Tanz den Mussolini

Quick & Dirty I Themen: Transnistrien, Republik Moldau und Belarus und der Russisch-Ukrainische Krieg

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Tanz den Mussolini, Zitat aus Der Mussolini, DAF, 1981

Ein paar schnelle Fragen, ein paar stichpunktartige Antworten zu anstehenden Themen und Thesen. Daraus soll die neue Serie "Quick & Dirty" bestehen. Den Anfang machen Nachrichten rund um Transnistrien, die Republik Moldau und Belarus.

1. WizzAir storniert alle Flüge nach Chișinău - droht die Ausweitung des Krieges in die Republik Moldau?

Nachricht (englisch)

Die ungarische Airline WizzAir storniert die Flüge ab dem 14. März und nicht sofort. Man begründet die Stornierung einer im letzten Jahr wichtiger gewordenen Verbindung mit Sicherheitsbedenken. Insbesondere Ukrainer, die in das 200km entfernte Odesa reisen wollten, nutzten Chișinău als Ausweichflughafen. Mehrere russische Raketen, die vom Schwarzen Meer aus in Richtung Westukraine abgeschossen wurden, haben in den vergangenen Wochen die Republik Moldau überflogen. WizzAir bietet als Alternative das 150km entfernte Iași in Rumänien an.

Seit einigen Wochen hört man immer wieder das Gerücht, die Ukraine wolle die in Transnistrien stehenden russischen Soldaten angreifen oder Russland plane einen Angriff aus Transnistrien. Vor dem Russisch-Ukrainischen Krieg stoppten einige Fluggesellschaften ihre Flüge in die Ukraine. Gibt es eine Duplizität der Ereignisse?

Putin betonte auf der Kundgebung zum Tag der Verteidiger des Vaterlandes, es sei derzeit ein Kampf um "Russlands historische Grenzen". Dieser Satz spricht Belarus, die Republik Moldau, das Baltikum, Finnland und Polen gleichermaßen an, denn alle Staaten waren einstmals Teil des russischen Zarenreiches. Das deckt sich zudem mit Putins Überzeugung, wo russischsprachige Menschen leben, ist auch Russland.

In Transnistrien (Eigenbezeichnung: Pridnestrovische Moldauische Republik) herrscht ein prorussisches Regime, welches sich 1991 während des Bürgerkrieges in der Republik Moldau etablieren konnte. Transnistrien wirkt wie ein sowjetisches Museum, in dem die Symbole aus der gemeinsamen UdSSR-Zeit bis heute zu finden sind. Nach der Annexion der Krym durch Russland bat Transnistrien 2014 um Aufnahme in die Russische Föderation. Ein ähnlicher Anlass - ein durch die Duma angenommener Antrag der Volksrepubliken Luhansk und Donezk in deren "verfassungsgemäßen Grenzen" der jeweiligen Oblaste der Ukraine - führte zum Russisch-Ukrainischen Krieg. Putin hob in den vergangenen Tagen ein Dekret aus dem Jahre 2012 auf, welches "die Souveränität Moldaus als Grundlage bei Verhandlungen über den Status Transnistriens" festhielt. Das bedeutet faktisch, Russland fühlt sich nicht mehr verpflichtet, eine gemeinsame Lösung zusammen mit der Republik Moldau anzustreben.

In Transnistrien sind bis heute 1500 russische Soldaten stationiert und Transnistrien besitzt selbst etwa 10000 Soldaten. Durch eine Mobilisation könnten in etwa 35000 Reservisten rekrutiert werden. In Cobasna befindet sich ein großes Munitionsdepot, jedoch ist deren militärischer Wert aufgrund Überalterung und unsachgemäßer Lagerung eher zweifelhaft.

Ein Angriff aus Transnistrien heraus mit Stoßrichtung Odesa wäre ein Himmelfahrtskommando mit gewissem Ausgang. Die ukrainische Armee hätte keine Probleme, den Angriff zurückzuschlagen und angesichts fehlendem Nachschubs der Angreifer anschließend in den Gegenangriff zu gehen. Die Republik Moldau wird nicht mit Russland kooperieren, von der Krym aus über das Schwarze Meer fliegende Transportmaschinen müßten entweder über den rumänischen oder über den ukrainischen Luftraum fliegen. Selbst ein Luftlandeunternehmen wäre eine leichte Beute für die ukrainische Luftabwehr, zumal Russland seine Luftlandetruppen schon zu Beginn des Russisch-Ukrainischen Krieges nahezu verschlissen hat.

