Die chinesische Schubkarre

Krieg gegen die Ukraine XV Der Russisch-Ukrainische Krieg wird auch durch Peking entschieden. Die Frage, welche Seite China aus welchen Motiven unterstützt, ist Gegenstand vieler Diskussionen. Der Verlierer steht aber schon fest: Russland. China diktiert.

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Titel: Die Chinesische Schubkarre (Die Goldenen Zitronen, 1990)

1.1. Historisches Verhältnis zwischen Russland und China
1.2. Zwei kommunistische Imperien
1.3. Der Bruch
1.4. Konsolidierung des Verhältnisses
1.5. Das Moskauer Menetekel für chinesische Autokraten
2.1. Ein Positionspapier
2.2. Gemeinsamkeiten der Autokraten
2.3.1. Wirtschaftliche Zusammenarbeit
2.3.2. Rohstofflieferant Russland
2.4. Der Atombomben-Deal
2.5. Außenpolitische Ziele Chinas
2.6. Der Diener und sein Herr
2.7. Chinesisch-ukrainisches Verhältnis
3. Fazit

Seit einigen Monaten mehren sich die Berichte und Meldungen über Chinas Position zum Russisch-Ukrainischen Krieg. Dabei drängt sich der Eindruck auf, weder das Ausland, noch die chinesische Führung selbst vermag einzuschätzen, wie sich China positionieren wird und soll.

1.1. Historisches Verhältnis zwischen Russland und China

Die jahrhundertlange Expansion Russlands in Richtung Osten führte 1689 zum Vertrag von Nertschinsk, in dem Gebietsstreitigkeiten geregelt wurden und ein gegenseitiger Handel vereinbart wurden. Zugleich war es das Ende der russischen Expansion in der Mandschurei. Russland verstand sich seit Peter I. als Imperium und dehnte sich immer mehr in Richtung Osten und Süden aus und kam im Südosten mit Großbritannien sowie im Süden mit dem Osmanischen Reich in Konflikt.

Das Zeitalter des Imperialismus und die Schwäche der chinesischen Qing-Dynastie führte zu dem russisch-chinesischen Vertrag von Aigun (1858) und der Pekinger Konvention (1860) zwischen China, Großbritannien, Frankreich und Russland. China wurde während des Imperialismus zum Spielball der imperialistischen Mächte und der Zar beteiligte sich mit 200000 Soldaten an der Niederschlagung des Boxer-Aufstandes. Zum Vergleich: Das deutsche Ostasiatische Expeditionskorps, welches von Kaiser Wilhelm II. mit der berüchtigten Hunnenrede verabschiedet wurde, bestand aus 15000 Soldaten.

Die ungleichen Verträge mit China liefen während des 20. Jahrhunderts entweder aus oder waren obsolet geworden. Nur die Grenzen zwischen China und Russland, die in der Pekinger Konvention 1860 vereinbart wurden, sind bis heute beschlossen gültig.

1.2. Zwei kommunistische Imperien

Das Ende des Zarenreiches und der Bürgerkrieg bedeutete auch zunächst das Ende von Expansionsbestrebungen. Nach der Oktoberrevolution gelang es lediglich Finnland und Polen, die Unabhängigkeit vom russischen Zarenreich zu erlangen. Einige Völker erreichten immerhin innerhalb der UdSSR einen Status als autonome Republik, sie hatten aber faktisch den Status einer Binnenkolonie ohne nennenswerte eigene Rechte. Die drei baltischen Staaten verloren durch den Deutsch-Sowjetischen Grenz- und Freundschaftsvertrag ihre Selbständigkeit, Polen geriet nach dem 2. Weltkrieg wieder in den Machtbereich des Kreml und auch die "Finnlandisierung" bot dem Kreml große Einflußmöglichkeiten auf die finnische Politik. Es war nicht wie in Österreich nur eine vertraglich vereinbarte Neutralität.

Zwar dauerte es Jahre, bis die Bolschewiki im Osten Russlands endgültig die Kontrolle gewannen, China war jedoch aufgrund innerer Kämpfe und der Konfrontation mit dem nationalistischen Japan nicht in der Lage, die 1860 verlorenen Gebiete zurückzuerobern.

Im 2. Weltkrieg waren die UdSSR und China ab 1941 Verbündete, was sowohl für Maos Kommunisten, als auch für die Kuomintang galt. Wenig bekannt ist es, Stalin unterstützte die Kuomintang stärker als die Kommunisten. Zum einen ging er von einem Sieg der Nationalisten aus und hielt diese für verlässlicher, zum anderen zielte die Politik der UdSSR eher darauf ab, beide Bürgerkriegsparteien gegeneinander auszuspielen, um die eigene Macht in dieser Region zu stärken.

Mit dem Sieg der Kommunisten 1949 änderte sich vieles im Verhältnis beider Staaten. Mao erkannte Stalins Führungsrolle in der kommunistischen Welt scheinbar uneingeschränkt an. Stalin bezeichnete Mao intern als "Höhlenmenschen-Marxisten" und Mao konstatierte, "die chinesische Revolution [habe] gegen den Willen Stalins gesiegt". Als Mao zum 70. Geburtstag Stalins im Dezember 1949 nach Moskau reiste, mußte er zwei Wochen in einer Datscha warten, bis sich Stalin bei Mao meldete und Verhandlungen begannen.

Zwar kann man das Verhältnis zwischen Stalin und Mao als das eines Lehrers und eines Schülers beschreiben, denn Maos Minderwertigkeitskomplex gegenüber Stalin ist überliefert und die chinesische Delegation fühlte sich, als ob sie als einfache Bauern mit einem Mandarin verhandelt. Mao bewunderte aber den "Stählernen", der in seinem Reich sogar für Ausländer Ausreisevisa verlangte. Stalins Personenkult nach dem Sieg im Großen Vaterländischen Krieg war auf dem Höhepunkt, wie auch die Ausstellung der Rote Gott 2018 in Hohenschönhausen eindrucksvoll zeigte. Die Art, wie man sein Land absolut und rücksichtslos beherrschen kann, imponierte Mao. Der Schüler Mao lernte schnell. Es gelang den Schülern, von ihrem Lehrer den bis dahin vertraglich vereinbarten Einfluss der UdSSR auf die Mandschurei vertraglich zu beseitigen.

Das Bündnis zwischen Stalin und Mao war eines, welches man als erzwungenes Bündnis mangels Alternativen bezeichnen kann. Es führte zu zwei Freundschaftsverträgen (1950 und 1954), die vom sich abzeichnenden Koreakrieg und der damit verbundenen Gegnerschaft mit den USA geprägt war. Sowohl die UdSSR als auch China griffen massiv in den Krieg ein. Die UdSSR lieferte Nordkorea 95 S-75-Luftverteidigungsraketensysteme, über 500 Flugzeuge, 120 Hubschrauber, mehr als 5.000 Flugabwehrgeschütze und 2.000 Panzer (Kap. 3), China kämpfte mit hunderttausenden Soldaten aktiv an der Seite der Nordkoreaner.

1.3. Der Bruch

Khrushchov war auch empört über Maos Einladung zu Pekings "Amit in the Pool". Am schlimmsten war, dass Mao, der glaubte, dass sein sowjetischer Kollege in einer solchen Situation im Nachteil sein würde (obwohl Khrushchov ein ebenso geschickter Schwimmer war wie sein Meister), begann, die militärischen Bemühungen Chinas und der Sowjetunion zu bewerten. Mao fragte: "Da unsere beiden Territorien praktisch einen Kontinent bilden, warum nicht auf einen Schlag in Frankreich, Italien und Westdeutschland einmarschieren?" Khrushchov entgegnete: "Qualität ist wichtig, nicht Quantität."
Nina Khrushcheva, Project Syndicate, 29. März 2023

Der mit dem XX. Parteitag und dem verkündeten Ende des Stalinkultes war der Beginn eines Zerwürfnisses zwischen der UdSSR und China, der 1969 am Ussuri zu einer schweren bewaffneten Auseinandersetzung zwischen beiden Armeen führte. Die eher humoristische Anekdote aus dem Jahre 1958 erinnert an die Kubakrise 1962, als Castro Maos Rolle einnahm und sogar einen Atomkrieg gegen die USA forderte. Sowohl Khrushchov als auch sein Nachfolger Breshnev bevorzugten eine Politik der Kompromisse mit den USA, um einen Atomkrieg zu vermeiden. Mao wurde dabei als Sicherheitsrisiko betrachtet und die UdSSR kündigte einseitig das sowjetisch-chinesische Atomabkommen. Maos Äußerung: "Was bringt es, Raketen zu haben, wenn man sie nicht benutzt?" (Khrushcheva) und die Kampagnen der chinesischen Kommunisten Hundert-Blumen-Bewegung (1956/57), Großer Sprung nach vorn (1958-61) sowie die Kulturrevolution (1966-76) führten zu Zerwürfnissen zwischen Moskau und Peking.

