Kauft endlich Wohnraum!

Wohnungsmarkt Die Mieten steigen, der Markt ist unmenschlich, die Politik unfähig. Aber wo bleibt die Eigeninitiative? Ein Aufruf, sich kollektiv Wohnraum anzueignen - ganz legal

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Ein Drittel vom Einkommen, mehr sollte die Miete nicht kosten. Ich weiß nicht, wer sich diese Faustregel ausgedacht hat, aber sie klingt vernünftig: Ein Drittel für die Miete, dann bleiben zwei stattliche Drittel für Essen, Strom, Kleidung und Kinder. Nur, mit dem Drittel-Paradies ist längst Schluss, zumindest in den Großstädten. Die Firma Immonet weiß aus ihren eigenen Daten: In Hamburg und Berlin gibt man durchschnittlich fast die Hälfte des Einkommens für Miete aus – Nettokaltmiete, versteht sich.

Diese Entwicklung ist ausführlich beklagt worden. Schuld ist der Markt. Der Markt wird größer und flexibler, die Städte sind gefragt, das drückt die Preise nach oben. Schuld ist auch die Politik. Ihre Mietpreisbremse kommt zu langsam und greift nicht tief genug. Bei neuen Verträgen die Mieterhöhung auf 10% zu deckeln, wird die Teuerung nur bedingt bremsen. In Vierteln mit vielen jungen Leute und großer Fluktuation wohl überhaupt nicht. Was allerdings noch weniger gegen Mieterhöhungen hilft, ist: jammern.

Ein bisschen sind wir nämlich selber schuld. Wir haben uns auf einen Mietmarkt eingelassen, in der Hoffnung, er möge sich ganz anders verhalten als andere freie Märkte. Wir haben vom Sozialstaat erhofft, er möge den Markt einhegen. Wir haben dem kapitalistischen Versprechen vertraut, unsere Arbeit werde zum Leben reichen. Und während wir mehr arbeiten als je zuvor – im Bett, in der Bahn, im Urlaub, unter der Dusche – drücken wir die Hälfte davon ab, nur um nicht noch weiter vom Arbeitsplatz wegziehen zu müssen.

Wir haben die Chance verpasst, uns den Wohnraum selbst zu nehmen. Entspannen Sie sich, das wird kein Aufruf zur Hausbesetzung. Ich spreche vom ganz legalen Kaufen. Es gab noch bis weit in die Krise hinein spottbilligen Wohnraum, selbst in „Trendbezirken“ wie Neukölln und St. Pauli. Der ist inzwischen komplett aufgesogen von anonymen Investor*innen, und wird ganz nach Profitlogik entweder saniert oder gezielt verfallen gelassen.

Es gab die Möglichkeit, Wohnraum kollektiv zu kaufen und dem eine andere, eine humane Logik entgegenzustellen. Genossenschaftliche Projekte zeigen, dass das möglich ist. Solidarische Projekte wie das Miethäusersyndikat zeigen, dass das möglich ist. Kleiner Kapitalstock, kleine Einlagen, die die Möglichkeiten einfacher Angestellter nicht sprengen. Einziger Haken: Zeit und Arbeit in den eigenen Wohnraum zu stecken, ohne dass daraus das klassische „Eigenheim“ wird.

Die schlechte Nachricht: Wir haben die Möglichkeit nicht genutzt. Sind lieber auf der Seite der Mietenden geblieben, der Bittsteller*innen, machtlos im Spiel um den Wohnraum, aber auch nicht verantwortlich dafür. Wir haben uns vielleicht auch von der Ungebundenheit verzaubern lassen, die die Miete verspricht. Nur um zu merken, dass unsere Ungebundenheit vor allem dem flexibilisierten Arbeitsmarkt nützt. Wir haben vielleicht auch gehofft, dass wir genug ansparen werden, um irgendwann im Häuschen mit Garten zu sitzen, sodass uns Mieten endlich egal sein können. Wir haben uns schuldig gemacht, weil wir das Spiel mitgespielt haben – und jetzt beschweren wir uns, dass es nach genau den Regeln gespielt wurde, die wir allzu gut kennen.

Die gute Nachricht: Es ist noch nicht zu spät. Wahrscheinlich ist es ambitioniert, als Hausprojekt oder kleine Genossenschaft jetzt noch etwas Bezahlbares in den besagten Trendbezirken zu finden. Aber es gibt noch Leerstand, es gibt vergessene Viertel, Gebiete mit Milieuschutz. Auch in Berlin und Hamburg, in Frankfurt und München. Es muss Kapital aus dem profitorientierten Mietmarkt abgezogen werden, damit es selbstverwalteten, solidarischen und bezahlbaren Wohnformen zugutekommen kann. Überlasst den Wohnraum nicht dem einen Prozent.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden