Die Schöne und das Biest. Sinn und Unsinn von Fernsehdebatten

Para-Politik Warum enden öffentliche Debatten zwischen Linken und Rechten so oft mit einem „Sieg“ der Rechten? Nachdenken über ein Duell zwischen der Fraktionsvorsitzenden der France insoumise Mathilde Panot und der Zemmourienne Marion Maréchal Le Pen.

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Es ist die Frage unserer Zeit: Warum vertrauen so viele Menschen rechten und rechtsextremen Parteien? Warum glauben sie offensichtlichen Unsinn? Warum ersetzen sie die "soziale Frage" durch die "rassiale" oder "ethno-nationale" Frage?" Die Historikerin Barbara Fields und die Ethnologin Karen Fields sprechen in diesem Kontext von einer Analogie zwischen "Witchcraft" und "Racecraft".

Hexerei ("witchcraft") gilt in bestimmten Gesellschaften als ein „Fait naturel“. Einem fremden Beobachter mag es absurd erscheinen, eine Fehlgeburt, eine Missernte oder eine plötzliche Krankheit durch Hexerei zu erklären.

Die Fields stellen fest:

Die Menschen glauben (und handeln) in der absoluten Gewissheit, dass rassiale Unterschiede wirklich und wirksam sind. Eine solche Welt steht unter dem Siegel der Evidenz. Und die ist überall. Sie entwickelt sich unter den banalsten wie unter den außergewöhnlichsten Umständen... Ideologien haben genau diese Funktion: Sie geben der täglichen Praxis der Initiierten „Sinn“. Unrecht hat, wer dies hinterfragt.

Oder er wird in echter oder falscher Sorge gefragt,ob es ihm nicht gut gehe. Für die Glaubwürdigkeit bestimmter Ideologien sorgen Fields & Fields zufolge Bias wie „zirkuläre Argumentation, omnipräsente Bestätigungsriten, mentale Barrieren gegen Bedrohung durch Fakten und self fulfilling prophecies“. Denen, um es selbstkritisch zu sagen, wir alle (manchmal) unterliegen, nicht nur im täglichen Leben.

Nun ist offener biologischer Rassismus in unserer (noch) aufgeklärten Epoche zum Glück verpönt, aber er ist nicht verschwunden. Die Rassisten weichen in kulturellen Rassismus aus oder praktizieren, was man in Anwendung der Fieldschen Terminologie als "Ethnocraft" bezeichnen könnte. In Frankreich ist vor allem der Privatsender CNews darauf spezialisiert. Aber die Konkurrenten holen auf. Ein besonders beliebtes Format ist dabei das Fernsehduell. Schauen wir einmal genauer hin (und her).

Die Schöne und das Biest

Marion Anne Perrine Maréchal Le Pen, Nichte Marine Le Pens und Vizepräsidentin der Zemmour-Partei „Reconquête“, bereitet zur Zeit ihre (zweite) politische Karriere vor, diesmal als Europapolitikerin. Eine Woche vor Weihnachten bot ihr der einflussreiche Privatsender BFMTV die Chance eines Duells mit der insoumisen Fraktionsvorsitzenden Mathilde Panot. Thema der Veranstaltung sollte ein eingeübtes Le-Pen-Thema sein, im Grunde ihr einziges Thema: die Immigration. Diese „falsch-wahren Debatten“ (Pierre Bourdieu) funktionieren in der Regel nach dem Modell des Catchens. Welche Rolle Panot zugedacht war, war allen Beteiligten klar. Schon in den 50ern definierte Roland Barthes das (amerikanische) Catchen

als eine Art mythologischen Kampf zwischen dem Guten und dem Bösen. Im para-politischen Sinn wird der böse Catcher immer als Roter verstanden.

In diesem Sinn überhöhten rechtsextreme Influencer die Debatte zum Kampf der „Belle“ (Maréchal) und der „Bête“ (Panot). In diesen Kreisen wird Panot als vulgäre, zum Schreien neigende "Poissonnière" (pej. Fischweib) bezeichnet. Jean Luc Mélenchon seinerseits sprach von einem „Ereignis“. Und der 23jährige Abgeordnete der FI Louis Boyard wusste gar:

Auf der einen Seite eine Frau des Volkes, Verteidigerin der Arbeiter, eine, die nicht vor den Beleidigungen und Lügen der Rassisten kneift. Auf der anderen Seite, Marion Maréchal, Erbin des Schlosses von Montretout, eine, die nichts von der Einwanderung und dem Leben der Franzosen weiß.

Sicherlich weiß Mathilde Panot, dass es mit Propagandisten oder Fundamentalisten keinen offenen Disput geben kann. Gerade deswegen lehnt Sophie Binet, die neue Generalsekretärin der Gewerkschaft CGT (und die politische Entdeckung des Jahres!) Auftritte bei dem rechtsextremen Sender CNews ab. Die Übertreibungen eines Louis Boyard erinnern tatsächlich an das Pfeifen im Wald und ließen nichts Gutes erwarten, zumal der „Referee“ des Duells Benjamin Duhamel heißt. Der Sprössling einer prominenten Journalistendynastie gehört mit seinen 28 Jahren schon zu den 10 „einflussreichsten Editorialisten“, denen Macron die Ehre eines privaten Dîners im Elyséepalast gewährte. Im journalistischen Feld nimmt der so Geadelte die Stelle des Homo novus ein, der es ziemlich gut versteht, mit „neuem Gesicht“ neuen Konsumentenkohorten die altbewährten Inhalte zu verkaufen. Und seien sie so ausgelutscht wie das Migrantenthema. Der Privatsender BFM, eigentlich eher auf Macron-Lini, steht momentan unter Pression. Der Konkurrent CNews wildert mit dem Migrantenthema erfolgreich in seinem Revier. Der Druck wird unbarmherzig an die Mitarbeiter weitergegeben. Aber Duhamel scheint anpassungs- und leidensfähig. Noblesse oblige.

Die Fernsehdebatte fand in einer besonderen politischen Situation statt. Innenminster Darmanin versuchte, coûte que coûte, sein scharfes Immigrationsgesetz durchzubringen. Auch er will es weit bringen, sogar sehr weit. Und die bürgerlichen Medien begleiteten das (Karriere-)Entreprise wie gewohnt mit Endlos-Serien über wirkliche oder vermeintliche Gewaltverbrechen von Migranten (dazu gehören für sie auch die in Frankreich geborenen Kinder und Enkel von Migranten). Das Gesetzesprojekt Darmanins war jedoch von der Nationalversammlung en bloc zurückgewiesen worden, mit den Stimmen der NUPES, zahlreicher Republikaner und des Rassemblement national. Zum Zeitpunkt des Duells versuchte die Commission mixte von Parlament und Senat sich über eine Neufassung des Projekts zu einigen.

Als wäre dies nicht genug: Die France insoumise Mathilde Panots selbst befand (und befindet) sich in einer krisenhaften Situation. Die „Union populaire“ zerbröckelt ebenso wie die Kohärenz innerhalb der eigenen Bewegung. Seit dem 7. Oktober wurde zudem von allen Seiten gegen Mélenchon geschossen: mangelnde Distanzierung von der Hamas aus wahltaktischem Kalkül, ja sogar Antisemitismus wurde dem Alten vorgeworfen. Wie in anderen Ländern reicht auch in Frankreich der Vorwurf, um den Ruf dauerhaft zu schädigen. Selbst der als ehrenwert geltende ehemalige Außenminister de Villepin verfiel diesem Verdikt.

Beim Fernsehduell stand also viel auf dem Spiel. Nun ist Panot eine Politikerin, die vor wenig zurückschreckt. Sie trat also an. Und das BFMTV-Duell (das auf Youtube bis jetzt über 860.000 Mal angeklickt wurde) entwickelte sich tatsächlich zu einem – bedrückenden - Lehrstück. Zur Illustration sollen hier zwei Sequenzen reichen.

Jeanne de l'Arc républicain

Benjamin Duhamel stellt nach wenigen einleitenden Sätzen die weltbewegende Frage:

Haben Sie sich per Handschlag begrüßt?

Panot verneint, Maréchal Le Pen (im folgenden M.M) erwähnt mit einem verlegenen Lächeln, auf Wunsch von Madame Panot habe man vermieden sich zu begegnen. Panot (MP) bestätigt dies und fügt hinzu, sie kämpfe schließlich gegen Personen, die eine „Gefahr für die Republik“ darstellen. MM zeigt sich weniger "gefährlich" als stilvoll und bedankt sich höflich beim Moderator für die Gelegenheit der Debatte. Sie erhoffe sich ein „match loyal“. In einem etwas längeren Diskurs stellt sie ihre politischen Prinzipien dar: Ein Ozean trenne sie von MP. Sie sei gegen das „Phänomen des großen Austausches“, für die „Zivilisation“, gegen die „Créolisation“, die eine große Gefahr für Frankreich und seine Kultur darstelle. Das Projekt der Gegnerin würde nur Chaos, Unsicherheit und Terrorismus hervorbringen, "Fakten", gegen die "wir" unwillkürlich Barrieren errichten wollen. Und als Mutter habe Angst um ihre zwei kleinen Töchter. Auch deswegen sei sie in die Politik zurückgekehrt. Das „Zwei-Töchter-Argument“ ist momentan wohl besonders überzeugend, nicht nur für Rechtspopulistinnen. Auch die deutsche Außenministerin und „Mutter zweier Töchter“ vertraute kürzlich „t-online“ an: „Das Muttersein ermöglicht mir, eine bessere Politikerin zu sein" (Ich verkneife mir hier ein „noch besser geht doch gar nicht“).

Resultat der ersten Runde: Panot erscheint als "gefährliche" Verächterin ziviler Regeln, die sogar einen Handschlag verweigert. Und verweigern nicht auch männliche Islamisten den Handschlag? Treffen sich also Islamismus und Linksextremismus im "Islamo-gauchisme"? Marion Maréchal Le Pen hingegen brilliert als faire Diskutantin und Verteidigerin des Vaterlands gegen Chaos, Unsicherheit, Terrorismus. Von Beginn an wird die Insoumise zur „Bête“, zur verbal und körpersprachlich aggressiven „Gefahr“, während die Schlosserbin, immer aufrecht sitzend, sich dynastisch-höflich und reserviert geben kann. Die schöne Blonde mit der halblauten sanften Stimme mutiert quasi zur „Jeanne de l'Arc républicain“, die Patrie, Famille und (später) die Arbeit der („wirklichen“) Franzosen verteidigt. Wieder mit Bourdieu: Marion Maréchal Le Pen beherrscht die „wirksamste Strategie“, nämlich

sich den immanenten Erfordernissen des Feldes scheinbar spontan, ohne ausdrückliche Absicht oder Berechnung, anzupassen.

Selbst ihr spickender Blick auf die zahlreichen Notizen fällt – im Unterschied zu dem Panots – kaum auf. Und wenn, ist er verziehen. Es sind ja so viele Zahlen zu behalten. Und Statistiken lügen sowieso, weil sie nicht ethnisch differenzieren. Kurz: Louis Boyards Bild eines Kampfes zwischen der Vertreterin des Volkes gegen die lebensfremde Schlosserbin wird in der Debatte auf den Kopf gestellt. Die Lebensfremde ist Mathilde Panot. Das „pays réel“ (ein Ausdruck des rechtsextremen und antisemitischen Vorbilds Charles Maurras, no matter), das „wirkliche Land“ verkörpert also Maréchal Le Pen, die junge beschützenswerte Frau, die um ihre zwei kleinen Töchter fürchtet. Diese Transformation gelingt, weil bem Sender BFMTV und dessen Dauerglotzern die Wirklichkeit „auf dem Kopf“ steht. Aber diese "verkehrte Welt" hat ihre Logik. Panot und ihre Berater hätten dies wissen müssen. Louis Boyard sowieso.

„Auf welchem Planet leben Sie“?

Die zweite Sequenz sorgt noch stärker für klare Verhältnisse. Irgendwann nennt MP ihr Gegenüber eine „Partisanin der reaktionären Union“, worauf MM vielsagend lächelt und fast augenzwinkernd bemerkt: „eher der französischen“. Sie wird von nun an die Aussagen Panots ständig durch z.T. kaum verstehbare Kommentare unterbrechen. Panot sieht sich ihrerseits als Partisanin der „populären Union“. Und die sei nötig, um die großen Herausforderungen der Klimaveränderung, der Vermögensverteilung und der Laizität zu bewältigen. Die Immigration, so MP, Statistiken zitierend, sei wahrlich nicht die Hauptsorge der Franzosen. Sie werde dazu gemacht. Eigentlich kein schlechtes Argument, doch was passiert? MM unterbricht laut:

Die Mehrheit der Franzosen will endlich die Regulierung der Immigration!

Und bevor Panot reagieren kann, beginnt MM im Crescendo einen ihrer offensichtlich einstudierten Monologe (ohne vom Moderator an die Regeln erinnert zu werden):

Ich habe mich nur auf die letzten 10 Tage konzentriert. In den Yvelines ist eine krebskranke 67jährige Frau überfallen und vergewaltigt worden, von einem Klandestinen. In Avignon ist ein 14jähriges Mädchen vergewaltigt worden, von einem Klandestinen, der dies zuvor bei einer 23Jährigen versucht hatte. In Nizza ist eine Prostituierte ermordet worden, von einem Klandestinen. Wie können Sie als große Feminstin der Kontrolle das Risiko vorziehen?

