"Wie die Faust aufs Auge!" entfährt es mir. Im Autoradio erläutern mir gerade die Presseclub-Experten auf Lebenszeit die Chancen der Wirtschaftskrise - wieder einmal sind alle derselben Meinung. In meinem Kopf hallt jedoch die Lektüre des neuen Buches Albrecht Müllers nach: "Meinungsmache". Albrecht Müller ist - wie viele Leser sicherlich wissen - Spiritus rector der NachDenkSeiten.de, deren Besuch für viele mittlerweile zum täglichen Ritual gehört. Dass er sich nun - in Kooperation mit Wolfgang Lieb - nach den "Reformlügen" und dem "Machtwahn" der neoliberalen "Meinungsmache" widmet, ist folgerichtig. Der Kaiser ist nackt und kaum einer formuliert, was "eigentlich" alle sehen könnten. Wie entsteht also das eindimensionale Denken?
Man kann sich dem Thema auf vielen Wegen nähern, die alle irgendwie nach Rom führen: philosophisch, historisch, werbepsychologisch ... Müller selbst geht vom quasi ubiquitären "Gefühl der Ohnmacht" aus, das die deutsche Bevölkerung (und nicht nur die!) befallen hat. Man kann bekanntlich nichts machen! Die da oben machen doch, was sie wollen! Und so ist es in der Tat. Wozu es allerdings permanenter Meinungsmanipulation bedarf, wie der Autor an zahlreichen Beispielen belegt: von der angeblich überproportionalen Kinderlosigkeit der Akademikerinnen über den Trickle-down-Effekt bis zu den Pisa-Mythen. Anschaulich und in angenehm unaufgeregter Sprache analysiert Müller die Methoden der Meinungsmache: die Wiederholung ad nauseam, die Funktion möglichst unterschiedlicher Vertrauenspersonen, die adressatengerechte Ansprache, die Affirmation mit Aplomb (Modell Steinbrück), das Expertenunwesen, die Methode des pars pro toto (der typische Arbeitslose der "Bild"), die indirekte Beeinflussung (A sagen und B meinen) und vor allem: das Verschweigen des Nichtidentischen.
Ausführlich werden diese Methoden an der Wirtschafts- und Hochschulpolitik illustriert, letzteres durch Wolfgang Lieb. Die Autoren zeigen konkret und weisen mittels Textvergleich nach, wie ex- und intensiv die Gehirnbewirtschaftung durch die Bertelsmannstiftung erfolgt, diesem "stärksten Motor beim Zerstörungswerk". Ich sehe regelrecht, wie einige Leser die Augen nach oben verdrehen und höre sie etwas von "Verschwörungstheorien" murmeln. Was aber, wenn die Wirklichkeit so "platt" (Heine) ist? Die Autoren legen dies materialbasiert nahe.
Ausgesprochen spannend sind die Aussagen über "das Verschwinden der Medien - oder anders formuliert: Warum versagen die "Wächter der Demokratie"? Ich musste bei der Lektüre an Serge Halimis "Die neuen Wachhunde" denken. Halimi, Redakteur der Monde diplomatique beschreibt darin akribisch, wie die französischen "Medienwachhunde" pflichtgemäß für die Herrschaft der Eindimensionalität sorgen, vor allem durch marktkonformes Verhalten bei immer stärkerer Medienkonzentration, durch Akkzeptanz eines "Universums von gegenseitigem Zuarbeiten" mit entsprechender "Belohnung" durch Posten und durch die Ausnutzung prekarisierter Arbeitsbedingungen. Müller zeigt, dass es in der Bundesrepublik ähnlich ist. Er verweist auf die Rolle der "Platzhirsche" (Jörges, Steingart, Keese, Ulrich e tutti quanti, es röhrt ganz schön im Morgengrauen). Das Newsroom-Prinzip und seine für die Meinungsfreiheit fatalen Konsequenzen wird beschrieben. Angst geht um. Der Journalismus geht, PR kommt (und Johnny Walker, versteht sich).
So weit, so schlecht. Was tun? Müller setzt - bei aller Skepsis - auf Gegenöffentlichkeit. Z.T. mit Erfolg, wie die NDS zeigen. Ob es damit aber zur Immunisierung gegen die herrschende Meinung, die natürlich die Meinung der Herrschenden ist, kommt, scheint mir fraglich - denken wir nur an die Wahlumfragen. Zum Verzweifeln!
