Tilu Shau ist ein bedeutungsloser Autor „erotischer Romänchen“, schmächtig und unattraktiv. Nicht verwunderlich, dass er, der schon als Schuljunge von hübschen Mädchen nicht mehr als einmal angeschaut wurde, sein Glück im Blauen Lotus sucht und auch bei Lalee zu finden glaubt. Doch Lalee verachtet Tilu. Je mehr er ihr seine Zuneigung zeigt, umso mehr erniedrigt Lalee ihn. Auch in jenem Moment, als sie ihn „wie die Herbstgöttin auf ihrem Löwen reitet“, in den Hals beißt und die beiden jäh von einem unglaublichen Schreien unterbrochen werden. Lalee rennt auf den Flur, Blut fließt „geradlinig und gemächlich“ auf ihre Füße zu.
Mit diesem Vorfall, der einen kaltblütigen Mord erahnen läs
n lässt, schließt das erste Kapitel des Romandebüts der in Westbengalen geborenen und mittlerweile im neuseeländischen Wellington lebenden Schriftstellerin Rijula Das. Auch wenn es im Verlauf der Handlung einige Tote geben wird und auch Polizeibeamte auftreten, handelt sich bei Die Frauen von Shonagachi keineswegs um einen klassischen Krimi, sondern vielmehr um einen „Krimi aus der Wirklichkeit, der auch eine Liebeserklärung an Kalkutta ist“, so die Herausgeberin und Übersetzerin des Argument Verlags Else Laudan. Sowieso: Die örtliche Polizei kommt viel zu spät zum Tatort, wertvolle Spuren sind längst verwischt. Polizist Samsher Singh fragt sich, „wie hätte man auch ahnen sollen, dass er tatsächlich Weisung bekommen würde, den Fall zu übernehmen? Wer ermittelte denn schon beim Tod einer Hure?“.Lalee war mit Mohamaya befreundet, und auch mit dem anderen Mädchen, das wenige Zeit später tot aufgefunden wird, ebenfalls im Blauen Lotus! Einige Tage vorher war sie Amina Bibi zu Hilfe geeilt, die von Chintu mit einer Gürtelschnalle gezüchtigt wurde, dem hörigen Vollstrecker von Shefali Madam, die den Blauen Lotus wie eine Despotin führt. „Sie hielt das Getriebe gut geschmiert, sodass die Gesetzeshüter sie nicht behelligten.“ Dass die Bluttat an die Öffentlichkeit gelangt, man hatte Mohamaya eine Flasche Karbolsäure in ihrem Gesicht zerschmettert und ihr dann in den Hals gerammt, dafür sorgte eine NGO, die sich für die Arbeits- und Menschenrechte und gegen die Razzien der Polizei einsetzt, die die Mädchen und Frauen „normalerweise“ doch nur wie Kriminelle behandelt.Kurze Zeit später wird Lalee auf Anweisung der Chefin fortgebracht, mit dem Versprechen, Hausbesuche bei gut zahlenden Freiern machen zu können. Das Ziel: „der Palast“ des Maharaj. Was Lalee dort erwartet, übertrifft die Gewalt und Perversität, die sie bisher erlebt hat. Weshalb diese Brutalität des Maharaj? Man erfährt es nicht. Mitunter liegt darin die Tragik dieser frauenverachtenden Strukturen: Es passieren unfassbare Dinge, ohne dass man wirklich verstehen kann, warum. Allein der Gedanke an Flucht macht die Schmerzen für Lalee erträglich. Sie erinnert Bilder aus der Zeit des Blauen Lotus, wo sie sich ihr Leben eingerichtet hatte. „Dies war ihr Zuhause und gehörte ihnen, nicht den Ehemännern oder den Vätern oder den Zuhältern oder den Nichtsnutzen der Welt.“In Die Frauen von Shonagachi wollte die Autorin nichts Tragisches hinzuerfinden. Im Roman sollte nur vorkommen, „was wirklich geschieht“, heißt es im Vorwort. Dazu gehöre auch der unterschwellige Humor und auch der spöttische Ton, der immer wieder und vor allem bei den misshandelten Mädchen durchklingt, die auf diese Weise wohl tatsächlich versuchen, ihr Leben erträglicher zu machen. Erinnert man dies am Ende der erschütternden Geschichten, vergisst man die eine oder andere holprige Metapher oder überflüssige Adjektive.Rijula Das promovierte in Creative Writing an der Nanyang University in Singapur, wo sie zwei Jahre lehrte. Ihre Forschung untersucht die Verbindungen „zwischen öffentlichem Raum und sexueller Gewalt“ in Indien. Die Frauen von Shonagachi sei aus dieser Forschung entstanden, schreibt sie. Das Buch wirft kontroverse Fragen auf, die nicht nur in der südasiatischen Gesellschaft von Belang sind.Placeholder infobox-1