Ein Jahr Russisch-Ukrainischer Krieg

Krieg gegen die Ukraine XIII Die dreitägige "Sonderoperation" entwickelte sich zu einem Krieg, in dem Russland ein Mehrfaches an gefallenen Soldaten zu beklagen hatte als in 10 Jahren Afghanistankrieg. Dennoch ist ein Ende des Krieges weit entfernt.

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Ein Nazi ist ein Ukrainer, der sich zuzugeben weigert, dass er Russe ist.
Timothy Snyder, 12. April 2022

1. Kommende Ereignisse werfen ihren Schatten voraus

Am 24. Februar ist der erste Jahrestag des Russisch-Ukrainischen Krieges. Seit Wochen werden die Kämpfe intensiver und man rätselt: Ist das schon die seit lamgem vermutete Großoffensive der russischen Armee oder steht diese noch bevor. Die Gebietsgewinne der russischen Armee sind unbedeutend und keinesfalls kriegsentscheidend. Im Raum Kremnina konnte die russische Armee einige Kilometer in Richtung Lyman gewinnen, ist aber noch weit davon entfernt, die im September verlorene Stadt zurückzuerobern. Die Kämpfe um Bakhmut bleiben intensiv. Soledar konnte vor einigen Wochen von Russland erobert werden. Südlich von Bakhmut ist die Straße bedroht, von der aus die ukrainische Armee versorgt wird. Aber von einer Einkesselung ist die ukrainische Armee weit entfernt. Strategisch wäre ein möglicher Verlust für die Ukraine recht bedeutungslos. Propagandistisch würde die Einnahme von Bakhmut etwas sein, was am 24. Februar in Russland als großen Sieg verkauft werden könnte. Allerdings dauert der Angriff auf Bakhmut bereits ein halbes Jahr und es wäre ein sehr bescheidener Erfolg einer Armee, die man vor dem Krieg als zweitstärkste Armee der Welt bezeichnet hatte.

Weiter südlich vermochte die russische Armee Avdiivka seit einem Jahr nicht zu erobern. In den vergangenen Wochen erlitt die russische Armee bei dem Versuch, die strategisch bedeutsame Stadt Vuledar zu erobern, verheerende Verluste. Igor Girkin konstatierte auf seinem Telegram-Kanal, die ukrainische Artillerie schösse auf die russischen Eliteeinheiten und träfe so exakt wie in einer Schießbude. Die Einnahme von Vuledar würde Russland die Möglichkeit bieten, die Bahnstrecke zwischen Donezk und dem noch besetzten Teil des Oblast Kherson zu reparieren und zu nutzen. Da diese in Artilleriereichweite der ukrainischen Armee liegt, ist zur Zeit eine Nutzung ausgeschlossen. Zweifelsfrei hat die russische Armee die Initiative zur Zeit zurückgewonnen. Das Ziel der russischen Armee scheint zu sein, bis März wenigstens den Oblast Luhansk und Donezk vollständig zu erobern. Koste es, was es wolle.

Vorher stehen interessante Tage an, bei denen je nach Standpunkt Erwartungen oder Befürchtungen geweckt werden. Am 21. Februar will Putin vor der Föderationsversammlung (Staatsduma & Föderationsrat) sprechen, danach wird eine Kundgebung im Olympiastadion Lushniki stattfinden. Am 23. Februar begeht Russland den Tag der Streitkräfte und am 24. Februar ist der Jahrestag des Einmarsches der russischen Armee. Zuvor treffen sich am 17. Februar Lukashenka und Putin, was die Gerüchte um einen aktiven Eintritt von Belarus in den Russisch-Ukrainischen Krieg neue Nahrung gibt.

