Bukarest in schwarz-weiss

Rezension Ein neuer Fotoband nimmt das uneingelöste Versprechen vom „schönen Leben“ kontrastreich in den Blick

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Die Kunst der Straßenfotografie ist es, zufällige Momente festzuhalten und dabei zugleich etwas Wesentliches von Raum und Zeit, in dem/der die Fotografie entsteht, zu erfassen
Die Kunst der Straßenfotografie ist es, zufällige Momente festzuhalten und dabei zugleich etwas Wesentliches von Raum und Zeit, in dem/der die Fotografie entsteht, zu erfassen

Foto: Marcel Schreiter

Als ich das erste Mal nach Bukarest kam, war mein erster Farbeindruck ein helles Orange. Das spätsommerliche satt-zarte Licht des Nachmittags ließ die bunten Werbebanner auf der Straße vom Flughafen weniger aggressiv wirken als ich es später wahrnahm, bahnte sich auf den später ins Zentrum führenden grünen Alleen von der Seite den Weg in mein Taxi, und milderte die vielen Schrammen und dunklen Verfärbungen so mancher der Häuser. Vor den älteren Villen und den noch älteren kleinen Häusern warfen die verschnörkelten Zäune und Tore pittoresk ihre Schatten. Dieses besondere Licht begegnet mir in dieser Stadt auch heute immer noch wieder, auch wenn Bukarest in den letzten zwanzig Jahren schicker und heller geworden ist.

Um so mehr reizt mich diese schwarz-weiße Hundeschnauze, die den 2021 erschienenen Fotoband Bukarest - the city of good life illustriert. Und wenn ich schwarz-weiß sage, dann ist das auch so gemeint. Marcel Schreiter, Fotograf und Filmemacher aus Leipzig, hat sich entschieden, seine in den Jahren 2015 bis 2017 in Bukarest entstandenen Straßenfotografien in starken Kontrasten abzubilden. Immer wieder blättere ich durch die Seiten des im Format A5 gestalteten Fotobandes, finde keine besondere Ordnung, wundere mich über den Mut nichts zu erklären, entdecke erst beim wiederholten Durchsehen die weißen Seiten mit getippten Buchstaben, insgesamt sind es neun Stück: die Texte von Michael Schweßinger. Obwohl sein Name auf dem Titelblatt genannt ist.

Es sind kurze, oft lakonische Texte. Mal ein Gedicht, mal eine scheinbar flüchtige Notiz, wie aus einem Tagebuch. „So wie man Mozart hört, ohne sich für seine Partitur zu interessieren“ - mit diesen Worten beschreibt Schweßinger es, das melodische Rumänisch um sich zu hören ohne es zu verstehen. Schweßinger ist bekannt für sozialkritische Literatur sowie Geschichten über Menschen und ihre Geschichten, vielfach inspiriert von Begegnungen auf seinen Reisen. Seine Texte für diesen Band bespielen die Bilder wie eine schräge Geige, schief-schön-schmerzhaft.

Ich aber lese das Buch wie eine Partitur und versuche die Bilder zu entschlüsseln, die vielen Buchstabenschnipsel dort, von der Werbebotschaft zur Ladenbeschilderung, dem Protestplakat zur Kircheninschrift, dem Graffiti zum Nummernschild. Warum trägt der Rumäne dort eine Schirmmütze mit genau diesem Schriftzug? Kann mir das etwas sagen oder sind der Bildausschnitt und die dokumentierte Kombination von Bild und Text Zufall?

Die Kunst der Straßenfotografie ist es, zufällige Momente festzuhalten und dabei zugleich etwas Wesentliches von Raum und Zeit, in dem/der die Fotografie entsteht, zu erfassen. Und da sind sie immer wieder, die idealisierenden Schriftzüge, die (übersetzt) „alles ist wunderbar“ oder (im Original) „be bold, be beautiful, be you“ lauten, während dahinter die Fassaden bröckeln und nur einfach gekleidete, wenig die Mode und Eleganz auch tatsächlich lebende Menschen abgebildet sind.

