Calle Schmitt und der Pakt mit dem Teufel (sechster und letzter Teil)

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Die berühmte Stunde Null. Für viele eine Katastrophe, für andere eine Befreiung (Befreiung auch von den Schmitts). Der Kronjurist Hitlers hatte sich 12 Jahre lang klar und deutlich als Nationalsozialist exponiert - als Kathedertäter. Wäre er in den Kriegswirren gestorben, wäre er heute nur noch, wie man so sagt, von historischem Interesse. Kein Plettenberger Stadtvater hätte im Jahre 1948 auch nur im Traum an die Verleihung eines Ehrenrings an den berühmten Stadtsohn anläßlich seines sechzigsten Geburtstags gedacht. Der wäre eher an einen Sozialdemokraten, vielleicht sogar an einen Kommunisten gegangen. Aber: La vie continue. Für 55 Millionen Menschen nicht, für Schmitt schon.

Wie viele NS-Intellektuelle reflektiert er seine vergangene "Verstricktheit". Er verfasst auf Englisch (man muss sich ja anpassen) ein Exposé, in dem er sich von Hitler "betrogen" sieht (der Teufel hat den Pakt nicht eingehalten). Psychohistorisch interessant ist hier die von Schmitt gezogene Parallele zu seiner ersten Ehe mit einer Hochstaplerin. Im August 1945 verfasst er für den kompromittierten Unternehmer Friedrich Flick ein Rechtsgutachten über "Das internationalrechtliche Verbrechen des Angriffskriegs". Was er van der Lubbe nicht zugestehen wollte, gilt natürlich für seinen Auftraggeber: Nullum crimen, nulla poena sine lege. Es kommt halt drauf an. Der wirtschaftlich tätige ordinary business-man kann nicht strafverfolgt werden. Täter ist nur, wer Zugang zur Spitze hatte. Der große Rest besteht aus Teilnehmern, und diese hatten bezüglich des NS-Regimes eine Vernunftvermutung. Und diese wiederum bedeutete das Gebot der Loyalität. Na also, geht doch!

Schmitt wirdim Oktober 1945 interniert, seine Bibliothek beschlagnahmt. Er leidet und stellt Entlassungsanträge. Gleichzeitig entdeckt er seine alte Religiosität neu: Wieder hat Gott mir geholfen und ebenso wie in der Nazi-Zeit, das, was böse garnicht war, zum Guten gewandelt, schreibt er an seine Frau. Sein Denken ähnelt dem seines alten Förderers Hans Frank, der in Nürnberg sitzend schreibt: Ja, vieles ist mir in der Einsamkeit der Zelle klargeworden. Was für ein Schauspiel der Ironie des Schicksals und der himmlischen Gerechtigkeit... Da war satanische Bosheit in ihm (Hitler). Und jetzt sitze ich hier... ich war am Anfang mit dem Teufel im Bunde (Gilbert, Nürnberger Tagebuch). Schmitt hat allerdings den Trumpf, 1936 im Schwarzen Korps angegriffen worden zu sein. Dies und zahlreiche Atteste sorgen für seine Freilassung im Oktober 1946.

1947 wird er nach Nürnberg zum Verhör gebracht. Dieses Schicksal teilt er mit seinem alten Widersacher Best. Beide verteidigen sich geschickt. Best: Was Hitler seit 1938 tat, war eine Abwendung vom völkischen Prinzip... Nationalsozialismus, was ist da? Es wird so verschieden aufgefasst. Schmitt: Ich war im Jahre 1936 durch die SS öffentlich diffamiert worden. Frage: Wann haben Sie dem Teufel abgeschworen? Antwort: 1936.

Nach Nürnberg beginnt das bis 1995 währende Plettenberger "Exil". Schmitt beschreibt im "Glossarium" folgende Sicht der historischen Dinge: Wie harmlos waren die, die beim Aufbruch 1933 in Deutschland geistige Morgenluft witterten im Vergleich zu denen, die 1945 an Deutschland geistig Rache nahmen. Und: Juden bleiben immer Juden, während ein Kommunist sich bessern und ändern kann. Verbittert fragt er sich: Sollte es wieder so kommen, dass wir in Deutschland jetzt auch die kommunistische Revolution, die 1918 fällig war, elend an fremder Hand und posthum vollziehen...? Wir sind besiegt, zu Boden geworfen, subjugiert, gevierteilt und zertreten. .. Wir sind okkupiert, aber nicht erobert.

Die alten Kameraden wie Jünger helfen, die Netze zu flicken und neue zu knüpfen - auf nationaler und auf sauerländischer Ebene (CDU-Honoratioren, Unternehmer, Sparkassendirektoren). Plettenberg wird Pilgerstätte für das Who-is-who der Restaurationszeit (inklusive einiger Liberaler). Schmitt wird wieder streng katholisch. Er unternimmt Vortragsreisen, denkt und schreibt weiterhin über den "Nomos". Bei den Grundkategorien menschlicher Existenz, dem "Nehmen/Teilen/Weiden" hat selbstredend das "Nehmen" den fundamentalen Vorrang, übersetzt: die Soziale Marktwirtschaft à la Erhard konzentriere sich zu stark auf das "Weiden", auf die so genannte "Verteilungsgerechtigkeit". Schöne Ansatzpunkte für unsere heutigen Machteliten.