In Deutschland konzentriert man sich auf die Diskussion um Waffenlieferungen, die eher als Hilfe für eine mögliche Offensive im Frühsommer denn eine Hilfe für den aktuellen Abwehrkampf der Ukrainer zu betrachten ist. Aktuell bräuchte die Ukraine mehr Artillerie, viel Artilleriemunition und noch dringender MG-Munition. Was die Artilleriemunition der Bundeswehr betrifft, so hatte Bundeskanzler Olaf Scholz zwar vor knapp einem Jahr von einer Zeitenwende gesprochen und einen Sonderfonds in Höhe von 100 Mrd. Euro zur Verfügung gestellt, die Bundeswehr hat jedoch noch immer wie vor einem Jahr eine Reserve von 2 Tagen für den Kriegsfall zur Verfügung. Die Zeitenwende ist bislang lediglich eine verbale Formel für Gazetten. Man gewinnt immer mehr den Eindruck, solche Beschlüsse und Formeln werden für deutsche Talkshows und nicht aus Erkenntnis bzw. Notwendigkeit beschlossen und formuliert. Nordkorea und der Iran liefert derweil Russland Munition für die Artillerie sowie Drohnen und Raketen für den Beschuss auf die Strom- und Heizungsversorgung, unter der die ukrainische Zivilbevölkerung in diesem Winter zu leiden hat.

2. Der Beginn des Krieges

Freunde! Wir müssen zur Besinnung kommen und aufhören. Unsere Politiker ziehen unser Volk in ein schreckliches, erschreckendes Abenteuer. Die historische Erfahrung sagt, dass so nichts funktionieren wird. Wir sollten uns nicht leiten lassen, wie die Deutschen zu ihrer Zeit zu den Versprechungen von Goebbels und Hitler geführt wurden. Um des Friedens in unserem Land willen, um seiner wirklichen Wiederbelebung willen, um des Friedens und der echten Freundlichkeit in den Räumen des historischen Russlands willen, das jetzt in viele Staaten aufgeteilt ist, sagen wir "Nein" zu diesem Wahnsinn und vor allem, völlig unnötige Aggression.

Wir haben im 20. Jahrhundert so viele Menschenleben verloren, dass unser einzig wahres Prinzip das vom großen Solschenizyn proklamierte Prinzip sein sollte: die Bewahrung der Menschen. Die Bewahrung der Menschen, nicht die Ansammlung von Land. Land wird nur durch Blut und Tränen gesammelt.

Wir brauchen kein Blut und keine Tränen mehr!
Andrey Zubov, Chefredakteur von "Geschichte Russlands, XX Jahrhundert", 1. März 2014

Der Beginn des Russisch-Ukrainischen Krieges ist zwar der 24. Februar 2022, jedoch begann der Krieg bereits am 21. Februar 2014 mit der verdeckten Annexion der Krym, als Janukovych noch Präsident der Ukraine war.

Der russische Historiker Andrey Zubov warnte am 1. März 2014 in einem Artikel der russischen Zeitung Vedomosti seine Landsleute während der Annexion der Krym vor einem möglichen Krieg und zog Parallelen zu Österreich, den Sudeten- und Memeldeutschen, die 1938 und 1939 "heim ins Reich geholt" wurden. Er warnte vor der "vollständigen Zerstörung des Systems internationaler Verträge". Dieser Artikel führte zu seiner sofortigen Entlassung vom Moskauer Staatlichen Institut für Internationale Beziehungen Die Begründung lautete, seine Aussagen "laufen der Außenpolitik Russlands zuwider, unterziehen das Handeln des Staates rücksichtsloser und unverantwortlicher Kritik und schaden dem Bildungs- und Erziehungsprozess".

Zubov hatte 2009 bereits die Schaffung der "Kommission zur Bekämpfung von Geschichtsfälschungsversuchen zum Nachteil der Interessen Russlands" durch den damaligen Präsidenten Dmitri Medvedev kritisiert. Er warnte, diese Kommission sei eine "Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten" und urteilte, die "Auseinandersetzungen der Historiker auf die Ebene der Politik zu übertragen, ist völlig sowjetisch". Vladimir Medinsky wurde 2010 Mitglied dieser Kommission, übernahm 2012-2016 das Amt des Kultusministers und wurde 2022 zum Leiter der russischen Delegation für Waffenstillstandsverhandlungen ernannt.

