"Gestorben für Frankreich"? Vom Umgang mit der Résistance in der Zeitenwende

Die Manouchian im Panthéon Während die Regierung im Verein mit dem RN Geflüchteten das Leben erschwert, ehrt Macron immigrierte kommunistische Résistants, die man damals Terroristen nannte. Reale Widersprüche löst Macron symbolpolitisch auf, mit Pathos und mit links.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Abschiedsbrief:

Meine kleine Mélinée, mein geliebtes Waisenmädchen. In einigen Stunden bin ich nicht mehr auf dieser Welt. Sie werden uns heute nachmittag um 15 Uhr erschießen... Was soll ich Dir schreiben. Alles in mir ist konfus und zugleich doch klar. Ich hatte mich als freiwilliger Soldat der Befreiungsarmee angeschlossen, und nun sterbe ich kurz vor dem Sieg und dem Ziel. Was für ein Glück!... Ich bin sicher, dass das französische Volk und alle Freiheitskämpfer unser Andenken würdig zu ehren wissen... Das deutsche Volk und alle anderen Völker werden in Frieden und Brüderlichkeit leben, nach diesem Krieg, der nicht mehr lange dauern wird.

Am 21. Februar 2024 wurde die Asche von Missak und Mélinée Manouchian in den Panthéon überführt, eine wahrlich außergewöhnliche Ehre. Unter den bisher geehrten 75 Männern und 6 Frauen befand sich kein einziger Kommunist, geschweige denn ein nicht-französischer Résistant. Missak und Mélinée waren „apatrid“.

Jede Panthéonisierung war historisch und politisch brisant. So auch diesmal. Vor einem Monat wurde das neue Immigrationsgesetz verabschiedet. Den Geist des Gesetzes beschrieb der smarte Innenminister Darmanin so: „Gemein zu den Gemeinen und nett zu den Netten sein“. Das heißt konkret: Aufweichung des sankrosankten ius solis und erste Ansätze einer „Préférance nationale“. Die rechtsextremen Deputierten stimmten vollen Herzens zu. Gehört doch der nette Satz „Die französische Nationalität muss man erben oder sich verdienen“ zu ihren Standardsprüchen. Marine Le Pen hat ihn von ihrem Vater geerbt.

L'Arménien

Zweimal hatte der armenische "Staatenlose" mit Flüchtlingsstatus Missak Manouchian die französische Nationalität beantragt. Zweimal vergebene Müh. Missak war nach dem Genozid an den Armeniern Vollwaise. 1925, mit 19 Jahren, folgte er seinem älteren Bruder nach Marseille. Das Schicksal war ihm hold: die Armeniern vorbehaltene Internierung im überfüllten Lager Oddo blieb ihm erspart. Und die ökonomische Situation war für "Immigrés" günstig.

Frankreich hatte im Krieg 10% der aktiven männlichen Bevölkerung verloren. Einwanderer wurden also gebraucht. Gleichzeitig setzten die Großunternehmer der 20er Jahre die Taylorisierung der Arbeit gegen die geschwächten Gewerkschaften durch. Sie ersetzten qualifizierte Arbeiter durch ausländische „OS“ (Ouvriers spécialisés. Die kommunistische Partei und ihre Gewerkschaft CGT gründeten 1925 das „Bureau de Main-d'œuvre étrangère“ (MOE). Die Aufgabe: Verhinderung der Spaltung der Arbeiterklasse durch politische Agitation und Unterstützung der Einwanderer im alltaglichen Leben, z.B. beim Erwerb der lebenswichtigen Papiere.

Die große Krise der 30er verstärkte Fremdenhass, Antikommunismus und Antisemitismus. Die Immigration wurde zum "öffentlichen Problem" gemacht. In der Zwischenkriegszeit suchten 150.000 Juden Zuflucht in Frankreich. Die Regierenden verschärften die Repression, auch auf Druck der Ärzte, Rechtsanwälte und Geschäftsleute, die die Konkurrenz der "Metöken“ fürchteten. Die Grenzkontrollen wurden verschärft. Der Polizeipräfekt Jean Chiappe sprach von „unerwünschten Deutschen, die nur behaupten, politische Flüchtlinge zu sein“. Jüdische Geflüchtete ohne Visum wurden zurückgewiesen. Rechtsextreme Intellektuelle und Massenmedien feuerten Kampagnen gegen die „Invasion der Juden und Metöken“ an. 1932 fixierte die Nationalversammlung per Gesetz die „Immigrierten“-Quote: maximal 10% bei privaten und 5% bei öffentlichen Betrieben. Über 120.000 Polen wurden in Sonderzügen „zurückgeführt“. In diesem Kontext wurde die MOI (Main-d'œuvre immigrée) umbenannt.