Innenpolitisch hatten die UdSSR und China unterschiedliche Wege beschritten. Die Menschen in der UdSSR waren durch den 1. Weltkrieg und den anschließenden Bürgerkrieg mit den damit verbundenen Hungersnöten, der stalinistischen Säuberungen und dem 2. Weltkrieg erschöpft, während Mao im Stile Stalins mit Kampagnen und Säuberungen seine Macht zu sichern suchte und dabei noch radikaler als sein Vorbild vorging. Bis heute ist der Vorwurf von Russen über undankbare Chinesen zu hören. Jedoch wird die militärische und wirtschaftliche Unterstützung der UdSSR für die Volksrepublik China von den Russen weitgehend überschätzt.

1.4. Konsolidierung des Verhältnisses

Kurz vor dem Tod Breshnevs endete die Konfrontation zwischen der UdSSR und China. Die noch zu Maos Lebzeiten ideologischen Gegensätze wurden abgemildert. Auch nachdem Gorbachov 1985 seine Reformen eingeleitet hat, die zum Sturz des kommunistischen Systems und zum Zerfall der UdSSR führten. Wirtschaftlich hatten in China 1978 die Reformen bereits unter Deng Xiaoping und Zhou Enlai unter dem Titel Vier Modernisierungen begonnen, außenpolitisch begann mit der Ping-Pong-Diplomatie 1972 zwischen Mao und Nixon eine Neuorientierung der chinesischen Außenpolitik. Unter den russischen Präsidenten Jelzin und Putin wuchs die wirtschaftliche Partnerschaft beider Staaten, durch die unterschiedliche wirtschaftliche Entwicklung nahm die Bedeutung des russischen Wirtschaftsraumes für China jedoch stetig ab.

Aus einer "konstruktiven Partnerschaft" (1994) wurde eine "strategische Partnerschaft" (1996), die im Rahmen des 2001 unterzeichneten Vertrags über gute Nachbarschaft, Freundschaft und Zusammenarbeit zu einer "umfassenden, sich vertiefenden strategischen Partnerschaft" ausgebaut wurde.
Sören Urbansky, bpd, 12. Mai 2018

Nach der Annexion der Krym und den dadurch verbundenen westlichen Sanktionen stieg das Engagement der chinesischen Wirtschaft auch durch die Senkung der rechtlichen Hürden für chinesische Investitionen. Da dies nicht ohne Absicherung Chinas vor einseitiger Abhängigkeit geschah, sorgte die Politik der Diversifikation Chinas zu einer immer stärkeren Abhängigkeit Russlands.

1.5. Das Moskauer Menetekel für chinesische Autokraten

Für eine ganze Generation chinesischer Führer ist Gorbatschow jedoch zum Symbol für die Gefahren geworden, die mit der Annahme demokratischer Reformen verbunden sind, wobei Beamte seit langem andeuten, dass dem kommunistisch regierten China ein ähnliches Schicksal bevorstehen könnte wie dem ehemaligen ideologischen Cousin der UdSSR, wenn die Innenpolitik unkontrolliert bleibt.
Simone McCarthy, CNN, 31. August 2022

Zwar gab es Momente der Gewalt beim Zerfall der UdSSR, aber das Tian’anmen-Massaker im Juni 1989 machte klar, die wirtschaftlichen Reformen ließen die Mächtigen in China nur unter dem Dach eines autokratischen Einparteiensystems zu, während Gorbachov eine neue Gesellschaft mit Reformen und Diskussionen anstrebte.

Schließlich brauchte es nur ein leises Wort von Gorbachov, um die Auflösung der Kommunistischen Partei der Sowjetunion zu erklären, und eine große Partei war verschwunden. Am Ende war niemand ein richtiger Mann. Niemand kam heraus, um Widerstand zu leisten.
Xi Jinping, 2013, (New York Times, 1. September 2022)

Kritik aus China in Richtung Kreml sind nichts Neues. Die Rede Chrushchovs auf dem XX. Parteitag 1956 war der Auftakt des sowjetisch-chinesischen Zerwürfnisses. Mao wertete das Ende des Stalinkultes und den Versuch Chrushchovs, die Lebensverhältnisse in seinem Land zu verbessern, um der kapitalistischen Welt ein erfolgreiches sozialistisches Modell entgegenzusetzen, als Zeichen der Schwäche.

Die Verurteilung des Stalinismus durch Chruschtschow war der Auftakt zum Zerwürfnis zwischen China und der Sowjetunion. Mao wollte nicht hinnehmen, dass eine so wichtige Entscheidung mit weitreichenden Konsequenzen für den gesamten Kommunismus allein von den sowjetischen Genossen getroffen wurde. Auch die Kritik am "Personenkult" fand der chinesische Parteiführer nicht so wichtig. Aber sein Hauptbedenken war, der Vorstoß von Chruschtschow könnte alle kommunistischen Parteikader schwächen, die Stalin unterstützt hatten – also fast alle, die ihn überlebt hatten.
Serge Halimi, Le Monde, 9. August 2018

Maos kommunistisches China betrachtete die USA als Papiertiger und wähnte den Kommunismus dank der Dekolonialisierung in Afrika und Asien auf dem Siegesmarsch. Bewertet man diese chinesische Sicht aus der Geschichte des 19. Jahrhunderts, als China zum Spielball der europäischen Mächte Großbritannien, Frankreich und Russland wurde, wird die chinesische Perspektive verständlicher. Sie gilt bis heute, wobei China seit einigen Jahrzehnten mehr auf die wirtschaftliche Macht setzt.

Der sowjetische Präsident M. S. Gorbatschow und der russische Präsident B. N. Jelzin leben noch, aber chinesische Autoren beginnen bereits, den erfolgreichen Führer mit ihren Vorgängern in den Büchern "Von Jelzin zu Putin: Der Weg zum russischen Konstitutionalismus" und "Werfen Sie einen anderen Blick auf Putin" zu vergleichen. – und nicht zugunsten seiner Vorgänger. Zu diesem Zeitpunkt hatte Wladimir Putin genügend Pressekonferenzen abgehalten und viele verschiedene Fragen von Journalisten beantwortet. Die Chinesen betonen seinen Einfallsreichtum, seine lebhafte Kommunikation und seine "Zugänglichkeit", im Gegensatz zur chinesischen Führung, die kein Format für den Dialog mit dem Volk hat.
Aleksey Chigadaev, Novaya Gazeta, 1. April 2023

Die fortwährende Kritik der Chinesen, der Kreml regiere die UdSSR bzw. Russland falsch, endete mit der Präsidentschaft Putins. Zahlreiche Publikationen über Putin erschienen in China, wie der in Leipzig lehrende Sinologe Aleksey Chigadaev ermittelte. Das Propagandabild eines starken Führers kam auch in China an. Es zeigt aber auch, wie man sich in China die Führung eines Staates vorstellt. Der Blick auf den jeweiligen Herrscher des Kreml hatte immer auch einen Seitenblick auf das eigene Land und war gegenüber Putin erstmals seit Stalin voller Wohlwollen und Respekt - sowohl von den chinesischen Politikern, als auch seitens der Puklikationen in China.

Seit einigen Jahren gibt es jedoch keine neuen Publikationen mehr über Putin in China. Mögliche Erklärungen sind der sichtbare Alterungsprozess, aber auch die zunehmende Isolierung Putins, die sich durch Covid verstärkt hat. Ebenfalls denkbar ist es, die chinesische Führung wünscht keine weiteren Publikationen über Putin.

Putin und Xi Jinping versprechen sich zwar immer wieder gegenseitig, "farbige Revolutionen" zu verhindern und betonten Gemeinsamkeiten, die eher unverbindlich außenpolitisch gegen die USA gerichtet war, aber Zählbares kam für Putin dabei nicht heraus. Das erinnert an Medvedevs berühmten Rat an einen Rentner auf der Krym nach der Annexion: Geld gibts keines, aber haltet durch. Seit dem Krieg verlegt sich China immer mehr auf die Kunst des wortreichen Schweigens gegenüber Russland.

1.6. Unterschiedliche wirtschaftliche Entwicklungen

Analysiert und vergleicht man das BIP pro Kopf zwischen Russland und China und vergleicht dazu die Rohstoffpreise, erkennt man deutlich, das Wirtschaftswachstum zwischen 2000 und 2013 mit einer kurzen Delle 2008/09 basiert auf hohe Rohstoffpreise.

Korruption und Verschwendung – das sind typische Erscheinungen vieler Ressourcenländer mit schlechter politischer Steuerung. Auch Russlands Außenpolitik ist geprägt von seinen Rohstoffexport-Interessen: die teils aggressive Verteidigung seines Gasmarktes.
Jan Uwe Stahr, Deutschlandfunk, 19. Mai 2015

Vom Ressourcenfluch war in den 1970er Jahren auch die Niederlande betroffen. Dank der Ende der 1950er entdeckten großen Gasvorkommen im Norden des Landes entwickelte sich die Niederlande von einem Niedriglohnland zu einem Land mit sehr hohen Lohnkosten (Andreas Gebbink, WWU Münster, Januar 2008). Es entstanden viele Industriezweige, die energieintensiv waren. Das führte ab 1973 und in der Folge zu einer tiefen Wirtschaftskrise. Die niederländische Regierung versuchte, die Probleme mit den klassischen Keynesianischen Politik in den Griff zu bekommen und verschärfte die Wirtschaftskrise.