Zubovs Prognose bewahrheitete sich schon im März 2014, als russische Staatsbürger wie Igor Girkin, Arsen "Motorola" Pavlov und andere in Kharkiv, Odesa, Luhansk und Donezk versuchten, einen "russischen Frühling" zu inszenieren, der zu einem acht Jahre währenden Krieg führte und am 24. Februar 2022 zum Einmarsch der russischen Armee in die Ukraine mündete. Die blutigen Auseinandersetzungen begannen in Kharkiv heftige Straßenkämpfen zwischen Russen aus der russischen Grenzstadt Belgorod und Ukrainern im März 2014, an denen Arsen "Motorola" Pavlov nachweislich beteiligt war.

3. Ein Stellvertreterkrieg?

Immer wieder wird für den Russisch-Ukrainischen Krieg der Begriff Stellvertreterkrieg genutzt. Dieser Begriff wurde während des Vietnamkrieges erstmalig verwendet, bezeichnete jedoch zumeist einen Krieg, in dem die beiden Supermächte und ihre Verbündeten während des Kalten Krieges nicht direkt verwickelt waren, aber eine der beiden Kriegsparteien unterstützten. Klassische Beispiele dafür sind der Sechstagekrieg und der Jom-Kippur-Krieg, aber auch Bürgerkriege wie in Angola oder rückwirkend der chinesische Bürgerkrieg 1945-49.

Das Narrativ vom "Stellvertreterkrieg" der USA und der Nato, die sich der Ukraine nur bedienten, ist sicherlich jenes Element russischer Sichtweisen und russischer Propaganda, das in Deutschland die meisten Chancen hatte und hat, für glaubwürdig befunden zu werden. Durch zeithistorische Evidenz lässt es sich jedoch nicht erhärten: Weder hatten die auf den asiatisch-pazifischen Raum und China fixierten USA in der Anbahnungsphase des Krieges vor 2014 ein wesentliches Interesse an der Bindung eigener Ressourcen im östlichen Europa, noch hatten die Ukrainer nach der besonders von Deutschland betriebenen Ablehnung ihres Aufnahmegesuchs in die Nato die Gelegenheit, sich dem atlantischen Bündnis freiwillig als Vorfeldzone zur Verfügung zu stellen.
Anna Veronika Wendland, 8. Juli 2022

Jeder dieser Stellvertreterkriege war durch bereits bestehende Konflikte in der Kampfregion geprägt. Der chinesische Bürgerkrieg war einer der Hauptursachen für die Containment-Politik der USA, die 1947 "zur Eindämmung des sowjetischen Imperialismus" (George F. Kennan) zum festen Bestandteil der Truman-Doktrin wurde. Der Russisch-Ukrainische Krieg begann jedoch bereits 2014 mit der Annexion der Krym und dem Krieg im Donbas, der mittels versteckter Operationen russischer Nationalisten im März 2014 in vielen Orten der Ukraine vorbereitet wurde.

Drei der bekanntesten Stellvertreterkriege in der Vergangenheit waren der Koreakrieg, der Vietnamkrieg der USA sowie der Afghanistankrieg der UdSSR. In allen drei Kriegen lieferte die nicht direkt am Krieg beteiligte Supermacht massiv Waffen. Im Korea- und im Vietnam-Krieg nahmen sowjetische Soldaten aktiv am Kampfgeschehen teil. Der erfolgreichste alliierte Jägerpilot des 2. Weltkriegs Ivan Kozhedub (62 Abschüsse) nahm als Kommandant am Korea-Krieg teil und seine Einheiten erzielten zwischen April 1951 und Februar 1952 216 Luftsiege in Korea.

Ab 1965 belieferte die UdSSR massiv Nordvietnam mit Waffen, Munition und kämpfte auch mit eigenen Soldaten gegen die Armeen von Süd-Vietnam und den USA.