Insgesamt ist das neue Buch Müllers also sehr zu empfehlen, auch für diejenigen unter uns (ich zähle mich zerknirscht auch dazu), die immer schon alles kennen (das "Bekannte" ist noch lange nicht "erkannt", frei nach Hegel). Gerade für die letzteren erwähne ich die "Kirsche auf der Torte": Müller listet auf 35 Seiten äußerst stringent wichtige Gegenstände der Meinungsmache auf, zeigt deren Auswirkungen und formuliert jeweils eine schlüssige Gegenargumentation. Man möchte diese Seiten herausreißen - als Vademecum für den allgäglichen Kampf der Aufklärung gegen das "Dunkel" der Meinungsmache.
Albrecht Müller, Meinungsmache. Wie Wirtschaft, Politik und Medien uns das Denken abgewöhnen wollen, München 2009
Kommentare 15
Das Buch ist wie alle anderen von ihm einfach die Bildzeitung für Semiintellektuelle.
die frage ist da eher, ob gegenöffentlichkeit nicht genauso funktionieren muss um erfolgreich zu sein.
Der Erfolg gibt dem Dummkritikern das Geld für den Ausstieg bzw. Einstieg.
Ja aber die nachdenkenseiten finde ich auch immer genauso platt wie die "öffentlichkeit" und dort wiederholt sich alles ständig und es werden einfach die Nachrichten ausgefiltert und veröffentlicht die dortigen Meinung entsprichen oder es wird passend kommentiert.
Nachdenken tun die Untertanen, Denken tun die Kühnen und Braven.
ich halte die nachdenkseiten auch nicht für äußerst anspruchsvoll. nur den sinnbildchen bildleser, den man mit intellektueller darstellung kaum zu erreichen vermag, kann man über solcherlei erreichen. der ist, wenn man etwas erreichen will, genauso wichtig wie der intellektuelle, der eben andere kanäle gebraucht.
Da Sie das Buch schon gelesen haben, können Sie sicher - als Vollintellektueller sowieso - sagen, welche Aussagen Müllers Sie konkret meinen.
Die NachDenkSeiten gehören zu den engagiertesten und besten Seiten, die es im deutschen Internet gibt. In ehrenamtlicher Tätigkeit wird eine Aufklärungsarbeit und Analyse betrieben, die erstaunlich ist.
Auf den NachDenkSeiten wurde und wird in vielen Themenbereichen frühzeitig auf Entwicklungen hingewiesen während Besserwisser und Mainstreammedien noch Propagandageschwätz verbreiten.
Die Bücher sind einerseits eine interessante Zusammenfassung der dort vertretenen Meinungen und andererseits eine Einkommensquelle. Den Kauf der Bücher kann man wegen des Inhalts der kostenlosen Informationen im Internet doppelt empfehlen.
Ich lese Müllers "Nachdenkseiten" jeden Tag und ich finde, dass er bei vielen Meldungen sehr gute Zusatzinformationen gibt.
Sein Buch "Meinungsmache" habe ich noch nicht gelesen, aber zwei gute Interviews, bei denen er das Buch vorgestellt hat. Leider erschreckend einleuchtend und an vielen Beispielen belegbar: Von Ypsilantis Wortbruch bis Schmidts Dienstwagen. Diese Interviews belegen auch, dass er zunehmend Erfolg hat. Und inzwischen ist auch ein Kreis von intelligenten Bloggern um ihn versammelt, die er ebenfalls zitiert.
Genau: Da Sie das Buch ja schon gelesen haben, wäre ich um eine Rezension Ihrerseits ausgesprochen dankbar! Als Semiintellektueller brauche ich Vordenker, damit ich nachdenken kann. Ohne Vordenken kein Nachdenken. Und wenn ich mir den derzeit mit allerhärtesten Bandagen geführten Wettbewerb innerhalb der klassischen Printmedien ansehe, die sich- und das wird leider immer wieder vergessen- in einer geradezu historischen Krise befinden und deshalb schon fast aus jedem Ereignis eine spektakuläre Headline basteln müssen, sich ganze Seiten von PR- und Content-maker-Firmen vollschreiben lassen müssen und sich nach ihren Inserenten richten müssen, wie die Kompassnadel nach Norden- nun, da lobe ich mir Teile der Gegenöffentlichkeit, die eben nicht (alleine) nach kommerziellen Gesetzen funktionieren. Abgesehen davon kenne ich den Medienzirkus aus beruflicher Erfahrung. Was wir vorgetischt bekommen- ganz speziell jetzt in dieser Krise- ist zum Teil hanebüchen! Natürlich ist die Gegenöffentlichkeit auch nicht immun gegen politische Einflussnahme- doch ihre kommerzielle Unabhängigkeit lässt ihnen schon wesentlich mehr Freiraum.
Entweder Sie kennen die Bildzeitung nicbt oder Sie kennen die NachDenkSeiten nicht!
Einer der vielen Unterschiede zur Bildzeitung:
Die NachDenkSeiten verlinken stets auf Artikel und Meinungen, die von ihnen kritisiert werden. D.h.: Die Leser können sich über die Gegenmeinung informieren und sich somit eine eigene Meinug bilden, während die Bildzeitungsleser tagtäglich mit Lügengeschichten zugemüllt werden und diese nicht anhand von Gegenmeinungen prüfen kann!
Als langjähriger Leser der NachDenkSeiten empfehle ich jedem Bundesbürger dringend, täglich die NachDenkSeiten als Ergänzung zu seinem Infokonsum über die Prinmedien sowie über TV und Hörfunk aufzusuchen. Auch der weit überwiegende Teil der übrigen Medien ist rechtskonservativ und neoliberal ausgerichtet.
Und:
Die Feststellung Oskar Lafontaines zur Konzentration der privatwirtschaftlichen Medienmacht in den Händen von ca. 10 einflußreichen Familien entspricht durchaus den Tatsachen. In dem Beitrag “Medienmonopole – eine Gefahr für die Demokratie” schrieb Eckart Spoo im Mai 2008:
www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=12411
„Als 1965 der konservative Journalist Paul Sethe (Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung) die Pressefreiheit suchte, fand er sie weder bei den Journalisten noch bei den auf Medien angewiesenen Bürgerinnen und Bürgern, sondern schon damals erkannte er, unter den realen Verhältnissen der Bundesrepublik Deutschland sei Pressefreiheit „die Freiheit von 200 reichen Leuten, ihre Meinung zu verbreiten“ bzw. durch von ihnen bezahlte Journalisten verbreiten zu lassen. (…)
Paul Sethes anfangs zitierte Äußerung ist dahingehend zu aktualisieren, daß der weitaus größte Teil der deutschen Presse heute in der Hand von nicht mehr als zehn Konzernen ist (Bauer, Bertelsmann, Burda, DuMont, Holtzbrinck, Ippen, Madsack, Springer, Stuttgarter Zeitungsverlag und WAZ).”
Und auch im öffentlich rechtlichen Rundfunk stellt sich die Situation recht trostlos dar:
Klassisches Beispiel ist das ZDF. Der ZDF-Fernsehrat ist personell so strukturiert, daß die Neoliberalen bzw. Konservativen stets über eine komfortable Mehrheit verfügen. Der ZDF-Intendant wird seit der Gründung des ZDF (im Jahre 1963) ausnahmslos von der Union gestellt. Von gelegentlichen Beiträgen in “Frontal 21″ sowie der einmal monatlich ausgestrahlten Satire-Sendung “Neues aus der Anstalt” abgesehen sind die übrigen politischen Sendungen (auch die “Heute”-Nachrichten und das “Heute-Journal”) fest in den Händen der Union.
Gab es bis etwa Ende der 90er Jahre bei der ARD eine großere Bandbreite der politischen Berichterstattung (”Schwarz”: z.B. Bayrischer Rundfunk, Süddeutscher Rundfunk, Südwestfunk; “Rot”: z.B. Westdeutscher Rundfunk, Hessischer Rundfunk), so hat sich auch dies geändert. Hier spielen zum einen Regierungswechsel eine Rolle (z.B. Hessischer Rundfunk, WDR). Zum anderen wurde dies jedoch vor allem durch den Rechtsschwenk der SPD mitverursacht, der sich nun durch die Entsendung von “Agenda”-Politikern auch in den Kontrollgremien der ARD-Sender bemerkbar.
Die ungehaltenen Reaktionen des die deutsche Medienlandschaft so stark dominierenden konservativ-neoliberalen „Medienkomplexes” auf die Äußerungen Oskar Lafontaines zeigen: Getroffene Hunde bellen!
Wenn ich mir die ersten Kommentare so ansehe, kann ich eigentlich nur mit dem Kopf schütteln. Was suchen solche Leute in einem Umfeld wie dem Freitag?
Mit "Meinungsmache" bin ich etwa zu 1/3 durch. Gewohnt gute Arbeit von Albrecht Müller, auch wenn der regelmäßige Nachdenkseiten-Leser nicht so unheimlich viel Neues erfährt. Trotzdem kann ich die Nachdenkseiten und die Bücher von ihm (die Reformlüge hatte mir damals die Augen geöffnet) nur jedem wärmstens empfehlen!
Ich wusste gar nicht, dass es beim Freitag auch schon Astroturfer gibt. Nichts gegen freie Meinungsäußerung, aber das wird ja teilweise gerade unterirdisch dumm hier. Fast als hätten Big B und INSM einen ganz eigenen 'Agent Provocateur' von der Leine gelassen. Peinlich und flach.
Nur zur Klarstellung: Ich meinte nicht den Artikel. Der ist klasse!
Ein Stöckchen hinhalten und schauen, wer drüber springt, sich danach als Intellektueller gerieren. Auweia!