Mangelnde Energieeffizienz dank Rohstoffe im Überfluss beeinflusste auch die sowjetische Wirtschaft. Zwar profitierte die UdSSR von den hohen Gas- und Ölpreisen, investierte die Einnahmen ebenso wie die Niederlande in eine Steigerung des Konsums (auf niedrigem Niveau) und steigerte den Rüstungsetat bzw. investierte in die Raumfahrt. Investitionen in Energieeffizienz blieben vollkommen aus und die Effizienz der sowjetischen Betriebe fiel immer weiter zurück. Fallende Rohstoffpreise in den 1980ern waren einer der wichtigsten Gründe für das Ende der UdSSR.

China ist ein Staat nahezu ohne Energie-Rohstoffe. Das Land entwickelte sich nach dem Tod von Mao und einer neuen Wirtschaftpolitik stetig ohne nennenswerte Rückschläge. 2020 überstieg das BIP pro Kopf in China erstmals dem in Russland.

2.1. Ein Positionspapier

Was ist eine antiwestliche Koalition, in China wissen sie es nicht, sage ich gleich und ehrlich, und das Wort "antiwestliche Koalition" existiert nicht in der chinesischen Mentalität. Das ist so eine russische Fantasie, dass es eine Art verdammten Westen und eine Art antiwestliche Koalition gibt, die sich dagegen wehrt.
Alexei Chigadaev, Sinologe an der Universität Leipzig, 23. März 2023

China veröffentlichte am 21. Februar 2023 ein Positionspapier, welches eine Serie von Ohrfeigen für Putin darstellen könnte, auch wenn klar erkennbar wird, China will aus eigenem Interesse Russland einen Ausweg aus dem Krieg bieten. Chinas UN-Botschafter Zhang Jun verwahrte sich gegen die Formulierung "Friedensplan" und sprach von einem Positionspapier. Einige Punkte sind in diesem Konzeptpapier interessant:

⦁ Russland soll alle besetzten Gebiete an die Ukraine zurückgeben
⦁ Verzicht auf Einsatz oder Bedrohung mit Atomwaffen
⦁ Gemeinsamer Aktivitäten von China, der EU und der OAS in Afrika

China äußert sich nicht, welche ukrainischen Gebiete ihrer Ansicht nach von Russland besetzt sind. Dieser Punkt bietet genügend Raum für Interpretationen. China hat bis heute keine der von Russland eroberten Gebiete als Teil von Russland anerkannt. Damit wäre es hypothetisch auch für die Ukraine oder den USA als Vermittler akzeptabel, denn China könnte für einen möglichen Friedensvertrag Russland darauf hinweisen, wie wenige UN-Mitglieder die Annexion der Krym als Bestandteil der Russischen Föderation anerkannt haben.

⦁ Die von Russland teilweise besetzten Oblaste Kherson und Zaporizhya
⦁ Die nach dem 24.2.2022 besetzten Gebiete der Oblaste Luhansk und Donezk
⦁ Die mittels eines Scheinreferendums vom 18. März 2014 annektierte Krym

Beachtenswert ist der indirekte Aufruf an Russland, sich aus Afrika zurückzuziehen. In den vergangenen Jahren versuchte Russland auch durch die von Prigozhin geleitete Söldnertruppe Vagner, in afrikanischen Staaten an Macht zu gewinnen. Diese Form der Machtsicherung von Autokratien knüpft an die dunkelsten französischen Traditionen in Afrika an, als die korsische Mafia in enger Zusammenarbeit mit Elf Aquitaine in den ehemaligen französischen Kolonien große Profite einstrich und nach dem 2. Weltkrieg so ziemlich jeder französische Spitzenpolitiker bis zum Ende des 20. Jahrhunderts mit der Mafia zusammenarbeitete.

Ebenso interessant ist es, Xi scheint nicht bereit für ein Treffen mit Zelenskyj zu sein und in dem Positionspapier wird der Name Ukraine kaum erwähnt. Das sind Anzeichen dafür, Xi sieht die Ukraine als Handlanger der USA und er kann sich bei Gesprächen auf die USA beschränken. Man sollte sich darüber im Klaren sein, China ist das Schicksal der Ukraine vollkommen egal. Man kann mutmaßen, Xi hätte einen schnellen Sieg Russlands aus wirtschaftlichen Gründen bevorzugt, um das reibungslose Funktionieren der Wirtschaftsverbindungen fortsetzen zu können.

Diese Einschätzung dürfte Xi aber nicht allein haben, wenn man sich an Lindners Treffen am ersten Kriegstag erinnert, als er den ukrainischen Botschafter darum ersuchte, Kontakt zur neuen Marionettenregierung von Putins Gnaden zu vermitteln. Bis heute bleibt der Eindruck, so mancher Politiker der EU wünscht sich den Status quo vor dem Krieg zurück. Nicht nur AfD-Politiker, sondern durchaus auch mancher sozialdemokratische oder christdemokratische Politiker in Deutschland und in der EU.

Letztendlich beinhaltet das Positionspapier zu wenig Details und es besteht aus altbekannten außenpolitischen Positionen Chinas. Einen Ausweg aus dem Russisch-Ukrainischen Krieg kann es ohnehin nicht bieten, da Putins Kriegsziel eine unterworfene Ukraine ist und das angegriffene Land diese Option nicht wählen kann. Die Ukraine weiß 90% der Bevölkerung hinter sich, die Unterstützung der russischen Bevölkerung für den Krieg bleibt letztendlich unklar. Jede Waffenstillstandsbemühung wird die Frage nach einer zukünftigen Sicherheit für die Ukraine bieten müssen. In dieser Hinsicht bleibt China jede Antwort schuldig und hat daher die Bezeichnung "Friedenspapier" offiziell dementiert.

2.2. Gemeinsamkeiten der Autokraten

Nach Maos Tod und dem Sturz der Viererbande vermied die Kommunistische Partei in China lange Zeit, die Macht zu stark auf einen Staatsführer zu konzentrieren. Mehr als zwei Amtszeiten regierte keiner China und Entscheidungen wurden im Konsens getroffen. In der UdSSR nannte man das nach Stalins Tod "Kollektive Führung".

Xi Jinping brach mit dieser unausgesprochenen Regel und ließ sich März 2022 vom Volkskongress für weitere fünf Jahre als chinesischer Präsident bestätigen. Putin war russischer Präsident vom 31. Dezember 1999 bis 2008 und ließ sich nach einem vierjährigen Intermezzo unter Medvedev - dessen Rolle als Platzhalter am Ende seiner Amtszeit deutlich wurde - in einer dann auf fünf Jahre verlängerten Amtszeit erneut zweimal wählen. Eine Verfassungsänderung, welche die Begrenzung von zwei Amtszeiten aufhebt, gab es bislang nicht. Es ist denkbar, die beschlossene Verfassungsänderung im März 2020 wird dahingehend interpretiert, der Zähler der Amtszeiten wird für Putin auf 0 gesetzt.

Eine der ersten Aktionen von Xi in seinem neuen Amt war der Start einer großen Antikorruptionskampagne. Korruption war und ist in der Tat ein ernstes Problem in China, aber unter der „Antikorruptionskampagne“ litten aus irgendeinem Grund vor allem Xis politische Gegner.
Andrej Smoljakov, The Insider, 28. März 2023

Putin und Xi Jinping zelebrieren in der Öffentlichkeit gerne das Bild des Präsidenten, der erfolgreich gegen die Korruption im Land kämpft. Das Buch Putin’s Kleptocracy. Who Owns Russia? von Karen Dawisha beschreibt ausführlich, wieso es in den Amtszeiten von Putin zur Sicherung des durch Bereicherung ergaunerten Vermögens kam und die Korruptionsbekämpfung zu einem Mittel des Machtkampfes und der Machterweiterung des inneren Zirkels um Putin wurde. Selbst in den USA fand sich kaum ein Verleger, der dieses Buch veröffentlichen wollte.

Beide haben ein großes Interesse, das Internet zu kontrollieren. Bislang ist China in dieser Disziplin gegenüber Russland im Vorteil, weil in Russland quasi ein unkontrollierbarer rechtsfreier Raum während der Jelzin-Ära herrschte, den Putin lange nicht kontrollieren wollte und bislang auch noch kontrollieren konnte. Weltweit gab es kein freieres Land im Internetbereich als Russland und es ist kein Zufall, dort entstand auch der kostenlose Instant-Messenger Telegram, in dem faktisch keine Regeln herrschen und an welchen sich ganze Staatsapparate wie aus Belarus aber durchaus auch aus Deutschland vergeblich abarbeiten.