Missan Manouchian arbeitete als Dreher bei Citroën in Paris. Auch er wurde arbeitslos. Er widmete sich nun stärker seiner literarischen Arbeit (Poesie, Übersetzungen ins Armenische). Angesichts der faschistischen Gefahr trat er im Februar 1934 in die kommunistische Partei und die armenische "Sprachgruppe" der MOI ein. Seit 1935 leitete er die kommunistische armenische Zeitschrift „Zangou“. Bei seiner Arbeit im „Hilfskomitee für Armenien“ (HOC) lernte Missak Mélinée Assadourian kennen.. Auch Mélinée war im Genozid der Armenier Waise geworden. 1926 schickte sie ein amerikanisches Hilfskomitee aus einem Waisenhaus in Griechenland nach Marseille und 3 Jahre später in eine Pariser Schule, wo sie neben ihrem Schulabschluss in Buchhaltung und Stenotypie ausgebildet wurde, den typischen Frauenberufen der Zeit. Die beiden heirateten 1936.

L'Arménien communiste

Das Frühjahr 1936 brachte tatsächlich eine kurze Zeit des Glücksversprechens. Der 1. Mai erlebte eine enorme Demonstration. Auch die MOI war mit ihren Fahnen dabei. Sie zählte insgesamt fast 7000 Mitglieder, unterteilt in 15 Sprachgruppen (ca. 3000 Italiener, 2000 Polen, 600 Spanier, 500 jiddischsprache Juden und 260 Armenier u.a.). Sie alle unterstützten die großen Streiks vom Sommer 1936 und den Front populaire. Noch im selben Jahr schlossen sich viele den spanischen Republikanern im Kampf gegen die Truppen Francos an. Manouchian hinderte nur eine Parteiorder daran, nach Spanien zu gehen. 1939, nach der Niederlage der spanischen Republik, brachte die „Retirada“ 465.000 Geflüchtete nach Frankreich. Der Zeitgeist hatte sich endgültig gewendet. Der Innenminister Albert Sarraut sprach jetzt von „menschlichem Abfall, Menschen ohne Moral, eine sehr große Gefahr, wenn wir sie auf unserem Boden lassen“. 226.000 spanische Geflüchtete wurden interniert. Schon 1938 hatte die Regierung Daladier in Dekreten (und in buchstäblich reaktionärer Tradition) die „gesunden und fleißigen Teile der ausländischen Bevölkerung“ von „den moralisch zweifelhaften, unserer Gastfreundschaft nicht würdigen Individuen“ unterschieden. "Unerwünschte Ausländer" wurden interniert. Daladiers Dekrete ermöglichten sogar die Aberkennung der Staatsbürgerschaft und des Wahlrechts für 5 Jahre. Für die politische Rechte war klar: Die „Immigrés“ sind keine richtigen Franzosen.

Missak Manouchian reiste in diesen Jahren durch Frankreich, um die Armenier für die „Union populaire franco-arménienne“ zu gewinnen. Das Paar Manouchian sammelte Geld für das republikanische „Hilfskomitee“, und die Zeitschrift „Zangou“ trommelte für die spanische Republik. Ende 1937 war Missak Delegierter beim 9. Kongress der kommunistischen Partei. Beide, Missak und Mélinée, waren, für Kommunisten damals (fast) selbstverständlich, Anhänger der UdSSR. Beide träumten von der Verwirklichung der Ideale der Französischen Revolution und der Commune.

Die Katastrophe des deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakts veränderte alles. Die französische Regierung verbot die kommunistische Partei und ihre Organisationen, darunter auch die MOI, die allerdings im Sommer 1940, nach der Niederlage, klandestin neu gegründet wurde. Die MOI half zunächst den von der Pétain-Regierung verfolgten jüdischen Kollegen. Schon vor dem Überfall auf die SU im Juni 1941 gehörten die polnischen Bergarbeiter der MOI zu den Organisatoren des großen Streiks in Nordfrankreich, in dessen Folge 244 Arbeiter nach Sachsenhausen deportiert wurden. Im Frühjahr 1942 installierte der PCF die „Francs-Tireurs-Partisans Français“ (FTPF). Die MOI wurden zur FTP-MOI. Deren Mitgliederzahl stieg mit der Einführung des STO, der Arbeitsdienstpflicht für Franzosen in Deutschland, und der mörderischen antisemitischen Verfolgung in Frankreich.

Im September 1939 wurde Missak festgenommen, ein Schicksal, das er mit 2500 Gewerkschaftern und kommunistischen Politikern teilte. Um der Haft zu entgehen, verpflichtete er sich der „Vaterlandslose“ zum Militärdienst. Nach der Niederlage Frankreichs wurde er zur Fabrikarbeit in der Sarthe verpflichtet. In dieser Zeit verteilte Mélinée Flugblätter der verbotenen KPF. Zurück in Paris, nahm Missak seine politische Arbeit wieder auf. Im Herbst 1941 wurde er - mit anderen Kommunisten - erneut festgenommen, diesmal vom deutschen SD, der ihn in einem Lager in Compiègne internierte. Mangels Beweisen wurde er wieder freigelassen.

L'Arménien communiste résistant

Im Februar 1943 schloss sich Missak der FTP-MOI. an. Die Partei setzte ihn zunächst als technischen, dann, ab August 1943, als militärischen Verantwortlichen für den Pariser Raum ein. Die Résistance Mélinées bestand bisher in der (sehr gefährlichen) „Travail allemand“, der Agitation von Mitgliedern der von den Deutschen aufgebauten „Légion arménienne“. Auf Anordnung der Partei unterstützte Mélinée nun ihren Mann. Sie verfasste und daktylographierte Berichte und hielt die Verbindungen zu den anderen Mitgliedern aufrecht. Für uns ist es heute schwer, eine konkrete Vorstellung vom Leben der Résistant(e)s jenseits der Romantisierung zu bekommen. Ab 1943 bestanden die FTP-MOI aus Untertruppen mit 15 Mitgliedern. Jeder Partisan hatte eine Matrikelnummer und einen Tarnnamen. Den richtigen Namen der Kameraden kannte er nicht. Die Pariser FTP-FOI bestand insgesamt aus ca. 65 Mitgliedern. Diese unternahmen von Juni 1942 bis November 1943 229 Aktionen gegen die deutschen Besatzer: Sabotageakte gegen Eisenbahnzüge, vor allem in Richtung Deutschland, aber auch die Tötung emblematischer Kollaborateure oder Besatzer. Erstaunlich ist neben dem Mut die Kaltblütigkeit der Résistants. Sicherlich waren die kommunistischen „Immigrés“ , antifaschistische Italiener, jüdische Polen, republikanische Spanier und vom Genozid geprägte Armenier, besonders entschlossen. Aber wie war das Töten von Menschen zu verkraften? Missak Manouchian erinnerte sich, späteren Aussagen Mélinées zufolge, bei diesen Aktionen seiner Eltern:

Ich hatte wirklich den Eindruck, dass sie aus dem Grab stiegen. Sie hatten das Gesicht der Rache und sagten mir, dass ich handeln müsse: Tu tust nichts Böses. Du tötest nur Mörder. Ich warf die Granate und danach schien es, als ob das ganze Gewicht der Welt, mit ihrem Elend, von meinen Schultern fiel.

Doch der Feind war unerbittlich. Und ebenfalls von Hass motiviert. So wie der Generalstaatsanwalt von Toulouse, die diese Worte an einen angeklagte Résistant der MOI richtete: „Sie sind Jude, Ausländer und Kommunist, für mich drei Gründe, Ihren Kopf zu fordern.“ Lespinasse wurde wenige Wochen später auf der Straße von FTP-MOI-Résistants erschossen.