Etwas wahrscheinlicher wäre der Versuch, von Transnistrien aus die Republik Moldau anzugreifen. Eine militärische Überlegenheit könnte vielleicht gegenüber der moldauischen Armee bestehen. Jedoch dürfte Moldawien starke militärische Unterstützung nicht nur von Rumänien, sondern auch von anderen westlichen Staaten erhalten, während Transnistrien vollständig isoliert wäre und sich lediglich auf seine vorhandene Waffenindustrie stützen könnte. Transnistrien kann aber lediglich Infanterie mit Sturmgewehren und Panzerabwehrwaffen ausrüsten und riskiert in diesem Falle zudem einen möglichen Zweifrontenkrieg mit der Ukraine. Selbst im Erfolgsfall wäre für Transnistrien kaum etwas gewonnen, denn deren Wirtschaft funktioniert lediglich dank der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit der Republik Moldau und bis zum 24. Februar im geringen Maße mit der Ukraine. Als ich 2018 in Chernivtsi war, sagten mir dortige Bewohner, ein Austausch mit Transnistrien fände faktisch überhaupt nicht statt.

Seit einem Jahr wiederholen sich regelmäßig Behauptungen, die ukrainische Armee würde in Transnistrien einmarschieren wollen, jedoch erwiesen sich solche Nachrichten zumeist als False-Flag-Aktionen. Sie machen auch militärisch keinen Sinn, weil die ukrainische zum einen damit beschäftigt ist, russische Großangriffe von Kreminna bis Vuledar abzuwehren und eine Offensive in Richtung Krym weitaus mehr Sinn machen würde. Das die russische Armee dies ähnlich sieht, kann man an der Vorbereitung von Abwehrstellungen bis auf die Krym selbst erkennen.

Sinnvoller ist es für Russland, eine Bedrohung aus Transnistrien aufrechtzuerhalten, um ukrainische Einheiten zu binden. Allerdings belegen die Ereignisse die These der Ukraine, ihr Land kämpfe nicht nur um ihre eigene Unabhängigkeit, sondern auch für die Unabhängigkeit weiterer Staaten. Angesichts der militärischen Fehleinschätzungen Putins ist eine Wiederholung der Ereignisse vom 24. Februar 2022 sicherlich nicht auszuschließen, durchführbar wäre sie jedoch nur nach der Einnahme von Odesa durch die russische Armee. Davon ist Russland aber zur Zeit sehr weit entfernt.

2. Ist ein Eintritt von Belarus in den Russisch-Ukrainischen Krieg wahrscheinlich?

Lukashenka erklärte in den vergangenen Tagen erneut, Belarus wird nur dann aktiv am Krieg teilnehmen, wenn es von der Ukraine angegriffen werden würde. Faktisch nimmt Belarus bereits seit dem 24. Februar 2022 am Krieg teil, denn russische Truppen starteten ihren Krieg auch vom belarisischen Staatsgebiet aus und Raketenangriffe auf ukrainische Städte werden auch von belarusischem Staatsgebiet aus geführt.

Lukashenkas Verhalten kann man nach einem DAF-Song als Tanz den Mussolini bezeichnen. Mussolini erklärte Frankreich am 10. Juni 1940 den Krieg, um Gebietsansprüche gegen Frankreich erheben zu können, nachdem Frankreichs Niederlage gegen Deutschland absehbar war. Das belarusische Nachrichtenportal Nasha Niva veröffentlichte am 26. Januar 2023 einige absurde Statements von regierunstreuen Anhängern Lukashenkas. Der belarusische Analyst Pjotr Petrovski rief morgens um 5:56 Uhr dazu auf, "die Hand auszustrecken, die Bewohner der ukrainischen Regionen in Polesien, Wolhynien und Podin, die seit vielen Jahrhunderten mit uns im selben Staat lebten, unter humanitären und politischen Schutz und Vormundschaft zu nehmen." (...) "Meiner Meinung nach ist dies die Pflicht von Belarus." Das staatliche Nachrichtenmagazin BelVPO verkündete um 4:43 Uhr den Einmarsch der russischen Armee in Kyiv um 13:00 Uhr und ein Konzert von Oleg Guzmanov um 18:00 Uhr. Es kam anders und der nationalistische Sänger Guzmanov konnte bislang nur Putins Reden im Olympiastadion Luzhniki in Moskau musikalisch begleiten.

