Stabilität ist nicht alles

Schleswig-Holstein Die Landtagswahl in Schleswig-Holstein zeigt: Die Piraten ersetzen die Linke als Protestpartei. Doch die Etablierten sind noch nicht darauf eingestellt

Es sieht nicht gut aus für die Linke im Westen. Die zweieinhalb Prozent in Schleswig-Holstein spiegeln vielleicht nicht das volle Potenzial der Partei in den alten Bundesländern. Und Parteichef Klaus Ernst macht sich noch Mut, dass die Umfragen für Nordrhein-Westfalen kommende Woche freundlicher aussehen. Aber auch dort wird es äußerst knapp werden mit dem Wiedereinzug in den Landtag. Und die Vorbereitung des Abgesangs auf die neue gesamtdeutsche Partei scheint nicht verfrüht.

Ernst selbst kleidet sich ins Bußgewand. Die Linke habe sich zu viel mit sich selbst beschäftigt und zu wenig klargemacht, dass ja gerade sie für den von vielen Menschen gewünschten Ausbau der sozialen Gerechtigkeit stehe. Das endlose Kommt-Oskar-wieder-Gezerre dürfte ein Rolle gespielt haben und auch die schwache inhaltliche Bilanz von Ernst und seiner aus privaten Gründen zurückgetretenen Ko-Vorsitzenden Gesine Lötzsch.

Doch liegt auch die Vermutung nahe, dass die Linke einfach mit dem Zeitgeist zu kämpfen hat und die Piraten sie rückstandslos ersetzen könnten – nicht inhaltlich vielleicht, aber als Sammelbecken für Protestwähler, die von einer im Aufbau begriffenen Anti-Parteien-Partei offenkundig auch nicht weniger Substanz erwarten als von einem in Flügelkämpfe verstrickten Ost-West-Konglomerat.

Die Piraten ziehen mit gut acht Prozent ins Kieler Parlament ein und zwar mit der klaren Ansage, erstmal keine Regierungsmehrheiten mit ihrem Stimmenpotenzial auffüllen zu wollen. Eine bei Regierungsbildungen geächtete Partei wird also verdrängt durch eine, die sich selbst aus dem Rennen um die Regierungsmacht genommen hat. Das ist die Realität – und sie wird wahrscheinlich bei den nächsten Wahlen auch anderswo im Land Normalität werden.

Die Das-Geht-Immer-Option

Für die, die sich zum Regieren berufen fühlen, macht diese Konstellation alles sehr schwierig. Die Lager lösen sich auf. Schwarz-Gelb ist in Schleswig-Holstein klar abgewählt, aber für Rot-Grün reicht es eben auch nicht, höchstens vielleicht mit Ach und Krach - so sah es nach den Hochrechnungen aus - für die Dänen-Ampel mit der Partei SSW. Jamaika oder die normale Ampel-Koalition ist nach einem zwischen Grünen und Union mit harten Bandagen geführten Wahlkampf kaum zu erwarten. Rot-Rot-Grün ist passé. Bleibt noch die Große Koalition als Das-Geht-Immer-Option. So oder ähnlich dürfte es bald vielerorts aussehen.

Die Piraten als Wegbereiter von Schwarz-Roten Koalitionen? Das muss den Neulingen zu denken geben. Genauso deutlich ist jedoch die Botschaft an die etablierten Parteien. Einer erheblichen Zahl von Wählern ist es offenbar lieber, die herkömmliche Koalitionsarithmetik zu unterlaufen, als sich den auch am Sonntag in Kiel beschworenen Politformeln „Stabilität“ und „Verantwortung“ zu unterwerfen. Ein nicht kleiner Teil der Abstimmenden will diese neue Unübersichtlichkeit – nicht, um selbst Inhalte in Regierungskonstellationen einzuspeisen, sondern um das versteinerte System in Bewegung zu bringen. Das müssen die Systembewahrer ernst nehmen.

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Geschrieben von

Verena Schmitt-Roschmann

Verena Schmitt-Roschmann ist Ressortleiterin Politik des Freitag.

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