Überhaupt wird er als sprachschöpferischer Mensch zum Stichwortgeber.Dies liegt an dem antitechnizistisch wirkenden mythischen Überschuss seiner Aussagen. Es raunt von "Lebensmächten", die angeblich menschliche Konstanten seien, wesenhafte Substanzen. Das macht ihn attraktiv für die "neue Rechte". Niethammer stellt dies anschaulich dar: Sie (die jüngere Nouvelle Droite) hat von der Linken gerlernt und nennt sich ethno-pluralistisch. Sie verwandelt ältere Rasse- in neuere Kultursemantiken, um "nationale Entfremdung" in der multikulturellen Gesellschaft als körperliche zu fassen (Niethammer, Kollektive Identität). Schmitt bot und bietet posthum ein großes Reservoir. Selbst die rechtsextreme Kritik an den "Gutmenschen" kann bei Schmitt fündig werden: Der Geltungsdrang des Wertes wird hier ein Zwang zum unmittelbaren Wertvollzug. Schmitt spricht vom Terror des unmittelbaren und automatischen Wertvollzugs (Die Tyrannei der Werte).

Aber das Partisanenbuch, das auch für Linke von Erknntnswert sein soll! Schließlich bezieht sich Schmitt hier positiv auf Mao.Doch sein Mao ist der tellurische, der autochthone Mao. Die Revolution siegt im Namen des Volkes. Mit Mao "rettet" Schmitt seinen Nationalismus und seine Vorstellung von der "Demokratie" als Identität von Regierenden und Regierten. Doch das hatten wir schon 1933!

An runden Geurtstagen lässt sich Schmitt gerne feiern. Und so kommt es zu dem Dilemma der Stadtväter seiner Heimatstadt im Jahre 1978. Schmitt wird wird neunzig. Prominenz ist angesagt, der große Schriftsteller Ernst Jünger, bedeutende Rechtsprofessoren und bekannte Journalisten. Dass Schmitt Nazi war, ist bekannt - oder? Am 11. Juli 1978 findet die offizielle Feier im ersten Gasthaus der Kommune statt. Der Bürgermeister überreicht den Ehrenring und spricht folgende Worte:

Wir sind (im Stadtrat) zu dem Ergebnis gekommen, dass Carl Schmitt weder Kronjurist Hitlers noch Wegbereiter des Nationalsozialismus war oder Mithilfe bei der Zerstörung der Weimarer Republik geleistet hat.Im Gegenteil: heute wissen wir, dass er der nationalsozialsitischen Ideologie fernstand - das haben die Nationalsozialisten seit 1935 gewusst, als Carl Schmitt in ihre Schusslinie geriet.

Schmitt wird sehr amused gewesen sein. Wie hatte er schon immer geschrieben? Auctoritas non veritas facit legem. Zufällig flog eine Bundeswehrstaffel über das Gasthaus. Mehring berichtet, dass Schmitt erfreut bemerkt habe: Das ist die Ovation der Luftwaffe zu meinem Geburtstag.

Und heute? Nun, wer den virulenten Nazismus Carl Schmitts anspricht, muss damit rechnen, in der "Sezssion", einem intellektuellen Kampfblatt rechts von der "Jungen Freiheit",darauf hingewiesen zu werden, das man "keine "Ahnung von Schmitt" habe, dass man sich "freue, einen gelungenen Nachweis von "Rassismus" (in Anführungsstrichen)" zu führen, dass schmittkritische, also historische Literatur "Konjunktionsliteratur" sei.

Heute muss man selbst bei einem Kenner wie Münkler lesen, dass Heidegger und Schmitt einen "Pakt mit dem Teufel" eingegangen seien (Die Deutschen und ihre Mythen) und dass, wenn derselbe für das zitierte Werk einen Preis der Heine-Universität Düsseldorf bekommt, der Laudator selbstverständlich das Bild des Partisanen bemüht.

Heute wird Carl Schmitt im Freitag als antibellizistischer "Calle" bemüht.

Heute kann ein Besucher eines Vortrages des Schmittbiographen Mehring in Plettenberg locker-flockig die Frage stellen: "Wenn Schmitt kein Nationalist war und auch kein Sozialist - wie kann er dann ein Nationalsozialist gewesen sein?" (Westf. Rundschau).

Übrigens kann man heute in Schmitts Geburtsstadt wandernd die "Spuren" des Kronjuristen Hitlers erkunden. Wenn es dort nur nicht so feucht und so kalt wäre!




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