L'Arménien "terroriste" et "chef de bande"

Nach Stalingrad und der Landung der Allierten in Sizilien war der Sommer 1943 von der Erwartung eines baldigen Kriegsendes geprägt. Auf einmal ergab sich die Perspektive eines nationalen Aufstandes, der "Libération". Die Attentate nahmen zu. Nach wochenlangen Vorbereitungen gelang einem Kommando der Pariser FTP-FOI am 28. September 1943 der größte Coup: die Erschießung des SS-Standartenführers Julius Ritter, Generalbevollmächtigter des STO in Frankreich. Die Besatzungsmacht reagierte, auf die deutsche Art, am 2. Oktober mit der Erschießung von 50 Geiseln auf dem Mont Valérien.

Die mit den deutschen Repressionsorganen kollaborierenden „Brigades spéciales“ hatten schon in den 30ern die Bekämpfung des „inneren Feindes“ perfektioniert. Schon im März 1939 war die "Brigade spéciale anticommuniste" gegründet worden. Nun folgten insgesamt 200 Inspektoren der BS1 und BS2 die Spuren der MOI. 1943 gelang es dem Vichy-Polizeiapparat, die Pariser MOI in drei großen Verhaftungswellen zu vernichten. Jeder Schritt Missak Manouchians war seit September 1943 beobachtet worden. Der „Zugriff“ geschah bei einem „konspirativem Treffen“ mit dem Koordinator der Pariser FTP, Joseph Epstein, am 18. November. Insgesamt wurden 68 Résistants festgenommen. Ein fleißiger Beamter der BS2 kategorisierte die Verhafteten à l'allemande:

Unter den Individuen: vierzehn Franzosen und Arier, vier Franzosen und Juden, neunzehn Ausländer und Arier, dreißig Ausländer und Juden.

Im „robusten Verhör“ gab Missak nur das zu, was die Verhörer schon wussten, z.B. die „Tarnnamen“. Und er versuchte, Mélinée zu schützen: „Madame Assadourian wusste nichts von meiner heimlichen Aktivität.“ Mélinée entkam der Verhaftung nur knapp. Sie versteckte sich vorerst bei den Aznavourian (den Eltern Charles Aznavours).

Die deutschen Besatzer nutzten die Festnahmen zu einer enormen Kampagne. 15.000 „Affiches rouges“ wurden geklebt. Auf einem umgekehrten roten Dreieck sah man die Photos von Mitgliedern der MOI:

Grywacz, polnischer Jude, Elek, ungrischer Jude, Wasjbrot, polnischer Jude, Fontanot, italienischer Kommunist, Witchitz, ungarischer Jude, Fingerwaig, polnischer Jude, Alfonso, roter Spanier, Boczor, ungarischer Jude, Rajman, polnischer Jude.

In der Dreiecksspitze figuriert das Foto Missaks: „Manouchian – Bandenchef, 56 Attentate, 150 Tote, 600 Verletzte“.

Mélinée sagte später:

Ohne dieses Plakat hätte niemand von Manouchian, Boczor, Rajman, Alsfonso und all den anderen ausländischen Kämpfern gesprochen. Man hätte sie beerdigt und vergessen.

Der Schauprozess gegen die „24 Terroristen“ fand vom 15. bis 18. Februar 1944 statt. Missak soll seinen Richtern zugerufen haben: „Sie haben die französische Nationalität geerbt, wir aber haben sie verdient.“ Die propagandistische Pressebegleitung war immens. Die (vorgegebenen) Standardbezeichnungen der Résistants waren „Terroristen“ und „Banditen“. Wozu die Medien der Zeit fähig waren, zeigt beispielhaft der folgende Passus aus „Le Progrès“:

Jetzt sind sie vorbei die „Freiheitstaten“ dieser Neopatrioten mit den kuriosen Namen. Künftig zahlen die Manouchian und Della Negra bar. Der Kerker und das Exekutionskommando werden ihren unheilvollen Taten ein Ende setzen. Unsere Wälder und Landschaften sind von den unerwünschten Gästen befreit. Sie werden die Ruhe des Waldes wiederfinden.

Die Erschießung mit dem schnarrenden Befehl „Legt an!“ fand am 21. Februar auf dem Mont Valérien statt. Auf der Fahrt dorthin, im Lastwagen, hatten die Résistants gerufen:

Es lebe das deutsche Volk, nieder mit den Nazis! Wir lieben die deutsche Musik, wir sind Soldaten,wir arbeiten für Deutschland. Der Krieg wird keine vier Monate mehr dauern. Die Russen werden Deutschland retten!

