In Bayreuth tobt seit jeher der Kampf zwischen Traditionalisten und Erneuerern. Katharina Wagner, die ihren Job als Festspielleiterin allein ihrer Abstammung verdankt, ist beim Modernisieren ganz vorn dabei. Nicht wenige Geldgeber hätten sie lieber nur noch als Frühstücksdirektorin. Gut möglich, dass die (einzige) Neuinszenierung der am Montag eröffneten Spiele über ihre Zukunft mitentscheidet. Diesmal dient ihr Parsifal als Experimentierfeld, das „Bühnenweihfestspiel“, das Wagner ursprünglich exklusiv für Bayreuth schuf, das „letzte und heiligste meiner Werke“.
Augmented Reality heißt nun das Zauberwort – nicht zu verwechseln mit Virtual Reality. Bei VR wird alles gerechnet. Bei AR ist durch die Brille auch das
die Brille auch das echte Theater zu sehen, doch noch viel mehr. Die Augen dirigieren eine Flut animierter Objekte im Raum. Bleibt die Frage, was das bringt? Ob dadurch auch das emotionale Erlebnis, das Verständnis für die Tiefe des Werks gesteigert werden.Wenn der pubertäre Parsifal auf Schwäne schießt, flattern die Riesentiere direkt über den Zuschauern und „bluten wie ein Schwein“. So Regisseur Jay Scheib, der eine Professur an der weltweit führenden technischen Hochschule, dem MIT in Boston innehat. Einen Pfeilregen schießt er aufs Publikum ab. Und dann bricht gar das Opernhaus über dessen Köpfen zusammen. Digitale Geisterbahn. Das Videospiel versucht aber auch, politische Botschaften zu transportieren: Alte Autobatterien und Plastikmüll fluten das Festspielhaus.Neue ZweiklassengesellschaftDer schönste Effekt: Jeder sitzt wie in einer Blase, schon die Köpfe in der Reihe davor verschwinden im gerechneten Raum. Wer nach unten blickt, sieht nicht seine Knie, sondern ein Felsplateau. Oft aber erweitern die Animationen das Theater nicht, sondern schieben sich nur störend zwischen Bühne und Betrachter. Gleich zu Beginn entgeht den Bebrillten vor lauter schwebenden Bäumen der Beischlaf Kundrys mit Amfortas vorn auf der Bühne. Auch verdüstert die Brille die eigentlich leuchtend bunte Bühne.Allerdings haben nur 330 der fast 2.000 Zuschauer die teuren Geräte auf der Nase – mehr gab der Festspieletat nicht her. Es ist die neue Zweiklassengesellschaft in Bayreuth. Die digital Privilegierten in den hinteren Reihen sehen, was für die auf analoge Diät gesetzte Mehrheit gar nicht existiert. Die Regie muss also auch auf sie Rücksicht nehmen. Die permanent herumschwebenden Blumenmädchen, Steinbrocken, Totenschädel, blutenden Hände, Handgranaten, Schlangen, Flammen, Rieseninsekten ändern deshalb nichts daran, dass das eigentliche Bühnengeschehen durchweg konventionell erzählt wird.Vielleicht ist das der Grund, weshalb gerade die Traditionalisten diesem Parsifal am Ende tosenden Beifall zollen. Nichts hat sie abgelenkt, nichts überfordert, wie etwa vor Jahren Christoph Schlingensiefs tiefsinnig verwirrende Version. Die Volldigitalisierten wiederum aalen sich in der Vorstellung, der Zukunft der Oper als erste ins Auge zu blicken. Hat Katharina Wagner mit diesem Parsifal also alle gewonnen? Die ersehnte Versöhnung von Tradition und Avantgarde, das endlich bekömmliche Regietheater, ist am Ende dann doch nur ein technisches Wunderland aus der „Werkstatt Bayreuth“ (Eigenwerbung) geworden. Gleichwohl wird sich die Effekthascherei rasch weiterentwickeln und bald nicht mehr wegzudenken sein aus der multimedialen Oper. ErlösungsgeschwurbelSchon Wagner wollte im Grunde ein Körpergefühl im Zuschauer erzeugen, eine entrückende Wirkung aufs Gemüt, spirituelle Verzückung. Kunst wird hier zu Religion und Religion zu Kunst. Alles in diesem Stück dreht sich um christliche Symbole: Der Abendmahlkelch mit Christi Blut ist der Gral. Mit der Lanze, mit der ein Soldat Jesus in die Seite stach, verwundet der Zauberer Klingsor den König Amfortas, und nur der Speer vermag die Wunde wieder zu verschließen. Erlösung! Die gibt es bei Wagner nicht in der erotischen Gegenwelt der verführerischen Hexe Kundry, sondern nur durch Entsagung. Für Nietzsche ist es „die dümmste Form des asketischen Ideals“. Dass dieses Werk eng verstrickt ist mit Wagners ideologischen Verirrungen, liegt auf der Hand.Das Erlösungsgeschwurbel ist nur Kraft der Musik erträglich. Von ihr lenkt die pausenlose Animation durchaus ab. Bayreuth-Debütant Paplo Heras-Casado am Pult legt sie zunächst eher schleppend als schmachtend an. Im zweiten Aufzug in Klingsors Zauberreich aber bringt die herausragende Elīna Garanča als Kundry – erstmals auf dem Grünen Hügel – im Duett mit dem derzeit heiß begehrten Heldentenor Andreas Schager dramatischen Glanz ins Spiel. Zurecht umjubelt auch der bassgewaltige Publikumsliebling Georg Zeppenfeld als Gurnemanz, der australische Bassbariton Derek Welton als kraftvoll leidender Amfortas und der hawaianische Bariton Jordan Shanahan als Klingsor. Überhaupt sind es große Stimmen, die den schwierigen Abend an sich reißen – und letztlich retten. Man könnte auch sagen: erlösen.