Joachim Gauck soll also Bundespräsident werden. Dass sich nun doch eine große Mehrheit der Bundesversammlung hinter diesem Kandidaten versammeln wird, ist ebenso überraschend wie der Umstand, dass die Kür nach einem –wenn auch turbulenten –Wochenende erledigt war. Noch eine Weile wird es vor allem darum gehen, wie dieser künftige elfte Bundespräsident auserkoren wurde. Nach den bisher praktizierten Auswahlverfahren „Kungeln in Westerwelles Wohnküche“ und „Bandenspiel mit Ursula von der Leyen“ hat Bundeskanzlerin Angela Merkel auch bei der dritten Auflage der Kandidatenkür für das oberste Staatsamt keine gute Figur gemacht.
Dass Merkel bei der Suche nach einem Konsenskandidaten die Linkspartei ausgegrenzt hat, war nicht nur schlechter Stil, sondern ein politischer Fehler. Es ist unsinnig, weiter so zu tun, als spiele die Linke in der deutschen Politik keine Rolle. Sie repräsentiert zwölf Prozent der Wähler, vorzugsweise jene, die in Ostdeutschland leben. Diese zu ignorieren und in eine Kaste der Polit-Aussätzigen zu delegieren, ist falsch.
Daneben hat Merkel ein immer größer werdendes Problem mit ihrem moribunden Koalitionspartner. Die FDP nutzte am Sonntag die Gunst der Stunde, mit ihrem einseitigen Votum für Gauck kamikazeartig auf Merkel niederzufahren. Die CDU-Chefin kippte um und präsentierte den einst in drei Wahlgängen gegen Christian Wulff niedergerungen und noch am Sonntag von ihr abgeblockten Ex-Chef der Stasi-Unterlagen-Behörde schließlich doch als Wunschkandidaten und „wahren Demokratielehrer“.
"Unglückliche Entscheidung"
Eine kuriose Inszenierung, die Merkel nicht gut aussehen lässt. Es ist nicht zu erwarten, dass die Kanzlerin den Liberalen das ein zweites Mal durchgehen lässt. Vielmehr dürfte sie den Mehrheitsbeschaffer im Zweifel baldmöglichst ersetzen. Bereit stehen die neuen Konsenspartner, die Merkel nach Worten von SPD-Chef Sigmar Gabriel jetzt bei der Päsidentensuche sehr fair behandelte. Die FDP, die bei der Präsidentenwahl so krampfhaft politische Signale zugunsten von Schwarz-Rot oder Schwarz-Grün vermeiden wollte, hat damit den Koalitionswechsel ein Stück wahrscheinlicher gemacht.
So weit die politische Begleitmusik. Bleibt die Frage: Ist Joachim Gauck der richtige Kandidat? Kann ein so breiter politischer Konsens falsch sein? Die Antwort lautet: Ja, er kann. Denn der 72-jährige Pastor hat sich mit seinen Aussagen zu Hartz IV, zu sozialer Gerechtigkeit und Eigenverantwortung angreifbar gemacht. Nicht nur das Erwerbslosen Forum Deutschland empfindet seine Kür als „unglückliche Entscheidung“. Der große, besänftigende, alle sozialen Kluften und politischen Strömungen moderierende Oberhirte wird dieser Präsident nicht werden. Gauck wird polarisieren, weit mehr als sein gerade geschasster Vorgänger Christian Wulff.
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