Putin versucht, sich an die Spitze von autokratisch regierten Staaten zu setzen, zu denen auch möglicherweise Indien unter Modi zählen könnte, der "seine mangelnde Popularität durch autoritärere Maßnahmen" kompensiert (Boris Blochin, The Insider). Mit dem Krieg gegen die Ukraine hat Putin seine Machtposition in der Welt - aber auch im eigenen Land - massiv aufs Spiel gesetzt.

Die groß angekündigte dreitägige Spezialoperation legt nach über einem Jahr die Schwächen der russischen Armee und die massiven Fehleinschätzungen Putins schonungslos offen. Der Scheinriese Tur Tur schrumpfte und der Scheinzwerg Ukraine erwies sich als militärisch ebenbürtiger Gegner. Die Irritation in der chinesischen Führung über dieses unerwartete Ergebnis ist sichtbar. Einerseits wünscht man sich weiterhin einen russischen Präsidenten Putin sowie stabile Verhältnisse. Eine militärische Unterstützung Russlands kommt aus mehrerlei Gründen bislang nicht in Frage. Der Umfang wäre auch zu groß. Um allein den täglichen Verbrauch von 50000 Artilleriegranaten zu ersetzen, den die russische Armee im Herbst verschossen hat, müßte China einen Güterzug pro Tag über eine Entfernung von 8000 Kilometern liefern.

2.3.1. Wirtschaftliche Zusammenarbeit

Putin lädt Xi ein, „Made in China“ auf die russische Flagge zu schreiben
Russischer Witz, Pezduza

Einer der Schwerpunkte des Treffens zwischen Xi Jinping und Putin war die wirtschaftliche Zusammenarbeit beider Staaten. Der Umfang des Handels zwischen Russland und China nahm seit Beginn des Krieges zu, steht aber für China noch immer in einem Verhältnis von 1:8 mit dem des Westens.

Natürlich werden wir danach streben, in den vielversprechendsten Hightech-Bereichen zusammenzuarbeiten, und in dieser Hinsicht ist jedes unserer beiden Länder führend der Welt. Es gibt ein gewisses hohes Maß an etablierter Wettbewerbsfähigkeit auf dem Markt.
Vladimir Putin, Sputniknews

Es stellt sich die Frage, in welchem Bereich außer der Kernenergie und bedingt noch der Raumfahrt Russland technologische Spitzenpositionen einnehmen soll. Die russische Rüstungsindustrie und die Armee wird seit dem 24. Februar 2022 in der Ukraine eindrucksvoll entzaubert. Der Armata T-14-Panzer wurde bislang nicht auf dem Schlachtfeld gesichtet, stattdessen sieht man, wie T-54 und T-55-Panzer an die Front gefahren werden. Die in den russischen Medien und von Putin viel gepriesene Satan-Rakete S-18 wird seit 2014 nicht mehr produziert und nicht mehr gewartet. Die Bauteile wurden im ukrainischen Dnipro hergestellt. Die in auf die Ukraine abgefeuerten Reste russischer Raketen aus der neuesten Produktion zeugen zwar von der in der russischen Rüstungsindustrie vorhandenen hohen Improvisationskunst, aber die zum Beispiel aus Waschmaschinen entnommenen Elektronikbauteile können nicht als Ersatz für moderne Waffen dienen und waren auch nur in Raketen älterer Bauart zu finden.

Peking ist sich bewusst, dass ein Einbruch der Auslandsnachfrage und -investitionen die wirtschaftlichen Aussichten des Landes beeinträchtigt.
Ronald Sonne, The Conversation, 22. März 2023

Viele gemeinsame Projekte wie z.B. der CRAIC CR929, das 2011 vereinbart und dessen Entwicklung 2014 begonnen wurde, verzögern sich und erweisen sich als unprofitabel oder nicht mehr zeitgemäß. Das zweistrahlige Großraumflugzeug sollte in den von Boeing und Airbus dominierten Bereich der Mittel- und Langstreckenflugzeuge Konkurrenz machen. China entschied Ende 2018, die Vermarktung auf dem chinesischen Markt ohne russische Beteiligung übernehmen zu wollen und drängt Russland immer mehr mit dem Argument unterschiedlicher Vorstellungen aus dem Projekt heraus. Für Russland wäre angesichts der Kosten von 600 Mrd. Rubel eine Beteiligung an der Vermarktung in China überlebenswichtig.

Russische Unternehmen, insbesondere diejenigen, die in der Außenwirtschaft tätig sind, haben den leicht irrigen Eindruck, dass das chinesische Bankensystem und der chinesische Unternehmenssektor grob gesagt fast in einer Reihe stehen werden, wenn es darum geht, wie den Russen geholfen werden kann. Aber tatsächlich standen wir nach dem 24. Februar [2022, Kriegsbeginn] vor dem, was wir hatten.
Alexander Rakhmanin, Rosbank-Vizepräsident, RBK, 31. Januar 2023

Auch in puncto Kapitalaufnahme für Investitionen erfüllte China nicht die Erwartungen der russischen Unternehmer. Investoren erwarten Profit. Den kann keiner bieten, wenn Absatzmärkte wegbrechen und Investitionen erforderlich sind. Zumal der kriegführende Staat auch noch bei der Finanzierung des Krieges Hilfe von den Unternehmen erwartet. Wie schwer es ist, angesichts sinkender Profite Städte und ganze Regionen zu modernisieren, konnte man in Deutschland sehen, als die Konkurrenz aus dem Ausland billigere Schiffe baute, Billiglohnländer die deutsche Textilindustrie zerschlugen oder Kohle in anderen Staaten günstiger gefördert werden konnte. Die Wirtschaft der DDR kollabierte unter anderem deshalb, weil ihre traditionellen Absatzmärkte im Osten wegbrachen und diese ihre Produkte nicht mit der Deutschen Mark bezahlen konnte. Eine ähnliche Schocktherapie findet gerade in der russischen Wirtschaft statt.

Im ersten Kriegsjahr wurde die russische Wirtschaft auf einen Weg des Strukturwandels hin zu einer weitgehend autarken, staatlich gelenkten Wirtschaft getrieben.Importsubstitution und Abkoppelung von „unfreundlichen Ländern“ standen weit oben auf der politischen Agenda.Eine solche Politik kann nur mit enormen Investitionen in die heimische Produktion zum Ersatz verlorener Importe sowie mit dem Bau neuer Verkehrsverbindungen nach Osten und Süden erfolgreich sein.Da die Ressourcen begrenzt sind, bedeutet dies weniger Investitionen in anderen Sektoren einschließlich potenziell produktiverer Bereiche. Die Wirtschaft wird sich von der technologischen Grenze entfernen. Primitivizatsiaoder umgekehrte Industrialisierung.
Laura Solanko, Suomen Pankki Eurojärjestelmä (Nationalbank Finnland), 27. März 2023

Eine Hoffnung aufgrund einer erwartbaren tiefen und weltweiten Rezession durch den heutigen Bankenstress sollte Russland als Rohstoffexporteur nicht hegen. In den Zeiten der Rezession sinkt die Nachfrage nach Rohstoffen.

2.3.2. Rohstofflieferant Russland

Während diese Pipeline China mit einer billigeren Alternative zu verflüssigtem Erdgas versorgen könnte, konzentriert sich die Regierung von Xi weiterhin auf die Sicherung der Versorgungsvielfalt – und wiederholt damit im Wesentlichen nicht den europäischen Fehler der übermäßigen Abhängigkeit von Russland.
Kari Lindberg & Stephen Stapczynski, 22. März 2023, Bloomberg, Kopie auf Yahoo

Putins Streben nach alternativen Absatzmärkten für seine Rohstoffe trifft auf Chinas Prinzip der Diversifikation, sich nicht einseitig von einem Lieferanten abhängig zu machen. China wird nicht den deutschen Fehler begehen, sich von einem Lieferanten abhängig zu machen. Darüber hinaus befindet sich die chinesische Wirtschaft nach Covid ohnehin in einem wirtschaftlichen Abschwung und benötigt weniger Rohstoffe. Vereinfacht kann man es auf die Formel bringen: Baut erst einmal die Pipeline und macht uns dann ein äußerst lukratives Angebot. Zumal Russland als wirtschaftlicher Handelspartner für China ähnlich wichtig ist wie Vietnam, was Platz 10 in der Außenhandelsbilanz für China bedeutet. Die USA und die EU spielen eine weitaus größere Bedeutung. Eine deftige Karikatur von Oleh Smal aus dem Jahr 2014 (nicht 2015) beschreibt Putins Russland 2023.

Wir glauben nicht, dass es schon abgeschlossen ist, es müssen noch viele feinere Details ausgearbeitet werden.
Wang Yuanda, Gasanalyst für China beim Datenaufklärungsunternehmen ICIS (Reuters)

Auch bei der Power of Siberia 2-Pipeline erreichte Putin so gut wie keine Lösung. Russlands Problem ist, die Exportinfrastruktur Russlands nicht nur für Rohstoffe verläuft in Richtung Westen. Die Power of Siberia-2 ist zwar schon seit über 10 Jahren geplant, doch der Baubeginn lässt bis heute auf sich warten.