Auch die Gewerbe plakatieren Superlative wie (übersetzt) „der beste Preis“, „die größte Automall/-messe“. In einem Text von Schweßinger heißt es: „Eine völlig materialistische Leere, schon am Fünften des Monats am Ende der Kreditlinie, obwohl die Leuchtreklamen weiter gnadenlos das neue Samsung Galaxy S7 Edge anpreisen. Diese immer schärferen Konturen in den Bildern und diese voranschreitende Profillosigkeit dahinter.“

Die Kluft zwischen Versprechen und „real“-em Leben (eine Tüte der Supermarktkette ist Teil eines Bildes) ist das zentrale Thema. Das bereits zitierte „totul e minunat/alles ist wunderbar“ ist Teil eines Wandgemäldes des kommunistischen Übervaters Nicolae Ceaușescu, der die Augen scheinbar verzückt geschlossen hält, um seinen Kopf, wie ein Heiligenschein der Jungfrau Maria, Sterne, die unweigerlich an die EU-Fahne denken lassen. Billigpreise werden angeboten, ob für Versicherungen oder Prostituierte – und liegt das Preisschild „1 Leu“ zufällig oder als Preisschild neben dem kleinen Andachtsbild der Betenden?

Bei genauerem Betrachten sind manche Bilder auf den Seiten so geschickt aneinandergesetzt, dass sie wie ein Bild wirken, aus denen solche und andere Zusammenhänge bzw. Kontraste entstehen. Bisweilen spielen die Rumän:innen selbst mit, treten aus dem Beobachtetwerden heraus, und kommentieren das thematisierte Gefälle zwischen Alltag und Glamour scheinbar selbst, wenn etwa der Kellner auf dem fotografierten Quittungszettel als „Robert de Niro“ ausgewiesen wird. Der etwas mafiös dreinschauende Restaurantgast mit seinem Häppchen in der Hand, der darüber abgebildet ist, ob er wohl für diese Art des Humors zu haben ist?

Schreiter bedient mit seiner Bildbearbeitung und den Motiv-Arrangements sehr stark das „Kontraste-Klischee“, mit dem Rumänien und auch Bukarest gerade aus “westlicher” Sicht oft beschrieben werden. Daher bleibt eine leichte Ambivalenz beim Betrachten der Bilder, ob sich diese Vorstellung nun nicht zwangsweise weiter zementiert. Es gibt gefälligere Annäherungen, die - endlich - auch einmal Sympathie mit der rumänischen Hauptstadt wecken, wie die Accounts der Instagrammer “monica.maracineanu” und “raidenbucharest”. Bei Maracineanu findet sich das milde Licht, die Bauhaus- und alte Stadthausarchitektur, vielfach in ihrem maroden Charme. Im Account von “raidenbucharest” mit seinen über 25.000 Abonnenten ist insbesondere bemerkenswert, wie der Fotograf die farbige Geometrie der sozialistischen Architektur einfängt. Bei beiden ist in Bukarest eigentlich immer gutes Wetter…

Doch Schreiter und Schweßinger treibt ein gesellschaftliches Thema um: Ihr Anliegen ist es, den neokapitalistischen Osten zu zeigen, bei dem die Vielen auf der Strecke bleiben. Und das geht in einer Hauptstadt, die immer auch Aushängeschild des so genannten Fortschritts ist und somit die Konflikte am stärksten kontrastiv entstehen lässt, am besten. Die Betrachter*innen westlicher Gesellschaften sollen, so scheint es, das eigene marktwirtschaftliche Kapitalsystem in Frage stellen und und zur kritischen Reflexion gezwungen werden. Im Vergleich zu den subjektlosen und architektonisch-ästhetisierenden Aufnahmen der Instagram-Accounts nehmen sie die soziale Wirklichkeit in den genannten Jahren in den Blick. Architektur, Text und Mensch kommentieren sich dabei gegenseitig. Anstatt pittoresker Katzen vor alten Häusern ziert dann eben eine große Boxer-ähnliche Schnauze das Cover.

Ob das im Fotoband transportierte Bild der sich weiterhin rasant verändernden Stadt aktuell bleibt, ist völlig nachrangig (wäre auch nicht das erklärte Ziel von Straßenfotografie). Entscheidend ist, dass die Frage, in welcher Gesellschaft wir leben wollen, zeitlos ist. Und in diesem Sinne ist es dann auch jetzt schon der vorliegende Fotoband. „Lass uns Unvertraute bleiben, // Denn es ist nicht leicht, neue Fremde zu finden.“ So lauten die letzten Zeilen eines Gedichtes von Schweßinger. Er und Schreiter empfinden diese Fremdheit eigentlich nicht gegenüber Bukarest, sondern gegenüber einer sich vom Menschen entfremdeten Politik- und Wirtschaftsweise. Diese ist längst nicht nur „im Osten“ zu finden.

Bukarest – the city of good life. Marcel Schreiter und Michael Schweßinger Gera: Edition Outbird 2021, 25,00 €.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Valeska Bopp-Filimonov

Jun.-Prof. an der Universität Jena mit Schwerpunkt Rumänistik

Valeska Bopp-Filimonov

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