Ali, Neffe und Friseur

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Ali kenne ich, seit er sechs war, da stand er an der Haustür und fragte Perihan, ob er allen sagen dürfe, dass sie seine Tante sei. Gerührt stimmt sie zu, schließlich bedeutet ihr Name Feenkönigin, was vielleicht Ali damals zu seinem mutigen Schritt ermuntert hatte. Ich wurde sein Onkel.

Das ist rund 18 Jahre her und keinesfalls vergessen. Heute ist Ali Herrenfriseur, mit zwei Kollegen betreibt er einen Salon in Akçaalan an der türkischen Ägäis.

Ich bin hier Stammkunde. „Guten Tag, Onkel, wie geht es dir?“ „Danke, Ali, sehr gut. Und dir?“ Im Dorf weiß man, dass seine Tante Deutschländerin ist, der Onkel ein Deutscher. Internationales Flair schafft Vorteile. Schon als kindlicher Neffe entschied allein er, wer in Tantes und Onkels Garten spielen, die Pflaumen pflücken durfte, wenn oft über Monate niemand im Haus war.

Der Besuch beim türkischen Friseur ist recht speziell. Ali beschnibbelt das Haupthaar eines anderen, dann bin ich dran, ein leichter Fall, meine Frisur wird maschinell von 4 Millimetern auf null gestutzt, es steht mir so gut. So geht’s los. Auch eine Rasur sei fällig, stellt Ali fest, wie immer. Nach zwei Durchgängen mit Pinsel, Schaum und Messer ist alles schön glatt. Er tätschelt meine Wangen.

Es geht weiter, ich muss geflämmt werden. Ali umwindet die Spitze einer Art Häkelnadel mit Watte, taucht die in Alkohol, zündet sie an. Er hält das flammende Gerät in der rechten Hand, schlägt die geschickt gegen die linke Hand, zischend fährt das Feuer mir ins Ohr. Ich hasse das, höre, wie Härchen pritzelnd abgesengt werden. Es riecht wie bei einer Weihnachtsgans, aber der Vogel bin ich. Der flambierte Mann.

Auf den oberen Konturen meiner Ohren hat Ali ein wenig Haarflaum entdeckt, der wird mit einem besonders winzigen Elektrorasierer entfernt, nachgezogen mit dem Rasiermesser. Dem Coiffeur fällt ein, dass er die Nasenlöcher vergessen hat, dortige Härchen entfernt er mit einer spitzen Schere, die unangenehm tief rein reicht. Ich soll schnauben, damit er beiden Löchern mit dem Minirasierer den letzten Schliff geben kann. Wenn er meine Ohren flämmt und in meinen Nasenlöchern rumfuhrwerkt, frage ich mich, ob Ali ein Sadist ist.

Es hört nicht auf. Meine Nullmillimeterfrisur und meine Ohren bedürfen sorgfältiger Wäsche, zwei mal mit viel Shampoo. Jetzt soll ich mich zurücklehnen. Beidhändig klopft Ali recht viel Kölnisch Wasser (türkisch: Colonia) in meine Wangen bis es brennt, die Augen tränen. „Onkel ist empfindlich“, informiert Ali die interessierten Zuschauer, es sind mittlerweile fünf. Alle nicken, lächeln gütig, denken ganz sicher: „deutsches Weichei“. In der türkischen Anerkennungskultur spielt das Ei nämlich eine bedeutende Rolle, über einen sehr tapferen Mann sagt man auch: „Toller Typ, drei Kilo Hoden“. Ich werde das nicht vertiefen.

Das Ende versöhnt. Fast waagerecht liege ich im Friseurstuhl, beidhändig massiert Ali mit den bekremten Fingerspitzen von meinem Nasenrücken aufwärts, fährt fest knetend über die Stirn zu den Schläfen, da tut es weh, aber egal, es entspannt wie die anschließende Nackenmassage. Das ist gut, Ali.

Ich sag es ungern so platt, aber nach dem Besuch beim türkischen Friseur fühle ich mich wie neu geboren, alle Torturen sind verziehen, ich sehe zehn Jahre jünger aus. Man wird süchtig von so was.

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Geschrieben von

weinsztein

Journalist. Lebt vorwiegend an der türkischen Ägäis. Guckt auf griechische Inseln. Kocht gern.

weinsztein

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