Wie das Salz ins Meer kam: Jürgen Kaiziks „Die gerühmte Frau“

Roman Die Österreicherin Brigitte Schwaiger war in den 1970ern ein Literaturstar. Später nahm sie sich das Leben. Jürgen Kaizik erzählt ihre Geschichte in „Die gerühmte Frau“ – und von einer unmöglichen Künstlerliebe
Ausgabe 23/2023
Schreiben über das Leben des Literaturstars
Schreiben über das Leben des Literaturstars

Foto: Addictive Stock / Imago

In teils sehr poetischer Sprache, aber auch mit reichlich Wortwitz erzählt Die gerühmte Frau eine dramatische, etwas mystische Liebesbeziehung. Sie beginnt sehr romantisch und lässt sich an, als würde etwas ganz Großes daraus werden. Jedenfalls glauben das die Liebenden; das sind Magda Lena, eine berühmte Schriftstellerin, und Josef, ein nicht ganz so berühmter Regisseur, der nicht immer mit derselben pennt.

Wir sind in Wien, Mitte der 1980er-Jahre. Die Liebe bricht über die beiden herein wie ein Naturereignis, nachdem Magda Lena Josef angerufen hat, weil ihr sein neuer Film gefallen und sie die Idee hat, mit ihm einen zu drehen. Im Rausch der Liebeshormone glauben sie, alles sei möglich. Nicht nur das gemeinsame, künstlerische Filmprojekt, sondern auch die ideale Zweisamkeit von Frau und Mann. „Wir werden ein Künstlerpaar werden, wie die Welt seit Sartre und Simone de Beauvoir keines mehr gesehen hat“, notiert Magda Lena.

Doch schon nach kurzer, unbeschwerter Zeit werden unüberwindbare Grenzen erst gespürt, dann thematisiert. Magda ist Weib gewordene Intuition; was sie fühlt, denkt und ungefiltert schreibt, ist für sie Wirklichkeit. Josef dagegen ist im Zweifel analytischer Pragmatiker. Dass das schief gehen muss, ist schnell klar; wie es Autor Jürgen Kaizik dahin entwickelt, von der schwärmerischen Verliebtheit hin zur bedingungslosen Kapitulation vor den eigenen Prägungen, die beide trotz aller sprachlichen und intellektuellen Kompetenz nicht überwinden können, ist spannend.

Ebenso spannend die zweite Ebene des Romans. Denn Magda Lena ist unschwer als Brigitte Schwaiger zu erkennen, der das Buch auch gewidmet ist. Diese ist vor allem als Autorin von Wie kommt das Salz ins Meer (Zsolnay, 1977) in die jüngere Literaturgeschichte eingegangen; ein kleiner Roman über eine gescheiterte Ehe aus der Sicht der jungen Frau, deren fiktive Naivität Schwaiger als Erzählhaltung nützt, um mit einem kindlich-wahrhaftigen, entlarvenden Blick die patriarchal-klerikal dominierte Kleinbürgerwelt zu sezieren. Damals erreichte Wie kommt das Salz ins Meer binnen Monaten hohe sechsstellige Verkaufszahlen, wurde in rund ein Dutzend Sprachen übersetzt und galt als erfolgreichster deutschsprachiger Roman seit der Blechtrommel. Verena Stefans Häutungen aus dem Jahr 1975 und Karin Strucks Klassenliebe von 1973, beide sehr erfolgreich und feministisch rezipiert, konnten da nicht mithalten.

Ein Hauch Ingmar Bergmann

Es spielt bei der Lektüre glücklicherweise keine entscheidende Rolle, ob man Brigitte Schwaiger kannte oder ihre Bücher gelesen hat. Denn die Geschichte über Möglichkeiten und Unmöglichkeiten einer Künstlerliebe trägt auch so. Eingeflochten immer wieder ein satirisch-kritischer Blick auf die Welt der Normalsterblichen. Etwa eine aus der Sicht von Magda Lena geschilderte Begräbnisszene „einer frisch verstorbenen Zelebrität“. Da wird mit Bernhard’scher Bissigkeit die Wiener Kulturschickeria bloßgestellt. Kostprobe: Der schielende Kritikerpapst, der die erste Rede am offenen Grab hält, „war einer der klügsten Köpfe hier“, doch „aus Klugheit wusste er das meist zu verbergen“ und „weil er sehr auffallend schielte und daher niemand klar zu erkennen vermochte, wen er gerade ansah, fürchteten ihn alle“.

Auch hier muss man nicht unbedingt wissen, dass mit dem Verblichenen Friedrich Torberg gemeint und wer der schielende Kritikerpapst ist. Torberg, einst Strippenzieher vor allem der österreichischen Literatur, hatte Anteil an Schwaigers Senkrechtstart und teilte zeitweise auch sein Bett mit ihr.

In der Schlussszene des Romans besucht Josef die Stelle, an der seine einstige Geliebte Jahrzehnte später in der Donau freiwillig den Tod fand, was sie einst schon für das Drehbuch des gemeinsam geplanten Films skizziert hatte. Wer Liebesgeschichten mag, romantisch, aber mit einem Hauch Ingmar Bergman, wird diesen Roman von Jürgen Kaizik lieben, der vor allem ein Regisseur ist, aber auch gerne schreibt.

Die gerühmte Frau Jürgen Kaizik Braumüller-Verlag 2023, 256 S., 24 €

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