Während des Krieges versorgte Moskau Hanoi mit 95 S-75-Luftverteidigungsraketensystemen, über 500 Flugzeugen, 120 Hubschraubern, mehr als 5.000 Flugabwehrgeschützen und 2.000 Panzern. Darüber hinaus wurden mehr als 10.000 sowjetische Militärspezialisten nach Vietnam entsandt: von Raketencrews, Piloten und Funkern bis hin zu Panzerbesatzungen und Ärzten.
Russya Beyond, 27. Juli 2020

Der Krieg der UdSSR in Afghanistan hatte eher den Charakter eines Guerillakriegs, in dem die Rote Armee aufgrund der Lieferung der FIM-92 Stinger von den USA ihre Lufthoheit verloren hatte. Die Lieferung militärischer Ausrüstung an afghanische Kämpfer erreichte nie den Umfang der sowjetischen Lieferungen nach Korea und Vietnam. Auch die Lieferung von Waffen der USA an die Ukraine ist noch weit vom Umfang der Waffenlieferungen der UdSSR an Nordvietnam entfernt.

Sollte der Russisch-Ukrainische Krieg ein Stellvertreterkrieg sein, kann die russische Schlussfolgerung nicht stimmen, der Westen wolle Russland vernichten. In keinem der Stellvertreterkriege wurde die UdSSR oder die USA jemals bedroht oder hatte Kämpfe auf seinem Territorium auszufechten. Bei der Kategorisierung Stellvertreterkrieg wäre allerdings auch die Frage, ob Russland der Juniorpartner bzw. der Stellvertreter von China ist. Gegen diese These spricht allerdings Chinas Rolle als interessierter Beobachter, der seinen Handel mit Russland auf die Lieferung von Konsumgütern beschränkt und die Gelegenheit für den Abschluß von Gas- und Ölverträgen nutzt, die eher zugungsten von China ausfallen und die dafür notwendigen Investitionen Russland aufbürdet. Zumal historische Gründe gegen ein enges Bündnis zwischen China und Russland sprechen. Die letzten Ungleichen Verträge des 19. Jahrhunderts, die noch nicht aufgehoben sind, sind die zwischen Russland und China.

4. Welche Schatten hat die Ukraine in den kommenden Wochen zu erwarten?

Auch wenn Putins Vorliebe für symbolische Tage bekannt ist und die Ukraine ziemlich sicher in der kommenden Woche wieder mit einem großen Angriff auf die Strom- und Heizungsversorgung ihres Landes zu rechnen hat, dürften Putins Mittel begrenzt sein, etwas Überraschendes aus dem Hut zu zaubern. Die Angriffe auf die Infrastruktur der Ukraine hat bis heute keinen kompletten Stromausfall zur Folge gehabt und die Zeit der Beschränkungen für die Zivilbevölkerung wird in vielen Regionen eher kürzer, da die Regenerationsfähigkeit der Stromindustrie sich immer weiter verbessert. Die Raketen- und Drohnenangriffe haben wie auch in anderen Kriegen einen gegenteiligen Effekt. Sie stärken den Willen der Bevölkerung noch mehr, sich gegen den Angreifer zur Wehr zu setzen. Was mit Bucha, Irpin und anderen Kriegsverbrechen begann, setzt sich mit solchen Angriffen fort.

Der Krieg in der Ukraine ist bei den meisten Deutschen im vollen Umfang noch nicht ins Bewußtsein gedrungen, wenn man immer wieder die Diskussion von einer angeblichen Friedensbereitschaft Russlands hört. Als Putin in einer Anweisung vom 5. Januar 2023 verkündete: "Unter Berücksichtigung des Appells Seiner Heiligkeit Patriarch Kirill weise ich den Verteidigungsminister der Russischen Föderation an, vom 6. Januar 2023, 12:00 Uhr, bis zum 7. Januar 2023, 24:00 Uhr, einen Waffenstillstand entlang der gesamten Kontaktlinie" [zwischen der russischen und der ukrainischen Armee], betraf dies nur die Front, nicht aber die Zivilbevölkerung in der Ukraine. Im Oblast Poltava gab es während des "Waffenstillstandes" 6x Luftalarm. In der Verkündung des Waffenstillstandes zeigt sich zudem Putins Unkenntnis über die Ukraine. Die atheistischen Ukrainer feiern eher an Silvester und Neujahr, welches mit einem fünfstündigen Luftalarm begann. Zudem feiern immer mehr orthodoxe Ukrainer Weihnachten am 24. und 25. Dezember.

