick auf die Erhöhung des „Organaufkommens“ und dennoch „ergebnisoffen“ – gelöst werden soll.
Weder soll eine Antwort erzwungen werden noch die Verweigerung der Spende mit Sanktionen geahndet werden. Aber was passiert, wenn trotz nachdrücklicher Überzeugungsarbeit – von wem eigentlich? – die Spenderzahlen sinken, während, aus welchen Gründen auch immer, der Bedarf an Organen steigt?
Wenig gewonnen
Die vorgeschlagene Formel ist ein Kompromiss von Gesundheitsminister Daniel Bahr mit Experten aller Bundestagsfraktionen, die nun einen gemeinsamen Antrag ausarbeiten sollen. Damit würde die geltende Zustimmungsregelung – das heißt, die schriftlich fixierte Einwilligung des Spenders zu Lebzeiten oder die seiner Angehörigen, wenn ein Spender als hirntot diagnostiziert wird – durch eine „Entscheidungsregelung“ ersetzt. Regelmäßig muss man sich also künftig erklären, ob man diesem Akt der „Nächstenliebe“, wie es in offiziellen Verlautbarungen heißt, nachkommt oder ihn verweigert. Der Gruppenantrag, da sind sich alle Beobachter einig, wird angesichts der breit angelegten Einigung durchkommen. Insofern ist das Prozedere des Gruppenantrags ohne Fraktionszwang – anders als bei anderen ethischen Entscheidungen im Bundestag – diesmal wenig spannend.
Mit der Entscheidungsregelung, sagen Transplantationsmediziner, sei wenig gewonnen. Das ist realistisch, weil das Problem weniger im Egoismus der Menschen oder der Funktionalität der Abläufe liegt, sondern im gesamten System. Darüber wird selten gesprochen, viel dagegen über private Gedankenlosigkeit. Wenn aber künftig „mit Nachdruck“ insistiert wird, ist viel Wissen und Mut gefragt, um „Nein“ zu sagen.
Johannes Singhammer, Vizechef der Unionsfraktion, hat dieses „Nein“ kürzlich öffentlich gemacht und begründet, weshalb er keine Organe spenden, aber auch keine empfangen will. Man muss Singhammers politische Haltung überhaupt nicht teilen und kann seine Argumente dennoch sehr ernst nehmen: Die Frage, ob ein hirntoter Mensch ein Sterbender ist, der Betreuung erwarten darf, gehört ebenso dazu wie die Überlegung, ob man die Bürger überreden darf, ihre Organe zu spenden, und was es für unser Menschenbild bedeutet, wenn Teile des Menschen austauschbar werden.
Als CSU-Politiker diese Art verordneter Nächstenliebe zu verweigern, ist mutig – mutiger jedenfalls, als sich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einzuschwören, den der Zeitgeist diktiert.
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