China setzt auf die Gewinnung von eigenem Gas (ua aus Schiefergestein), auf Importe aus Zentralasien, Malaysia und auf verflüssigtes Erdgas. Oft ist dies chinesisches verflüssigtes Erdgas, das von chinesischen Unternehmen produziert, in verschiedenen Ländern der Welt verflüssigt wird und dieses Gas bereits ihnen gehört. Alles ist dort für mehrere Jahrzehnte im Voraus geplant, und für russisches Gas ist dort kein Platz.
Michail Krutikhin, The Insider, 25. März 2023

Der russische Wirtschaftsanalyst Michail Krutikhin weist auf die begrenzten Kapazitäten der russischen LGT-Häfen (80 Millionen Tonnen pro Jahr) sowie maximal 22 Mrd. m³ Gas (2025 maximal 38 Mrd m³) pro Jahr durch die vorhandene Pipeline nach China hin. Deutschland bezog 2021 insgesamt 55 Mrd. m³ aus Russland. Was Flüssiggas betrifft, werden viele asiatische Staaten wie z.B. Japan von den zwei Häfen aus versorgt. Krutikhin kommt angesichts der kurzfristigen Kehrtwende - für die jede logistische Basis fehlt - zu der Schlußfolgerung, "Russland befahl Gazprom, Selbstmord zu begehen".

Stellen Sie sich Putin vor, der zum chinesischen Führer kommt und sagt: „Wir wollen eine riesige Pipeline für Sie bauen, aber wir haben einen Plan, diese Mengen entweder an Sie oder an die Europäer zu übertragen, wo es für uns von Vorteil sein wird.“ Und was wird seine Antwort auf ein so verlockendes Angebot von Xi Jinping sein?
Michail Krutikhin, The Insider, 25. März 2023

Krutikhin vermutet, das Treffen zwischen Putin und Xi Jinping wäre gescheitert, weil beide Gesprächspartner völlig falsche Erwartungen gehabt hätten. Putin erwartete ein wirtschaftliches Bündnis und vermutlich auch noch militärische Hilfe, Xi Jinping könnte einen rationalen Gesprächspartner erwartet haben, dem er mit einen Friedensplan einen Ausweg aus einem Krieg bieten kann, der nicht wie erwartet mit der schnellen Niederlage der Ukraine endete.

Unterm Strich hat die oberste russische Führung keine rationalen Pläne. Xi Jinping kam an, wollte Putin aufrichtig „arbeiten“ und Bedingungen für Frieden oder zumindest einen Waffenstillstand schaffen, damit er später Zelenskyj in Kiew anrufen und sagen könnte: „Es gibt solche Vorschläge, und China spielt hier eine herausragende Rolle.“ Aber Xi merkte sehr schnell, dass es unmöglich war, mit diesem Mann zu sprechen – er benimmt sich wie ein Verrückter. Der erste, zweite, dritte, vierte Plan wurde angekündigt, aber sie entpuppten sich alle als Dummheit und leeres Geschwätz, wie alles, was von Putin kommt, dessen Verhalten sich jeder Logik entzieht. Wer sagt, er bekämpft den Westen, tut alles, um den Westen zu stärken. Er arbeitet für die USA und die NATO und erschöpft Russland in jeder Hinsicht.
Michail Krutikhin, The Insider, 25. März 2023

Putins Hoffnungen, chinesische Investoren würden den Westen ersetzen, haben sich als Illusion erwiesen. Chinesische Investoren erwarten Gewinne und wirtschaftliche Perspektiven, die ein im Krieg befindliches Russland auch dank der Sanktionen des Westens nicht zu bieten hat. Zwar ist es durchaus denkbar, über chinesische Firmen kann Russland die für den Krieg benötigte Elektronik beziehen, jedoch wird dies über kleinere Firmen und dafür satte Risikoaufschläge über Drittstaaten abgewickelt werden. Die russische Propaganda funktioniert nur innerhalb von Russland. Wenn Putin sagt, das Land könne den Westen ersetzen, wird ihm keiner widersprechen. Was dazu führt, Sergej Lavrov und der Gazprom-Chef Alexej Miller führen stundenlange bizarre Gespräche mit dem "deutschen Exil-Kanzler" Ralph T. Niemeyer und vereinbaren mit dem Ex-Gatten von Sahra Wagenknecht Verträge für die Lieferung von Gas mit einer nicht existenten Exilregierung, wenn nicht wieder der Besuch eines der wenig verbliebenen Bündnispartner Lukashenko ansteht (Photo vom Treffen in Sochi vom 14. September 2022) und dieser um Geld bittet.

Es gibt noch ein weiteres, grundlegenderes Problem. Im Gegensatz zum Westen, den wir gerne alle und jeden verunglimpfen, haben die Länder Asiens - und allen voran China - keinerlei Interesse daran, die gleichen Geber für die Entwicklung Russlands zu werden, wie es die Länder des Westens in den vergangenen drei Jahrzehnten waren. Egal, wie sehr der Westen in Russland als eine Art heimtückischer Feind dargestellt wird, in Wirklichkeit ist all unsere Entwicklung und Modernisierung seit den 1980er Jahren auf Kosten von westlichem Kapital, Technologie und Wissen durchgeführt worden. Ist Asien bereit, in ähnlichem Umfang zum Geldgeber der russischen Modernisierung zu werden? Definitiv nicht.
Vladimir Milov, The Insider, 28. März 2023

Russlands Rolle für China ist die eines Rohstofflieferanten zu Dumpingpreisen. China signalisiert keine Nachfrage und Russland will anbieten. Wer Grundkenntnisse von Marktgesetzen hat, kann sich vorstellen, wie die Rollen Gewinner und Verlierer verteilt werden. Als Alternative für den Kauf von Energierohstoffen nutzt China die C+C5-Konferenzen (China + Kazakhstan, Uzbekistan, Turkmenistan, Tadzhikistan, Kyrgysztan). Chinas Energiebedarf entspricht 25% des gesamten Weltbedarfs, die geplanten Pipelines führen an Russland vorbei. China hat sich längst in Gebieten etabliert, die Russland als ihre Hemisphäre betrachtet.

Im Mai wird er sich mit den Staats- und Regierungschefs von Kasachstan, Kirgisistan, Tadschikistan, Usbekistan und Turkmenistan treffen, um über Investitionen und den Ausbau ihrer Straßen-, Schienen- und Pipelineprojekte zu sprechen, die China unter Umgehung Russlands mit Europa verbinden. "Ich bin mir nicht sicher, ob der Kreml es begeistert aufnehmen wird", kommentierte ein schwedischer Staatsmann sarkastisch. Die Neuausrichtung der chinesischen Außenpolitik ist transformativ: Sie distanziert Peking weiter von Putins "grenzenloser" Partnerschaft und erweitert den Spielraum von Chinas "Soft Power" erheblich. Ziel ist es, den Handel zu sichern und Ressourcenmöglichkeiten in Zentralasien und im Nahen Osten zu nutzen.
Diane Francis, 3. April 2023

Putins Politik der geheimdienstlichen Sonderoperationen ist eine Welt des 20. Jahrhunderts, die Chinas Ziel, den Handel in der Welt zu dominieren, stören könnten. Da Russlands Wirtschaftskraft in der Bedeutung immer weiter abnimmt, wird China Russland entweder ignorieren oder eines Tages seine Wirtschaftskraft einsetzen, um Russland zu dominieren. 2% der chinesischen Exporte gehen nach Russland, 66% in den Westen.

Während der Krieg weitergeht, ist es offensichtlich, dass Russland irgendwann untergehen wird. Überraschend ist jedoch die Rolle, die der Osten dabei spielt. Putin wird nicht nur auf dem Schlachtfeld von seinen standhaften westlichen Feinden angegriffen. Auf der anderen Seite wird er auf dem Marktplatz angegriffen und von seinen asiatischen "Gebrauchsfreunden" überfallen und abgeerntet.
Diane Francis, 23. März 2023

Doch nicht nur China profitiert. Auch Indien und andere asiatischen Staaten nutzen die Chance, auf Kosten Russlands zu Dumpingpreisen ihre Wirtschaft zu stärken und profitieren dabei zusätzlich von den eingeführten Ölpreisobergrenzen. Putins Kalkül, selbstlose Hilfe von Verbündeten zu erhalten, erweisen sich als Illusion.

2.4. Der Atombomben-Deal

Tatsache ist, dass China den Putin-Lukaschenka-Unsinn ernst nahm. Im Reich der Mitte gibt es ein vollständiges Wissen darüber, WO genau verrückte Diktatoren Raketen "platzieren" können. [...] In Lukaschenkas verlassenen Gebäuden und Schuppen kann nichts Komplizierteres als eine Schleuder aufbewahrt werden.
Alexandr Nevzorov, Telegram, 1. April 2023

Es drängt sich der Eindruck auf, immer dann, wenn es für die russische Armee an der Front nicht wie gewünscht läuft, kommt wieder die Drohung mit der Atombombe, die die gewünschten Reflexe in Ländern wie Deutschland auslösen soll.

