Kindertag mit Luftalarm

Lviv im Krieg #3 In jedem Krieg sterben Kinder oder sie verlieren ihre Eltern. Das ist auch im Krieg Russlands gegen die Ukraine nicht anders.

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Am 1. Juni feierte man weltweit den Tag des Kindes. So präsent wie in Lviv dürdte dieser Tag wohl nur an wenigen Orten zelebriert worden sein. Eine Kindergruppe nach der anderen strömte durch die Innenstadt von Lviv und ließ sich die Geschichte der Stadt erzählen. Auf dem Rathausplatz hängen Bilder von Kindern und eine Ausstellung im Nationalmuseum Lviv über 15 Jahre Kunst in den Schulen wurde am 1. Juni eröffnet.

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Eine Ausstellung im Nationalmuseum Lviv über 20 Jahre Kunst in den Schulen wurde am 1. Juni eröffnet. Es ist nicht die erste Ausstellung dieser Art im Nationalmuseum. Im September wurde eine Ausstellung mit Bildern aus dem Krieg gezeigt, die danach in anderen europäischen Städten ausgestellt wurden. Es waren Bilder von Kindern aus allen Landesteilen der Ukraine zu sehen. Besonders beeindruckend ist das Bild von der 16jährigen Polina Martynova aus Kharkiv.

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Bei der Ausstellung im September war deutlich zu erkennen, was die Kinder in welchen Regionen in diesem Krieg erlebt haben. Kharkiv war zwischen dem 24. Februar 2022 und Ende April Frontgebiet und für die russische Artillerie erreichbar. Viele Kinder lebten wochenlang in den Metrostationen, wo sie mit ihren Eltern Zuflucht fanden. Bei den Kindern aus dem umkämpften Donbas waren noch düstere Bilder zu sehen. Die Bilder von den Kindern aus den Regionen, die nur durch russische Raketen erreichbar waren, hätten auch von Kindern aus dem Westen gemalt werden können. Sie zeigten die Sehnsucht nach Frieden im Lande, ohne das man in den Bildern eine direkte Kriegserfahrung des Kindes sehen konnte.

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Ich unterhielt mich mit einer Mutter von zwei Kindern, deren Mann seit dem 18. März 2022 in Popasna vermisst wird. Aus Russland trafen vor einigen Monaten Lösegeldforderungen von Leuten ein, die in den Besitz des Handys ihres Mannes gelangt sind. Als die Erpresser ihren Mann als Lebensbeweis zugeschaltet hatten, wurde die Verbindung "zufällig" schlechter. Die Mutter hat auch versucht, Menschen in der Umgebung von Popasna zu kontaktieren, damit diese gegen Geld etwas über den Verbleib ihres Mannes recherchieren. Ausnahmslos lehnten die unter russischer Besatzung lebenden Menschen ab. Ausnahmslos wurde Angst als Grund genannt. Auf meine Frage, wie die Mutter den beiden Kindern den Verbleib ihres Vaters erklärt, sagte sie, sie habe sich dafür entschieden, der 9jährigen Tochter und dem 11jährigen Sohn die Wahrheit zu erzählen.

Neben den Kinderzeichnungen war noch eine Ausstellung mit Geschichten und Lebensläufen von durch russische Raketen getöteten Kindern zu sehen. Um die Dimensionen der russischen Raketenangriffe erahnen zu können, reicht es zu wissen, in der Nacht vom 5. auf den 6. Juni wurden 55 Raketen vom Kaspischen Meer aus auf die Ukraine abgeschossen, die durch die ukrainische Luftverteidigung PPO ausnahmslos abgeschossen werden konnten. Das gelingt nicht immer, denn die Fläche des zweitgrößten Landes von Europa läßt sich nicht flächendeckend absichern. Hinter den Zahlen getöteter Erwachsener und Kinder stecken Lebensgeschichten wie die von Anna Figurna aus Dnipro.

Anna Figurna starb durch einen Raketenangriff am 14. Januar 2023 auf ein Wohnhaus. Aus ihrer Familie überlebte lediglich die Großmutter Svitlana. Durch den Einschlag eines Kh22-Marschflugkörpers-wurden 46 Menschen (davon 6 Kinder) getötet, 80 weitere verletzt, 72 Wohnungen wurden zerstört und 230 beschädigt.

"Meine Tante scherzte oft, dass ich mich in 15 Jahren von einem kleinen, kahlköpfigen Baby in eine langbeinige Schönheit mit dünner Taille und dichtem Haar verwandelt habe. Papa und Mama lächelten immer über diese Worte. Sie waren so stolz auf ihre Tochter. Wir waren unser Leben lang immer zusammen, wir sind zusammen gestorben."

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Neben dem Tod durch Raketen oder Artilleriebeschuss ist die Entführung ukrainischer Kinder durch Russland eine Besonderheit dieses Krieges. Die präsidiale Beauftragte für Kinderfragen Maria Lvova-Belova bekannte sich mehrmals öffentlich dazu, ein 15jähriges Kind zwangsadoptiert zu haben. Unter anderem in einem Gespräch mit Putin, welches vom russischen TV ausgestrahlt wurde. Mindestens 43 Umerziehungslager für Kinder wurden im Sommer 2022 nachgewiesen. Dabei handelt es sich zum Teil auch um Kinder, deren Eltern in russischen Filtrationslagern gefangengehalten wurden oder die bei der Flucht von ihren Eltern getrennt wurden. Nach der Konvention der UN ist dies Völkermord (mehr zu diesem Thema:Kriegsverbrechen an Kindern).

Auch der Tag des Kindes blieb nicht ohne Opfer. Russische Raketen töteten zwei Kinder.

Anmerkung: Auch unter diesem Artikel habe ich die Kommentare unterdrückt. Ich halte es für unpassend, unter einem Artikel Kinder im Krieg Diskussionen zu führen, die ohnehin unabhängig vom Inhalt des Artikels immer gleich verlaufen. Wer mag, kann nach der Lektüre still für sich selbst nachdenken.

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