Charlie Marx ist süüß!

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Für das ZEITMAGAZIN dieser Woche beschrieb Nina Pauer ihr "Date mit Marx" und erzählte, "was passiert, wenn man im Frühjahr 2009 versucht, 'Das Kapital' zu lesen - zum ersten Mal und gleich komplett."

"Eigentlich liest sie doch keine Bücher, deren Ende sie schon kennt!" dachte Frau von P., als sie das Zimmer ihrer Tochter betrat und ihr Blick auf das Buch fiel, das vor dem bordeauxroten Sofa lag: "Karl Marx.Verlag Zweitausendeins." Doch dann entfuhr ihr ein Schrei: "Mein Gott!" Graue Haare klebten am Velours des Sofas. "Nina!" kreischte sie. "Nina!" - "Ja, Maman, was iss'n?" Die Tochter schlurfte ins Zimmer. "Was ist das?!" rief Frau von P. und zeigte auf eines der grauen Haare. "Ach, Mutti, lernst du denn nie, dass ich erwachsen bin. Die Haare sind von Charlie!" - "Charlie?" - "Ja, klar, hast du denn noch nie von der marxistischen Phase gehört?" - "Karl Marx? Der..., der mit dem Bart?" Frau von P. zeigte auf das hellviolette Buch. "Aber, Nina, das ist doch utopisch!" - "Dachte ich auch, Maman. Aber Karl Marx ist Indikativ, verstehst du, Indikativ!"

"Der ist doch tot, mausetot, mein Kind!" Nina kicherte. "Tot, der Charlie? Der ist knallig pink! Für den hab' ich alle Sozialkontakte gekappt, wenigstens für ein Wochenende!" - "Und die Haare, Nina? Die Haare!" - "Endlich mal ein geordneter Freitag, Mamie. Wir waren erst in der Disco 'Internationale'. Du, der Charlie hat mir die Welt erklärt. Der kennt die Globalisierung, das Internet. Wir waren gerade beim ersten Kapitalcocktail. Da flüstert er mir ins Ohr: 'die unendlich erleichterte Kommunikation.' Echt geil, ey! Und dann haben wir die Verhältnisse zum Tanzen gebracht."

Frau von P. schaut ihre Tochter mit strengen Augen und erröteten Wangen an. "Du und der alte Mann?" - "Der kennt sogar Dubai. 'Die Bourgeoisie hat enorme Städte geschaffen', sagt er. Was der weiß! Gestern morgen habe ich ihn dann ins Café geschleppt. Einige ältere Leute nickten mir aufmunternd zu. Weißt, du, Charlie ist ja irgendwie schüchtern, so linkisch, aber süüß! Ich habe ihn gefragt, ob er mir gestern Nacht die Produktion des relativen Mehrwerts erklären wolle - bei mir zu Hause. Aber der Schuft hat dann den Dämmerzustand, in den ich nach hundert Seiten voller mathematischer Formeln geraten bin, einfach ausgenutzt. Flüstert mir 'was von Veränderung des Bewustseins ins Ohr und prahlt dann mit dem Manifest der kommunistischen Partei. Dieser Revolutionsverführer!" - "Oh Gott, oh Gott!" schluchzte Frau von P. ."Den Tatort haben wir dann nicht geschaut, Maman." - "Ich weiß, mein Kind. ich habe es befürchtet." Frau von P. war tapfer. "Aber dann habe ich ihn rausgeschmissen. Er höhnte nämlich, dass die Herrschenden sich die Welt als die beste mögliche vorstellen." - "Was!" Frau von P. war entsetzt. "Ich fühlte mich ertappt, Mutti, und habe ihn rausgeschmissen." Frau von P. war erleichtert.

"Und jetzt, mein Kind?" - "Du, ich habe ein Date mit einem wahnsinnig coolen Typen, August von Hayek, heißt der." - "Immerhin ein von ...?" - "Ja, du, der ist noch älter als der Charlie. Aber süüß, sagt der Chefredakteur!"

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