Der ehemalige Duma-Abgeordnete Alexandr Nevzorov verweist darauf, wie komplex die Stationierung von Atomwaffen ist. Selbst das seit neun Jahren geplante Nuklearlager Feodosia-13 ist kaum über Absichtserklärungen hinausgekommen. Die Aufstellung, Lagerung und Wartung von Atomraketen ist logistisch nicht so leicht zu bewerkstelligen.

Wir sehen zwei Kriege: einen Krieg, den Putin auf den Feldern der Ukraine führt, und der auffallend erfolglos ist, sagen wir mal so. Wir sehen Putins weithin angekündigte Offensive ins Stocken geraten und sich in einen feinen Nieselregen statt in einen Tsunami verwandelt. Dementsprechend sehen wir auf der anderen Seite einen PR-Krieg. Wir sehen Putin: Ich werde den „Start“-Vertrag aussetzen, ich werde Atomwaffen in Belarus stationieren, ich verhafte amerikanische Bürger, ich schieße amerikanische Drohnen ab. Das alles ist ein Bild, was Z-Patrioten ein charmantes Gefühl geben sollte, dass unser Hauptzauberer nachts über die feindlichen Städte London und Paris fliegt, die Pest auf sie sät und sie sind machtlos, dem etwas entgegenzusetzen.
Yulia Latynina, Radio Svoboda, 31. März 2023

Es ist nicht das erste Mal, Russland droht mit der Macht seiner Atomwaffen. Jedoch ist die Drohung ein stumpfes Schwert, würde der Einsatz atomarer Waffen in diesem Krieg die völlige Isolierung Russlands in der Welt bedeuten. Selbst den konventionellen Krieg zu gewinnen, erscheint angesichts der Realität auf den Schlachtfeldern immer unwahrscheinlicher zu werden.

2.5. Außenpolitische Ziele Chinas

China will nicht, dass die Ukraine diesen Krieg gewinnt, aber sie halten sich an einige Prinzipien. Und sie sind nicht bereit, Putin die Hilfe zu geben, die er braucht.
Johann Herbst, ehem. US-Botschafter in der Ukraine, New Voice, 24. März 2023

Betrachtet man die Position Chinas genauer, so sollte man nicht vergessen, Chinas Politik basiert immer auf dem Prinzip "China first". Zudem neigen chinesische Regierungen bislang dazu, ihre Ziele ohne kriegerische Mittel durchzusetzen, auch wenn man gegenüber Taiwan eine Abweichung von diesem Prinzip vermuten kann.

Während die Vereinigten Staaten auf eine polarisierte Welt setzen, tut China sein Bestes, um eine stärker fragmentierte Welt zu fördern. Anstatt zu versuchen, den Platz der USA einzunehmen, wollen sie als Freund und Verbündeter der Entwicklungsländer angesehen werden, die ein größeres Mitspracherecht haben wollen. Es gibt viele Gründe, daran zu zweifeln, dass China diese Strategie umsetzen kann. In den Teilen der Welt, in denen Chinas Einfluss am stärksten gewachsen ist, wie Südostasien und Subsahara-Afrika, hat dies oft zu Gegenreaktionen geführt. Und in Zukunft wird China mit Indien um die Führung im globalen Süden konkurrieren müssen. Dennoch haben Chinas Führer wahrscheinlich Recht, wenn sie vermuten, dass Souveränität und nicht die Unterwerfung unter mächtigere Verbündete das bestimmende Thema der Weltpolitik des 21. Jahrhunderts sein wird.
Harold James, , Project Syndicate, 30. März 2023

Drei Wochen vor dem Russisch-Ukrainischen Krieg erklärten Xi Jinping und Putin in einer gemeinsamen Erklärung, die chinesisch-russische Freundschaft kenne keine Grenzen. Dies wurde sowohl im Westen, als auch in Russland als eine Unterstützung von Russland im Krieg gegen die Ukraine interpretiert. Dagegen verwahrte sich Chinas Botschafter bei der EU Fu Cong und stellte in einem Interview klar, "No Limit" sei nichts anderes als Rhetorik.

Aber Herr Fu sagte, China sei im Krieg nicht auf der Seite Russlands und einige Leute „interpretieren dies absichtlich falsch, weil es die sogenannte "No-Limit"-Freundschaft oder -Beziehung gibt“. Er fügte hinzu: "'No Limit‘ ist nichts als Rhetorik." Herr Fu sagte, China habe Russland weder militärische Hilfe geleistet noch seine Bemühungen anerkannt, ukrainische Gebiete, einschließlich der Krim und des Donbass, zu annektieren.
Matina Stevis-Gridneff & Steven Erlanger, NYT, 6. April 2023

Fu Congs Interview sollte man insofern relativieren, China versucht zur Zeit, seine wirtschaftlichen Beziehungen zur EU zu erhalten. China spielt ein janusköpfiges Spiel. Einerseits wird die fehlende direkte Kommunikation zwischen Xi Jinping und Zelenskyj damit begründet, Xi sei "sehr beschäftigt", andererseits fliegt er für mehrtägige Konsultationen nach Moskau und spielt damit die Verweigerung eines Telefongesprächs von der chinesischen Seite herunter.

Es wird aus dem Interview sehr deutlich, Fu Cong wird versuchen, die Wirtschaftsbeziehungen zwischen der EU und China auszubauen. Eine der Beweggründe dürfte sein, die Bemühungen der USA zu torpedieren, Chinas Expansionsbestrebungen gegen Taiwan oder auch in Asien und Afrika einzudämmen. Die Verfolgung von Minderheiten wie die Uiguren oder Kazakhen in China dürften dabei ein größeres Hemmnis sein als der Russisch-Ukrainische Krieg. Bislang hat China zumindest direkt keine Waffen an Russland geliefert und unterstützt auch nicht Russlands Forderungen an die Ukraine. Fu Cong reagiert damit auch auf die Rede von Ursula von der Leyen vom 30. März 2023 über die Beziehungen zwischen der EU und China. Die Interpretation drängt sich auf, Chinas Neutralität und die dadurch bedingte ausbleibende militärische Unterstützung für Russland ergibt sich aus Chinas Interesse an internationalem Handel mit der EU. Beim Handel mit China geht es unter anderem die für erneuerbare Energiequellen wichtigen Rohstoffe Lithium oder Kobalt, die aus China importiert werden sollen. Hier"riskieren die [EU-]Regierungen jedoch, den gleichen Fehler der Abhängigkeit von China zu begehen, wie sie es beim russischen Gas getan haben" (Judy Dempsey, 4. April 2023).

Der Präsident forderte Xi auf, keine Lieferungen an Russland zu liefern, die ihm im Krieg gegen die Ukraine helfen würden. Xi sagte, dieser Krieg gehe ihn nichts an.
Namentlich nicht genannter Diplomat über den Macron-Besuch in China, Pavlo Klimkin, NV, 9. April 2023

Alle Zeichen deuten darauf hin, China bleibt auf Abstand mit Russland und versucht, mit einer vorsichtigen Politik von den Folgen des Russisch-Ukrainischen Krieges unbehelligt zu bleiben. Xi Jinping scheint einer französischen Friedensinitiative kaum Chancen auf Erfolg zu geben und wartet lieber ab.

2.6. Der Diener und sein Herr

Auch sonst verhielt sich der oft als Macho auftretende russische Präsident eher wie ein gehorsames Kätzchen neben Xi Jinping.
Christian Heitmann, Dennik Postij, 24. März 2023

Das Verhältnis zwischen Moskau und Peking hat sich vollkommen umgekehrt. Während Mao nach Stalin noch als Bittsteller zu Kreuze kriechen mußte, beehrt Xi Jinping Putin zwar als Erster mit dem ersten Auslandsbesuch seit langer Zeit, genoß aber sichtlich die dominante Rolle, die China gegenüber Russland spielt. Xi kann sich sicher sein, so lange Putin russischer Präsident bleibt, wird sich nichts daran ändern.

- Kolya, möchtest du im schönen Russland der Zukunft leben?
- Ich weiß nicht, Wanya, ich spreche kein Chinesisch.
Russischer Witz über das russisch-chinesische Verhältnis

Die russische Kriegsrhetorik hat Auswirkungen auf die ehemals sowjetischen Republiken in Asien. Das Kazakhstan trotz massiver Unterdrückung ihrer Landsleute in China gegenüber Russland auf Abstand geht und der kazakhische Präsident Tokayev im vergangenen Jahr gleich mehrfach die verbale Auseinandersetzung mit Putin suchte, überrascht auf den ersten Blick. Es ist allerdings auch das Ergebnis der russischen Ideologie, die besagt, wo Russisch gesprochen werde, sei auch Russland. Tokayev wird dabei vom Großteil seiner Bevölkerung unterstützt. Selbst die russische Minderheit im Land verhält sich neutral und will nicht vom Kreml befreit werden. Nach den zwei großen Fluchtwellen aus Russland zu Beginn des Krieges und während der ersten Mobilisierung im Herbst kam es wie auch in anderen Staaten häufig zu verbalen Auseinandersetzungen, da viele russische Flüchtlinge zwar nicht selber kämpfen wollten, aber darauf bestanden, in Kazakhstan nur Russisch zu reden und zudem zum Teil den russischen Krieg in der Ukraine auch noch unterstützt haben. Der kazakhische Staat veröffentliche Benimm-Regeln für russische Flüchtlinge, in denen sie darauf hingewiesen wurde, sie befänden sich in einem selbständigen Staat. Teile der Bevölkerung gingen noch weiter und unterstützen offen die Ukrainer. Ein Indiz dafür der Geschäftsführer einer Ölfirma, der die russischen Flüchtlinge in einem Video mit einem Bandera-Lied begrüßte.