Besonders absurd sind die Beteuerungen vieler Deutscher, die sich Frieden wünschen und behaupten, sie würden im Sinne der Ukrainer sprechen. Natürlich wünschen sich auch Ukrainer den Frieden. Aber nicht um den Preis der Freiheit oder um den Preis eines Abkommens, der Russland die Möglichkeit bietet, ihre großen Verluste an Soldaten, Waffen und Munition wieder auszugleichen. Die Absurditäten des Krieges begreift in Deutschland kaum einer. Der ukrainische Journalist Denis Kasanskyj berichtete am 15. Februar davon, auf in die Volksrepublik Donezk eingeführte Waren werden Gebühren von der Russischen Föderation erhoben. Selbst die nicht gerade für Gesetzestreue bekannten Machthaber der Volksrepublik beklagen, "dass es in den letzten 8 Jahren keine solche Gesetzlosigkeit" gegeben habe. Betrachtet man die ukrainische Wirklichkeit genauer, versteht man vielleicht besser, warum in einer Umfrage 89% der Ukrainer sagen, sie wollen auch nach einem russischen Angriff mit Atomwaffen weiterkämpfen. Der in Deutschland kursierende Glaube, dieser Krieg würde durch Waffenlieferungen des Westens verlängert werden, ist ein Irrtum. Ohne die Waffenlieferungen des Westens könnte es einen asymetrischen Krieg geben, der eine Vielzahl an Toten zur Folge hätte. Die in dem russischen Staatsorgan im April gestellte Frage "Was soll Russland mit der Ukraine machen?" wurde in dem Artikel eindeutig und klar beantwortet: Einen Völkermord. Mit Timothy Snyder gesagt, weigern sich zwei Millionen Ukrainer, sich als Russen zu bezeichnen.

Was in Russland passiert, zeigt auch die Verurteilung der russischen Journalistin Maria Ponomarenko, die über den Angriff der russischen Armee auf das Theater in Mariupol berichtete, bei dem hunderte Zivilisten ums Leben kamen. Weil sie Russlands "Sonderoperation" als Krieg bezeichnet hat, wurde sie zunächst in die Psychiatrie gesteckt und in den vergangenen Tagen zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt. Zudem wurde ihr ein Berufsverbot erteilt. Darüber hinaus wurde zum zweiten Mal ein Vagner-Söldner mit dem Vorschlaghammer hingerichtet und das Video im Internet veröffentlicht. Dieser hatte es gewagt, sich von der ukrainischen Armee gefangennehmen zu lassen. Diese Praxis könnte bald enden, denn die russische Armee beginnt mit der Rekrutierung von Soldaten in russischen Gefängnissen. Ein vorläufiger Höhepunkt eines möglichen Konfliktes zwischen Prigozhin und der russischen Armee sowie Putin. Prigozhin hat diese Woche sich öffentlich damit gebrüstet, mittels einer Trollfabrik die US-Präsidentschaftswahlen beeinflusst zu haben.

