An die Füße fassen

Umschulung Katja Oskamp fräst Zehennägel, schabt Hornhaut ab. So lernt sie Marzahn kennen und lieben
Ausgabe 32/2019
Von der Schriftstellerin zur Fußpflegerin – Absturz oder Aufstieg?
Von der Schriftstellerin zur Fußpflegerin – Absturz oder Aufstieg?

Foto: Imago Images/Imagebroker

Was macht eine Schriftstellerin, wenn kein Verlag ihr neues Buch haben will? Verzweifeln und in die Depression stürzen nach 20 Absagen? Einfach weiterschreiben in der Hoffnung, dass es mit dem nächsten Text besser klappt? Oder eine Kehrtwende vollziehen, um etwas anderes zu machen? Die Berliner Autorin Katja Oskamp, die Anfang des Jahrtausends Erzählungen und Romane bei renommierten Verlagen wie Eichborn oder Ammann veröffentlicht hat, entschied sich vor rund vier Jahren für letztere Option. Das war eine mutige Entscheidung: Mit Mitte 40 einen Neuanfang außerhalb des Kulturbetriebs zu wagen, das traut sich nicht jedefrau.

Zumal wenn es sich dann noch um ein Gewerbe handelt, bei dem Vorbehalte und Klischees zusammenkommen: Katja Oskamp ließ sich zur Fußpflegerin ausbilden und begann in einem Salon in Berlin-Marzahn zu arbeiten. „Ich erzählte zuerst niemandem von meiner Umschulungsaktion“, schreibt Oskamp. „Als ich es dann doch tat und lachend mit dem Zertifikat wedelte, schlugen mir Ekel, Unverständnis und schwer zu ertragendes Mitleid entgegen. Von der Schriftstellerin zur Fußpflegerin – ein fulminanter Absturz.“

Statt sich mit Metaphern, Handlungsbögen und Stilfragen zu plagen, muss sie nun zumeist älteren Leuten die Hornhaut abschaben, Zehennägel abfräsen oder lästige Hühneraugen entfernen. Was sie dabei in der Plattenbausiedlung im Osten Berlins erlebte, hat Oskamp bereits in einigen Kolumnen in der Zeit berichtet. Marzahn, mon amour nun zeichnet ein anrührendes Porträt der Menschen und ihrer Geschichten, zwischen Tragik, Komik und Absurdität oszillierend.

Da ist etwa der ehemalige Parteifunktionär mit der karierten Schiebermütze, der die Fußpflegerin mit unverändert herrschaftlichem Gestus und arroganter Hochnäsigkeit behandelt. In totaler Verkennung der Verhältnisse fragt er sie sogar, ob sie Interesse an Sex habe, denn sie sei „nicht dumm und hätte eine ‚äroudische‘ Ausstrahlung“. Oder Herr Hübner, bei dem der erschreckende Verwahrlosungsgrad der Gehwerkzeuge, was Optik wie Geruch betrifft, veritablen Ekel bei Oskamp auslöst.

Dessen zwei Begleiterinnen stellen sich als Sozialbetreuer heraus, deren Blicke „mir mitteilten, dass in meinem Leben einiges schiefgelaufen sein müsse, wenn ich mit einer derart abstoßenden und schweißtreibenden Tätigkeit mein Geld zu verdienen gezwungen war“. Doch erfreuliche Erlebnisse überwiegen. Etwa die Begegnungen mit der Stammkundin Frau Frenzel und ihrem charmanten Dackel. Über den kürzlich verstorbenen Schlagersänger Costa Cordalis weiß Frau Frenzel zu berichten: „Der hat sich ausm Hintern Fett ins Jesicht spritzen lassen, wennse den küssen, knutschense den sein Arsch.“

Katja Oskamps Buch ist ein beeindruckender Bericht über den urbanen Mikrokosmos Marzahn, in dem die Vorurteile über dieses Viertel von Berlin sowohl bestätigt wie über den Haufen geworfen werden. Nicht zuletzt aber erzählt das Buch zugleich davon, wie sich eine Schriftstellerin eine neue Existenz aufbaut, ungeachtet des Desinteresses des Literaturbetriebs und entgegen den gesellschaftlichen Widerständen, mit denen Frauen mittleren Alters kämpfen müssen.

Dass sie nun zugleich davon zu berichten vermag, macht Marzahn, mon amour zum Dokument eines geglückten Wagnisses: „Du bist in einem Alter, in dem sich, wenn ein Abenteuer beginnt, der Gedanke an dessen Ende bereits klammheimlich einschleicht. Die mittleren Jahre, in denen ich als Fußpflegerin in Marzahn gearbeitet habe, werden gute Jahre gewesen sein.“

Info

Marzahn, mon amour. Geschichten einer Fußpflegerin Katja Oskamp Hanser 2019, 144 S., 16 €

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