Man kann die Ergebnisse von 23 Jahren Putinscher Geopolitik zusammenfassen, wie es eine russische Satireseite getan hat:

Putins Geopolitik lief zunächst darauf hinaus, in allen Ländern außer Amerika Freunde zu finden. Zunächst war alles ganz gut, zumal es Putin zu Beginn des Irakkriegs sogar gelang, so etwas wie eine Dissensachse Paris-Berlin-Moskau zu bilden, aber dann änderte sich die Politik und mit ihr die Politik dieser Länder. Nach der Kehrtwende in München konzentrierte sich Russland wieder hauptsächlich auf arabische, asiatische und lateinamerikanische Länder (meistens auf diejenigen, die sich noch an die Tage von Sovok erinnerten und daran erinnerten, dass Russland gut ist): Venezuela, Nordkorea, Nicaragua, Kuba, China. Putin gewinnt Freunde unter Ländern, die mit der westlichen Achse nicht einverstanden sind, und trollt Amerika zunehmend, da er es für ein völlig verrottetes Land hält.
Russische Satireseite Lurkmore über Putin

Mit den Tagen von Sovok ist die UdSSR gemeint. Sovok bedeutet eigentlich Kehrschaufel, es wird in Osteuropa aber auch für eine ewig meckernde Person mit einer sowjetischen Mentalität und einem rückwärts gerichteten Weltbild verwendet und man bezeichnet damit destruktiv lebende und denkende Menschen. Putins Weltbild ist das Produkt der Vergangenheit und es bietet die Projektionsfläche für eine alternde Generation.

Wenn er anfängt, große Waffensysteme nach Russland zu liefern, wird sich die ganze Welt gegen ihn wenden. Das will er nicht. Er will die Welt wirtschaftlich erobern können, er will von den Menschen gemocht werden. Jetzt hat er einige Wirtschaftsabkommen mit Russland geschlossen, von denen China profitieren wird. Aber ich denke, dass er aus militärischer Sicht ein Narr wäre, Russland offen zu unterstützen und die Situation eskalieren zu lassen. Die einzigen Länder, die Russland derzeit unterstützen, sind der Kongo, Südafrika und Belarus. Keines dieser Länder ist ein legitimes Land und diese Unterstützung wird wahrscheinlich mit Geld bezahlt.
Dan Rice, Präsident der American University in Kyiv, New Voice, 23. März 2023

Russland betont zwar, Chinas Politik gegen Taiwan bedingungslos unterstützen zu wollen, jedoch wird sich Russland Spionageskandale wie 2013 in der Zukunft gefallen lassen müssen. Damals hatte man zufällig Chips in Haushaltsgeräte wie Bügeleisen, Wasserkochern oder Telefone gefunden, die sich automatisch mit Netzwerken verbinden und Viren und Spam versenden. Eine Woche vor der Ankunft von Xi Jinping forderten russische Hersteller von Glasfaserkabeln vergebens höhere Zölle als Schutz vor billigeren chinesischen Importen. Russlands Abhängigkeit von China wird sich durch die außenpolitische Isolierung gegenüber dem Westen und auch durch die Kosten des Krieges gegen die Ukraine immer mehr verstärken.

2.7. Chinesisch-ukrainisches Verhältnis

Im Völkerrecht haben diese Länder der ehemaligen Sowjetunion keinen effektiven Status, weil es kein internationales Abkommen gibt, um ihren Status als souveränes Land zu verwirklichen.
Lu Shaye, chinesischer Botschafter in Frankreich, 22. April 2023

Sollte die UN-Mitgliedschaft eines Staates die Basis des Völkerrechts sein, so unterscheidet die UN nicht zwischen einem effektiven und einem weniger effektiven Status, sondern es sieht jedes Mitglied als souverän an. Es scheint so zu sein, als ob der chinesische Botschafter in Frankreich Lu Shaye vielleicht die inoffizielle Auffassung einiger chinesischer Politiker in Worte gefaßt haben könnte, sollte es aber das Ziel von Xi Jinping gewesen sein, als ehrlicher Friedensmakler aufzutreten, zeigt es die Schwierigkeiten, die China hat, diese Rolle ausfüllen zu können. Es gibt aber weitere Probleme zwischen den zwei Staaten.

Der Berater von Yermak Mykhailo Polodiak sagt, das Ziel der Ukraine, wieder die Kontrolle über das gesamte Staatsgebiet zurückzuerlangen, wäre das politische Ende von Putin. Genau das will Xi Jinping verhindern. Zumindest wünscht China einen bekannten Gesprächspartner. Denkbar wäre für sie auch der aktuelle Ministerpräsident Mishustin. Beide Staaten sagen zwar offiziell, sich in die Belange Russlands nicht einmischen zu wollen, aber die Ukraine wird keinerlei Lösung akzeptieren, die sie wieder in die russische Hemisphäre zurückbringt. China wiederum sieht in der Ukraine lediglich einen Vasallen der USA. Der Wunsch der Bevölkerung existiert nicht im Bewußtsein chinesischer Politiker, während ein ukrainischer Präsident darauf Rücksicht nehmen muß.

Zwischen dem 4. Januar 2022 und dem 26. April 2023 gab es keinerlei direkten Kontakt zwischen Xi Jinping und Zelenskyj. 2022 war es ein formelles Gespräch anlässlich des 30. Jahrestages der diplomatischen Beziehungen zwischen beiden Staaten.

CNN zitiert Rajan Menon von der Denkfabrik Defence Priorities: "Xi Jinping will kein politisches Kapital in eine Anstrengung stecken, die ihm dann um die Ohren fliegt. (Die chinesische Seite) will so erfolgreich sein wie bei der Vermittlung zwischen Teheran und Riad" und vermutet, es könnte möglicherweise Signale aus Moskau gegeben haben. Angesichts zu erwartender Frühjahrs- und Sommeroffensiven sollte man aber keine kurzfristigen Ergebnisse erwarten. In einem anderen Artikel wird Brain Hart, Forscher am China Power Project des in Washington ansässigen Think Tank Center for Strategic and International Studies zitiert: "Xi hat den Anruf wahrscheinlich zeitlich geplant, um die Bedenken in Europa zu zerstreuen, aber es bleibt abzuwarten, ob der Anruf viel dazu beitragen wird, Peking zu helfen" und sieht einen zeitlichen Zusammenhang zur stark diskutierten Äußerung des chinesischen Botschafters in Frankreich.

⦁ Die New York Times fokussiert sich ebenfalls auf den Zeitpunkt des Gesprächs und vermutet, Xi Jinping sei bemüht, den politischen Schaden durch die Äußerung seines Botschafters in Grenzen zu halten. Die NYT bezweifelt, ob Xi wirklich beabsichtigt oder in der Lage ist, die Vermittlung zu erleichtern, um Frieden in der Ukraine zu erreichen.

⦁ In der Washington Post konstatiert man einen diplomatischen Sieg der Ukraine und schätzt in einem anderen Artikel ein, "dieses Gespräch war eine geopolitische Gratwanderung", da man in der Ukraine nicht an Chinas Neutralität glauben mag. Die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen China und Russland und Chinas "hegemoniale Absichten gegenüber Taiwan" erschweren die Vermittlerrolle, aber Zelenskyj dürfte ohnehin im Moment eher ein Minimalziel verfolgen: "keine Einmischung Chinas in den Krieg auf Seiten der Russischen Föderation", da man China als einen Staat sehe, der "die Situation im Krieg zwischen Russland und der Ukraine ändern kann, aber nicht unbedingt in Richtung einer friedlichen Lösung".

⦁ Der Guardian weist darauf hin, die offizielle chinesische Veröffentlichung zum Gespräch vermeidet das Wort Krieg und erwähnt eine "Ukrainische Krise". In dem Artikel wird Andrew Small, Experte für Chinas Außenpolitik beim German Marshall Fund, zitiert, Xi Jinpings Intention sei es, "die Botschaft zu vermitteln, dass dieser Konflikt nicht Chinas Krieg ist".