5. Deutscher Frieden

Wir können heilfroh sein, dass der Putin nicht so ist, wie er dargestellt wird, nämlich ein druchgeknallter Nationalist, der sich daran berauscht, Grenzen zu verschieben. Wenn das so wäre, dann wäre wahrscheinlich Diplomatie hoffnungslos verloren.
Sahra Wagenknecht, 20. Februar 2022 in der Talkshow "Anne Will"

Eine solche öffentliche Aussage angesichts eines russischen Manövers an der ukrainischen Grenze mit bis zu 200000 Soldaten war mutig. Vier Tage später befahl Putin den Einmarsch in die Ukraine. Im September hielt er in den besetzten Regionen der Ukraine Referenden ab, um Grenzen zu verschieben. Im Februar 2023 hält es Sahra Wagenknecht noch immer für möglich, mit weniger Waffen für den Angegriffenen Frieden zu schaffen. Alice Schwarzer scheint die Vergewaltigungen ignorieren zu wollen, die zwangsläufig sind, wenn man den Angegriffenenen entmenschlicht, pauschal als Nazi bezeichnet und in Gefängnisse Soldaten requiriert. Die Frage, wie sich Alice Schwarzer vorstellt, Vergewaltigungen von ukrainischen Frauen verhindern zu können, ist ihr jedenfalls noch nicht gestellt worden. Als Zauberwort geistert immer wieder das Wort "Verhandlungen" in den Diskussionen.

6. Verhandlungen über was?

Dies deutet darauf hin, dass die Ukrainer vorerst weniger hinter Zelenskyi als vielmehr hinter seiner kompromisslosen Haltung zu Verhandlungen mit Russland geeint sein könnten. Wenn er also dem wachsenden internationalen Druck nachgibt, seine Position aufzuweichen, werden die Ukrainer ihm möglicherweise nicht folgen. Nach dem heldenhaften Kampf, den sie geführt haben, fühlen sich viele vielleicht betrogen, ja sogar wütend. Und wenn die Geschichte ein Leitfaden ist, kann es durchaus zu Gewalt kommen, die vor allem auf Zelenskyi abzielt.
Nina Khrushchova, 25. Januar 2023

Der russische Krieg gegen die Ukraine ist weit entfernt davon, mittels Verhandlungen zu einem Waffenstillstand zu kommen. Putin erwähnt bei Statements über Verhandlungen nicht einmal den Namen der Ukraine und sieht nur die USA als Verhandlungspartner. Selbst wenn es theoretisch zu einer Verhandlungslösung zwischen Biden und Putin käme, würde das den Krieg nicht beenden, wenn dabei die Freiheits- und Souveränitätsrechte der Ukrainer unberücksichtigt bleiben.

Der Krieg gegen die Ukraine zeigt auf eklatante Weise, wie wenig Putin von der Ukraine versteht und wie weit entfernt sein Bild von den Ukrainern von der Realität entfernt ist. Nina Khrushchova erwähnte in einem Interview, ihr Großvater Nikita Khrushchov sei vom Amt korrumpiert worden und bezog dies vor allem auf die zweite Amtshälfte. In den USA hat man deshalb in der Verfassung die Begrenzung der Amtszeit des Präsidenten auf zwei Amtszeiten festgelegt. In der russischen Verfassung wurde dies 1991 übernommen. Nach zwei Amtszeiten ernannte der von Jelzin vorgeschlagene Putin Medvedev als Präsidentschaftskandidaten für eine Amtszeit, um seitdem wieder zwei Amtszeiten regieren zu können. Die russischen Präsidentschaftswahlen erinnern mehr an Akklamationen des Volkes in einer Erbmonarchie. Die Größe und der Prunk des Amtssitzes ist weltweit nicht so groß wie in Russland. Nina Khrushchovas Aussage über ihren Großvater könnte mit der korrumpierenden Pracht und Macht des Amtssitzes zu tun haben (weshalb der Kanzlerbungalow in Bonn durchaus ein architektonisches Vorbild für einen Staatsführer sein könnte). Die Realitätsferne Putins war auch in dessen Neujahrsansprache erkennbar, die auch in Russland von vielen russischen Bürgern auf Kritik stieß.

Der Westen hat über den Frieden gelogen, bereitete sich aber auf eine Aggression vor und gibt dies heute offen und ohne Verlegenheit zu, und er benutzt die Ukraine und ihre Bevölkerung zynisch, um Russland zu schwächen und zu spalten. Wir haben niemals und niemals jemandem erlaubt, dies zu tun. Russische Soldaten, Milizen, Freiwillige kämpfen jetzt für ihre Heimat, für Wahrheit und Gerechtigkeit, dafür, dass Russland zuverlässig Frieden und Sicherheit garantiert. Sie alle sind unsere Helden.
Vladimir Putin, Neujahrsansprache

Die Freiwilligen werden in Gefängnissen requiriert, die Wahrheit wird im Kreml diktiert, Kritiker wie die russische Rocksängerin Zemfira werden als "ausländische Agenten" deklariert, Frieden wird mit Angriffen auf Nachbarstaaten garantiert. Historische Beispiele von solchen "Friedensreden" gibt es viele. 1933 vor dem Reichstag zum Beispiel. Es wäre an der Zeit, wenn man in Deutschland sich seiner historischen Erfahrungen einer Diktatur erinnert und Parallelen erkennt. Der Krieg wird nicht so schnell enden. Er wird vielleicht noch drei Jahre dauern, vielleicht auch noch 11 Jahre. Der Krieg zeigt aber auch, was passiert, wenn ein Staat die Grenzen eines Nachbarstaates in Frage stellt und damit auch noch Erfolg haben wird. Der 2. Weltkrieg begann aus genau diesem Grund. Wenn Staatsgrenzen nicht mehr respektiert werden, wird es noch viel mehr Kriege in Europa, Asien, Afrika und Amerika geben.

Nicht Russland kämpft um seine Existenz. Keine russische Stadt wurde zerstört, kein russischer Staatsbürger wurde vertrieben. Wenn man so will, dürfen sich russische Staatsbürger nach 22 Jahren Putin per Wahl auch 2024 weitere Jahre unter den Präsidenten Putin wählen. Die Russen sind für ihr eigenes Land und für ihr eigenes Schicksal verantwortlich. Allerdings benötigen autoritäre Regime einen äußeren Feind, um ihre Macht rechtfertigen zu können. Das gilt auch für demokratische Staaten, wie der McCarthyismus in den USA zeigte. Dort endete aber Trumans Amtszeit 1953 mit einem Wechsel des Präsidenten und der regierenden Partei. Wobei McCarthy sowohl für Truman, als auch für Eisenhower eher ein Ärgernis als ein Teil der Regierungspolitik war. Jedoch ist die Macht des US-Präsidenten trotz aller Machtfülle beschränkt. Diese Beschränkungen gelten nicht in Russland.

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Artikel über den Krieg Russlands gegen die Ukraine

Die "Desatanisierung" der Ukraine wird immer dringlicher(10. Dezember 2022)
Interview mit einem Soldaten vor Kharkiv(24. Juli 2022)
Interview mit einem Soldaten an der Front im Donbas(10. Juli 2022)
Der sakrale Kult in Russland um den 9. Mai(8. Mai 2022)
Ein Propagandist als Verhandlungsführer für Friedensgespräche(23. März 2022)
Schicksale der Menschen in einem Angriffskrieg(27. Februar 2022)
Give us the tools and we will finish the job(27. Februar 2022)
Zerplatzende Illusionen über Putins Russland in Deutschland (25. Februar 2022)
Das Gesetz des Stärkeren ersetzt das Recht auf Selbstbestimmung(24. Februar 2022)
Ein Angriffskrieg mit nationalistischen Motiven(24. Februar 2022)
Mercenaries (Ready For War)(21. Februar 2022)
Siebzehn Fragen vor dem Frühling (16. Februar 2022)

Bisherige Artikel über Russland und der Ukraine

Historische Einheit von Russen und Ukrainern?(6. September 2021)
Wollen die Russen Krieg?(12. April 2021)
Krieg der Spezialeinheit "Sie sind nicht da"(13. April 2020)
Folter in der Volksrepublik Donezk & Luhansk(16. März 2020)
Gefangenenaustausch Ukraine und Russland(31. Dezember 2019)

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