Die einzige „Terroristin“ in der „Groupe Manouchian“, die rumänische Jüdin Golda Bancic, wurde am 10. Mai in Deutschland enthauptet. Mélinée, die sich versteckt halten musste, erfuhr erst nach Wochen vom Tod ihres Mannes. Sie setzte ihre Arbeit für die FTP-MOI bis zur Libération fort.

Die deutschen Besatzer konnten damals nicht wissen, dass gerade ihr „Affiche rouge“ eine wichtige „memorielle“ Funktion haben sollte. Die Selbstdarstellung des PCF nach dem Krieg als „Parti des 75.000 fusillés“ schien zunächst glaubhaft. Später minimierten die Historiker diese Zahl. Als ob 5.000 oder 15.000 Erschossenen eine kleine Zahl wären. Schon im Herbst 1944 begab sich De Gaulle zu den Gräbern von 828 Füsillierten auf den Friedhof von Ivry. Im September desselben Jahres fand ein Fussballturnier zu Ehren des Red Star-Paris-Spielers und erschossenen MOI-Mitlgieds Rino Della Negra statt. Paul Eluard schrieb 1950 sein Gedicht „Légion“ mit Versen wie „Ces étrangers d'ici qui choisirent le feu“ (Die Fremden von hier, sie wählten das Feuer). 1955 folgte ihm Aragon mit „L'Affiche rouge“ („Vingt et trois amoureux de vivre à en mourir“. Drei und Zwanzig liebten das Leben um daran zu sterben). Der anarchistische Sänger Léo Ferré popularisierte es in den 60ern. Das Affiche rouge ist bis heute Bestandteil der kollektiven Erinnerung.

L'Arménien mort pour la France

Nun ist es vollbracht. Frankreich hat neue Einwanderungsgesetze. Beschlossen haben sie die republikanische Mitte und die extreme Rechte, „Hand in Hand“. Tatsächlich erinnern bestimmte Artikel an die Vorgänger aus den 30ern. Und seit dem 21. Februar sind die Manchourian endlich panthéonisiert. Auch ihre Kameraden wurden geehrt, wenn auch weniger prominent. Das Lied Léo Ferrés wurde schön gesungen, armenische Musik gespielt und der erste Mann der französischen Republik hielt seine Rede und ehrte den letzten überlebenden MOI-Résistant mit seinem (wie immer sehr langen) Händedruck. Und da es regnete, hielt er dem älteren Herrn sogar den Regenschirm. Macron Protektor. Trotzdem bleibt ein gewisses Unbehagen.

Da ist die Rede des Präsidenten. Der hat kurz vor der Zeremonie der "Humanité" ein Interview gegeben, in dem er Missak Manouchian in seiner fluiden Sprache, die ihn vor der Konkretion bewahrt, als "Franzose aus freier Wahl und durch seine Blutgabe" (Francais de choixb et de sang versé) bezeichnete. Die Panthéonrede war natürlich nach den Regeln der Kunst konstruiert, wie immer ohne Versprecher und mit Pathos rezitiert. Er kann das wirklich gut, ungeachtet der Person, die er gerade feiert. Das einzige, was von ihm bleiben wird, sagen manche, seien die Panthéonreden. Und trotzdem kann man, wie Médiapart bitter ironisch schreibt, sich des Eindrucks einer “verbalen Folterung Manouchians durch Macron“ nicht erwehren. Werden Sätze wie diese, die ich hier so wörtlich wie möglich übersetze, Missak, Mélinée und ihren Kameraden wirklich gerecht?

Sie waren gefallen, und ihre Henker wollten sie noch einmal hinrichten, diesmal mit verleumderischer Propaganda, mit diesem Affiche Rouge, das die Ängste schüren wollte und doch nur die Liebe stärkte. Denn die wahren Patrioten erkannten in diesem Rot das Rot der Trikolore. Das Rot der ersten Uniformen der Soldaten von 94, das Rote des Morgens von Valmy, das Rot des für Frankreich gegebenen Blutes, in dem sich immer auch eine Träne in Blau, ein Splitter in Weiß spiegelt.