Seither nehmen die Spekulationen um einen Kriegseintritt nicht ab. Die Ukraine befürchtet einen durch eine False-Flag-Aktion ausgelösten Kriegseintritt und berichtet darüber, im Raum Chernihiv habe sich ein Trupp russischer Soldaten in ukrainischen Uniformen aufgehalten. Ein Beweis dafür existiert nicht. In vergangenen Artikeln habe ich mehrmals dargelegt, Lukashenka wird angesichts des für Russland unerwartet schlecht laufenden Russisch-Ukrainischen Krieges kaum Interesse daran haben, seine ohnehin nicht sonderlich schlagkräftige Armee in diesem Krieg zu verheizen, zumal er sich nicht unbedingt auf die Loyalität der Armee verlassen kann. Es wirkt eher so, als ob Lukashenka den Krieg dazu nutzt, um in seinem Land eine Art "Kriegskommunismus" einzuführen und seine seit den Demonstrationen nach der Präsidentschaftswahl instabile Macht durch Repressalien zu stützen sucht. Dem Volk wird dabei verkauft, sie hätten im Gegensatz zu den westlichen Ländern eine sichere Wärmeversorgung und eine stabile Versorgung mit Lebensmitteln. In der UdSSR-Zeit wurde diese Behauptung von vielen Sowjetbürgern geglaubt, die meinten, sie wären reicher als die Menschen im Westen. Angesichts des Internets und der Kenntnisse sehr vieler Bürger in Belarus, Internetsperren durch VPN-Verbindungen zu umgehen, dürften nur wenige Menschen in Belarus die Meldungen der belarusischen Propaganda Glauben schenken.

Belarusische Partisanen vertreiben konsequent die Faschisten aus ihrem Land
BYPOL in einem Bekennerschreiben

Schlagzeilen machte der Angriff in der Nacht vom 25. auf den 26. Februar auf den belarusischen Flughafen Machulishchi, der vom russischen Militär genutzt wird. Das führende Mitglied von BYPOL Alexander Azarov bestätigte den Drohnenangriff auf ein russisches Langstrecken-Aufklärungsflugzeug Beriev A-50 (Stückpreis lt. Nasha Niva 330 Mio. Dollar) wurde mittels zweier Drohnen von belarusischen Regimegegnern erfolgreich durchgeführt. Der vordere und mittlere Teil des Flugzeugs sowie die Avionik und die Radarantenne sollen beschädigt worden sein. Der Schaden wird als schwerwiegend bezeichnet. Russland verfügt über lediglich neun Aufklärungsflugzeuge dieses Typs, von denen einige nicht einsatzbereit sind. BYPOL ist eine oppositionelle Organisation von ehemaligen Mitarbeitern der Ermittlungsbehörde und des Innenministeriums in Belarus, die laut Angaben des englischsprachigen Wikipediaartikels 2022 auch an der Sabotage von Eisenbahnlinien beteiligt war, um den russischen Aufmarsch gegen die Ukraine zu behindern.

Aktionen wie die von BYPOL belegen, Belarus ist in diesem Krieg involviert. Ebenso kann man davon ausgehen, Lukashenko wird Russlands Krieg gegen die Ukraine weiterhin unterstützen, aber er dürfte sich selbst durch eine False-Flag-Aktion kaum in den Krieg hineinziehen lassen, die das Ende seiner Herrschaft bedeuten könnte. Wahrscheinlicher ist auch hier, das Ziel der russischen und auch der belarusischen Propaganda ist es, möglichst viele ukrainische Truppen zur Sicherung an den Grenzen zu binden, damit diese nicht in den Hauptkampfzonen von Kreminna, Bakhmut und Vuledar eingesetzt werden können. Häufige Angriffe in der Nähe von Ternova im Oblast Kharkiv zeugen davon. Der Soldat Max Turko, mit dem ich im Juli 2022 ein Interview geführt habe, ist noch immer zur Abwehr eines möglichen Angriffs auf Kharkiv in dieser Region eingesetzt.

Insofern sind beide Fragen ähnlich zu beantworten. Eine mögliche Gefahr für die Ukraine besteht im kleineren Maße durch Transnistrien, im etwas größeren Maße durch Belarus. Bislang ist eine Verlegung nennenswerter russischer Truppen in keine der beiden Regionen zu beobachten. Der Nutzen Russlands besteht darin, ein destabilisierendes Gespenst immer wieder zeigen zu können. Das bildeten aber auch die Minsker Vereinbarungen. Girkin wirft Putin vor, wie ein "gewöhnlicher regionaler Beamte der mittleren Ebene" zu denken und zu handeln. Was impliziert, Putin ist nicht in der Lage, militärisch rational zu entscheiden.

Weitere beachtenswerte Nachrichten

Zum Tod von Gleb Pavlovski (1951-2023) ein Nachruf auf Dekoder. Pavlovski war Berater von Jelzin und Putin und seit seiner Entlassung 2011 ein vielbeachteter Analyst.

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