⦁ Volodymyr Fosenko, der Direktor des Zentrums für politische Studien Penta" kommt in New Voices zu einer optimistischeren Sicht auf Chinas Rolle: "China spielt das lange Spiel. Dies wird eine Party sein, bei der jeder Schritt getestet wird. China wird diese eigene friedensstiftende Partei nicht überstürzen, aber auch nicht verzögern. Schauen Sie - es gibt eine Pause zwischen jedem Schritt." Fosenko geht zwar ebenso davon aus, China sei durch seine Nähe zu Putin nicht der neutrale Vermittler, sieht aber die Chance auf eine gemeinsame Vermittlung durch Xi Jinping und Macron. Fosenko sieht vor dem Herbst ebenso keine Chance auf Frieden, "Um diesen bedingten Verhandlungsprozess herum wird also eine komplexe geopolitische Kombination aufgebaut. Aber China versucht, einer der Ersten zu sein."

Keiner der Artikel beschäftigt sich mit Putin oder dem herrschenden System in Russland. Ein durch China vermittelter Frieden, der Russland einen Teil der eroberten Gebiete belässt und zudem verhindert, die Ukraine kann Mitglied eines militärischen Bündnisses werden, enthält den Keim eines weiteren Krieges in den nächsten Jahren. Auf welche Sicherheitsgarantien soll sich die Ukraine verlassen, wenn der russische Präsident sich nicht scheut, den Menschen in den besetzten Gebieten russische Pässe aufzuzwingen. The Insider berichtet von massivsten Repressalien in Mariupol. Ein Kompromiss mit einem russischen Präsidenten, dessen Vorstellungen von der Ukraine manische Aggressionen auslöst, dürfte nicht lange anhalten.

[Es ist] im Prinzip eine Win-Win-Situation für Putin ist. Er kann es sich leisten, in der Ukraine zu gewinnen, und er kann es sich leisten, in der Ukraine zu verlieren. Wenn er in der Ukraine gewinnt, wird es eine Variante eines solchen Totalitarismus sein, Faschismus – wie der Stalinismus nach 1945, der triumphierende Totalitarismus des Sieges. Wenn er verliert, dann die Weimarer Hitler-Version: "Dolchstoß", "fünfte Kolonne", das ist alles. [...] Das Paradoxe an der Situation ist, dass wir alle an diesen Krieg, an die Ukraine glauben und darauf zählen, dass sich das Regime hier die Zähne brechen, sich das Rückgrat brechen wird. Tatsächlich wird es nicht brechen. Tatsächlich kann sich das Regime jeden Ausgang des Krieges in der Ukraine leisten.
Sergej Medvedev, The Insider,
26. April 2023

Auch Xi Jinpings Initiativen sind zum Scheitern verurteilt, weil Xi Jinping sich (ähnlich wie Stalin 1941 mit Hitler) in seiner Einschätzung gegenüber Putin irrt und dessen Irrationalität nicht versteht. Will Xi Jinping einen dauerhaften Frieden zwischen Russland und der Ukraine erreichen, wird er, wenn seine Friedensinitiative nicht einige Jahre später mit seinem Gesichtsverlust enden soll, Garantien geben müssen, die er nicht geben will.

3. Fazit

Es ist jetzt klar, dass China sich dem Krieg nicht anschließt. Dies war das größte Risiko, das wir uns vorstellen konnten, denn es würde die Ressourcenbasis Russlands erheblich erweitern und sein Kampfpotential wirklich, wirklich ernsthaft verändern.
Andriy Zagorodniuk, New Voice, 23. März 2023

Zur Zeit scheint China mit seiner offenen Position die besten Karten rund um den Russisch-Ukrainischen Krieg zu besitzen. China investiert nicht wie der Westen in diesen Krieg und könnte theoretisch sogar durch verdeckte Lieferungen von diesem Krieg profitieren. Der Ausgang dieses Krieges und damit auch das Schicksal Putins und Russlands ist ungewiss. Die Kriegsmüdigkeit der russischen Bevölkerung oder der Kollaps der russischen Armee in der Ukraine könnten eine Folge sein, die Xi Jinping auf alle Fälle vermeiden will. Das brachte er auch während seines Staatsbesuches in Russland zum Ausdruck.

Die internationale Gemeinschaft hat erkannt, dass kein Land anderen überlegen ist, kein Regierungsmodell universell ist und kein Land die internationale Ordnung diktieren sollte. Das gemeinsame Interesse der Menschheit ist eine Welt, die geeint und friedlich ist, nicht geteilt und veränderlich.
Xi Jinping während seines Besuchs in Moskau

Putins und Russlands Wert wurde durch den Krieg drastisch reduziert. Durch den Angriff und das Scheitern der schnellen "Spezialoperation" sowie der Unfähigkeit der russischen Armee, für die Eroberung einer Stadt wie Bakhmut mindestens 7 Monate zu benötigen (sofern die Stadt denn erobert wird), ist der Mythos der angeblich zweitstärksten Armee der Welt entzaubert worden. In einer Welt der Machos, in der sich Putin und Xi Jinping sehen, ist das ein Gesichtsverlust.

Der Besuch von Xi Jinping in Moskau gibt bei genauerer Betrachtung kaum Antworten und lässt viele offene Fragen zurück.

Was es ist? Falls Putin etwas zustößt, wird Mischustin sofort automatisch Präsident von Russland, bis die nächsten Wahlen abgehalten werden. Warum führt Xi Jinping erstens ein Gespräch mit ihm ohne Putin und zweitens wurde Mischustin nach China gerufen? Sie suchen einen Nachfolger für Putin. Sie schauen, wer nach Putin kommt. Damit deuten sie Putin an: „Wenn Sie plötzlich, meine Liebe, zusammenzucken, unsere Befehle nicht befolgen, haben wir Mischustin. Wir tätschelten ihm die Wange, küssten ihn auf die Stirn. Er ist ein guter Junge, gut gemacht, er macht alles richtig, er gibt den Pioniergruß gut."
Ivan Jakovina, New Voice, 21. März 2023

Während die führenden russischen Politiker sich ihre eigene Welt erschaffen und Lavrov bei einem Staatsbesuch in der Türkei verkündet: "Es geht um die Prinzipien, auf denen die neue Weltordnung basieren wird", was fatal an den berühmten Satz: "Deutschland wird entweder Weltmacht, oder überhaupt nicht sein" erinnert, wird sich der Westen anderen Fragen zuwenden müssen. Neben der Vermeidung der wirtschaftlichen Erpressbarkeit durch einzelne Staaten (Stichwort: Diversifikation) stehen auch noch andere Aufgaben für die EU an, die langfristig dringlich sind.

Ein zweites Fazit betrifft den Westen. In zwei Weltkriegen schwand die Bedeutung Europas in der Welt. Der Russisch-Ukrainische Krieg könnte das endgültige Ende und die Verschiebung der Macht nach Asien bedeuten. Zwar sind die finanziellen Belastungen Europas und der USA mit denen in zwei Weltkriegen bislang kaum zu vergleichen, es gibt aber andere Parameter, auf die Francis Fukuyama verweist. Fukuyama konstatiert, "Das amerikanische politische System [ist] zu einer 'Vetokratie' geworden, was sicherlich auch auf Deutschland und die EU zutrifft. Der Westen ist immer weniger in der Lage, große Projekte anzupacken. Beispiele dafür gibt es in Deutschland genug. Der Berliner Flughafen oder der Elbphilharmonie in Hamburg dauern dank umfangreicher Genehmigungsverfahren länger und die Kosten explodieren.

Fukuyamas interessante Thesen sind jedoch ein Ausblick auf die Zeit nach dem Russisch-Ukrainischen Krieg, nachdem Russland als außenpolitischer Akteur seine bisherige Bedeutung verlieren dürfte.

Das dritte Fazit wären die Konsequenzen des Russisch-Ukrainischen Krieges für das Verhältnis zwischen China und Taiwan. Xi Jinping hat bereits mehrmals deutlich erklärt, es gäbe eine Verpflichtung zur Wiedervereinigung, die man friedlich erreichen wolle, aber für die man auch bereit sei, einen Krieg zu führen. Die Rhetorik ist die Gleiche wie die Putins gegenüber der Ukraine. Friedlich wird China Taiwan nicht in sein Reich einverleiben können. Lediglich 1% der taiwanesischen Bevölkerung wollen das. Das Versprechen einer eigenständigen Entwicklung glaubt niemand in Taiwan. Ein Blick auf Hongkong genügt.

Ökonomisch hätte ein Krieg gegen Taiwan verheerende Folgen für die Weltwirtschaft. Einerseits ist die Region Taiwans der wichtigste Seehandelsweg der Welt und die taiwanesische Halbleiterindustrie besitzt etwa 60% des weltweiten Marktanteiles. Ihr Ausfall durch Kriegszerstörung hätte auch auf die ohnehin schon angeschlagene chinesische Wirtschaft schwere Auswirkungen.

Zu guter Letzt kommt noch ein weiterer Aspekt hinzu. Schon im russischen Krieg gegen die Ukraine wird von Friedensbewegten gerne der Frieden höher bewertet als die Rechte der Bürger eines angegriffenen Staates. In Taiwan wird sich das wiederholen. Auch die chinesische Regierung setzt auf hybride Desinformation und der potentielle Angreifer wäre eine Diktatur mit einem alternden Präsidenten, der einen nach Demokratie strebenden Staat auslöschen will.

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