Darf man die MOI dermaßen verkitschen und patriotisch „franzisieren“? Man kann es und wird dafür gelobt. Macron hat es wieder gezeigt. Aber der berühmte Abschiedsbrief Missaks gibt dem Gerede des Präsidenten unrecht. Der Spruch „Morts pour la France“ geht auf den Aragon des Jahres 1955 zurück. 1944 sagte man: „Morts pour la Liberté“. Manouchian schreibt von Freiheit und „Frieden unter den Völkern“. Die MOI-Résistants waren Kommunisten, Internationalisten, Antifaschisten, Antikapitalisten, Freunde der SU und wahrlich ungeeignet, als Helden des „nationalen Romans“ zu dienen. Auch deshalb waren sie schon in den 30ern und erst recht unter Pétain verfolgt worden. Und in den 50ern erneut.

Die beiden Särge wurden übrigens tatsächlich von Soldaten der Fremdenlegion (der Folterer-Legion in Indochina und Algerien) ins kalte Panthéon getragen. Ausgerechnet! Meinten die Regisseure der Veranstaltung, dass Heldentod und Ehrung „fremde“ Legionäre und „fremde“ Résistants“ patriotisch vereinen? Auch die Legionäre können übrigens im Falle des "gegebenen Blutes" die französische Nationalität erlangen. Marine Le Pen, die der Zeremonie ostentativ beiwohnte, war jedenfalls amused:

Wissen Sie, es ist bekannt, dass ich familiale Verbindungen zur Fremdenlegion habe. Es ist doch klar, dass Fremde im Laufe unserer Geschichte gekommen sind, um für unser Land zu kämpfen.

Wie sagte doch ihr Vater schon und so schön? "Die französische Nationalität muss man erben oder sich verdienen."

Es regnete über Paris. Mittlerweile war es Nacht, und alle Katzen waren grau. Die Anwesenden waren zufrieden. Fabien Roussel, Generalsekretär der Kommunistischen Partei („Die Welt der Arbeit ist im Panthéon“), Marine Le Pen und Macron. Selbst Mélenchon, der Insoumis.

Und die Brutalität der heutigen Polizeibrigaden? Und die Rentengesetze? Und die Arbeitslosengesetze? Und die neuen Einwanderungsgesetze? Und die Kollaboration mit den Faschisten? Die was...? Wie fanden Sie die Zeremonie? War doch beeindruckend, nicht wahr?

Georges Brassens hat einst zum „Panthéon“ geschrieben (im „Le vieux Léon“)

C’est une erreur mais les joueurs d’accordéon

Au grand jamais on ne les met au panthéon ...

Et dans nos coeurs, pauvre joueur d’accordéon

Il fait ma foi beaucoup moins froid qu'au Panthéon.

Es ist ein Fehler, aber Spieler des Akkordeon

Steckt man niemals ins Pantheon...

Aber in unseren Herzen, armer Spieler des Akkordeon

Ist's wirklich wärmer als im Pantheon.

PS 1. Was und wie die kleinen Franzosen denken sollen, zeigt beispielhaft ein kurz vor dem 21. Februar Text des Schulbezirks Marseille, adressiert an Lehrer und Schüler:

Die Résistance war das Werk herausragender Führer und heroischer Soldaten, aber auch von Frauen und Männern, die auch wenn sie keine oder erst frische Franzosen waren, das republikanische Ideal teilten. Frankreich war in den dreißiger Jahren ein Hafen des Friedens in einem Europa, das durch den Hass, den Faschismus und schon durch den Krieg zerissen war. Die Frauen und die Männer der FTP-MOI glaubten so stark an dieses Ideal, dass sie ihm ihr Leben opferten...

PS 2. Laut "Marseillaise" vom 24.2. hat Macron in einer Diskussion mit Bauern gesagt: "Die Mindestlohnbezieher ("Smicards", ziemlich pejorativ) ziehen ein VOD-Abo (video on demand) der gesunden Ernährung vor". Da ist er wieder, mon vieux Macron, président des riches. Man hätte anlässlich der Hommage von Manouchian ja etwas zweifeln können. Die Macronie dementiert die Phrase, aber vier Bauern bestätigen sie, und die haben immer recht. Wie sagte Prévert: "Gegen Ende einer extrem wichtigen Rede stolpert der große Staatsmann über eine schöne hohle Phrase und fällt hinein."

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden