Von der Gutenberg- in die Guttenberg-Galaxis: Plagiat ist überall

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Wie der Pressesprecher eines Bundesliga-Vereins zum Plagiatjäger wurde

Ach , wie war es doch vordem in alten Zeiten so bequem, mag mancher Kollege sich denken. Damals, als es noch kein Internet gab, sondern nur heimische Archive, aus denen man plünderte, was Herz und Zeitdruck begehrten und man relativ sicher sein konnte, dass einem keiner schnell auf die Schliche kam. Das Abschreiben war zwar etwas mühsamer als das copy-and-paste-Verfahren, dafür verschaffte einem die motorische Übung die Illusion, dass das, was da in die Olympia oder später in die IBM-Kugelkopf gehauen wurde, dem eigenen Kopf entsprang. Der Wechsel vom Gutenberg- ins Guttenberg-Zeitalter bringt nun aber eine ganz neue Profession hervor, den Plagiatjäger, der nicht nur in akademischen Höhen west, sondern mithin auch in den journalistischen Niederungen auf die Pirsch geht und Blattschüsse austeilt.

Ein hübsches Beispiel für dieses neue Gesellschaftsspiel lässt sich gerade im deutschen Südwesten verfolgen: Auf dem Blog „Sonnhalde – Über Leben im Breisgau“ verfolgt Rudi Raschke minutiös den Klau einer Kollegin der in Freiburg erscheinenden Badischen Zeitung. Rudi Raschke, muss man wissen, ist nicht irgendwer, sondern der Pressesprecher des (fast) beliebtesten und derzeit sogar recht erfolgreichen SC Freiburg. Unter dem Kolumnentitel „Kistlergate“ hat er eindrucksvoll versammelt, was die Redakteurin – unter anderem aus der Berliner Presse von Tagesspiegel über Morgenpost bis B.Z. – so aufgelesen hat (von publizistischen Schwergewichten wie „Spiegel“ und Co. mal ganz abgesehen): rudiraschke.wordpress.com/

Was mir schon vor über einer Woche zugespielt wurde und ich mir– zu skrupulös, um jemanden, den ich nicht kenne, auf diese Weise an die Wand zu nageln – verkniffen habe mitzuteilen, haben nun, wie ich im genannten Blog lese, andere Medien aufgegriffen. Angeblich soll es in der Badischen Zeitung eine Kommission geben, die den Fall aufarbeitet – ob das stimmt, ist unbekannt. Raschke versichert, ihm sei es nur um saubere journalistische Recherche gegangen.

Keine Frage: Abschreiben ist auch im Journalismus kein Kavaliersdelikt, auch wenn von unsereins keine im engeren Sinne wissenschaftliche Sorgfalt erwartet wird und Fußnoten verpönt sind. Ich frage mich allerdings, wohin die Reise noch gehen wird: Werden wir demnächst ein Volk von Plagiatsjägern und jeden, mit dem wir in beruflichem und privatem Clinch liegen, auf diese Weise verfolgen? Der denunziatorische Unterton, den derlei „Enthüllungen“ mitunter haben können, erscheint mir nicht nur degoutant, sondern auch gefährlich. Ich jedenfalls möchte den Kollegen noch vertrauen können und nicht in jedem einen Plagiator vermuten.

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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

Ulrike Baureithel

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