Panot, die dem Monolog äußerlich ruhig zugehört hat, reagiert mit einem (eher schwachen):

Ich werde darauf antworten...

geht aber nicht auf die Beispiele ein. Sie hätte die Wahrnehmung MMs analysieren können, die Obessession der "Klandestinen". Abscheuliche Verbrechen gab es in den letzten Tagen zu Hauf, begangen auch von "stammfranzösischen" Rechtsextremen, Katholiken, Atheisten. Die Fields zeigen diesen Mechanismus anschaulich an ganz anderen Beispielen (die auch für Europa gelten):

Für viele amerikanische Weiße ruft das Wort "Welfare" (Sozialhilfe) unwiderstehlich das Bild fauler Afroamerikaner und mißbrauchender Immigranten hervor, bis zu dem Moment, wo sie die Welfare selbst brauchen. Und dann bekommen sie noch Schuldgefühle.

Auch die Insistenz, mit der immer wieder auf Obama als "ersten schwarzen Präsidenten" hingewiesen wurde,

klingt wie ein simples Remake eines alten Schemas der rassialen Phantasmagorie, nach dem eine Person afrikansicher Herkunft zur Synekdoche für alle anderen transformiert wird.

Panot wird nicht konkret. Sie verweist auf den allgemeinen Zusammenhang von ökologischer Katastrophe und Migration, was MM wieder halblaut kommentiert:

Das ist falsch! Das gilt nicht für die Algerier. Und die Tunesier? Es ist die Demographie.

MP greift (endlich) an:

Daran liegt es nicht! Sie stehen für das alte verkümmerte Frankreich („la France rabougrie“)!

MM kontert:

Mein Frankreich will verhindern, dass die Mädchen auf dem eigenen Boden vergewaltigt werden. Ich habe zwei Töchter. Ich will nicht, dass meinen Töchtern das Schicksal der Frauen aus den Yvelines, aus Avignon und Nizza blüht.

Es folgt ein ziemlich heftiger Wortwechsel, den MM mit einem

Auf welchem Planeten leben Sie, Madame Panot?

resümiert, ein Satz, den sie nach dem Verweis Panots auf die einst konfliktuelle französische Migrantengeschichte (Polen, Italiener) zweimal wiederholt.

Die Sequenz ist repräsentativ. Die Insoumise formuliert die großen Zusammenhänge. Dabei unterlaufen ihr Verallgemeinerungen und z.T sprunghafte Urteile, die im Frame der „Debatte“ (die Uhren mit den Redeanteilen laufen für jeden sichtbar mit) jedoch unvermeidlich sind. Die gut vorbereitete MM legt die Ungenauigkeiten fast zeitgleich offen, allerdings begünstigt durch die vom Moderator geduldete unfaire Methode des permanenten halblauten Kommentars. Sie selbst beschränkt sich auf Einzelbeipiele, die für die meisten Zuschauer nach mehreren Wochen Dauerberieselung durch die Medien Wiedererkennungswert haben. Auf die Wirklichkeit bezogen, haben sie bestenfalls „anekdotische Evidenz“. Aber sie sind „rituelle Gewohnheit“ (Fields) geworden. Ihren Wirklichkeitswert in Frage zu stellen oder statistisch zu relativieren, würde entweder als Rechtfertigung der Untaten oder gar als „antiweißer Rassismus“ interpretiert. Die historisch eingeübte Macht der anxiogenen Bilder ist stärker als die nüchternen Zahlen. Maréchal Le Pen bedient den „bon sens“ der Kleinbourgeoisie in Kollusion mit dem Medium, in dem sie agitiert. Geben wir (Benjamin Duhamel tat es leider nicht) noch einmal Barthes das Wort:

Der gute (gesunde) Menschenverstand ist der Wachhund kleinbürgerlicher Gleichsetzungen. Er verstopft alle dialektischen Ausgänge. Er definiert eine homogene Welt, in der man zuhause ist, geschützt vor der Unbill und den Fluchten der „Träume“ (verstehen Sie darunter eine nicht berechnende Sicht auf die Dinge)... Die kleinbürgerliche Mythologie impliziert diese Verweigerung der Alterität, die Negation des Differenten und exaltiert das Glück der Identität und Seinesgleichen.

Aber auch das ist ein (falsches) Glücksversprechen, das sich „die Leute“ nicht nehmen lassen wollen. Auch darum sind sie zum Beispiel für harte Immigrationsgesetze. Panot kommt in die Bredouille. Als sie völlig korrekt auf die rechtsextreme Geschichte des Ausdrucks „Français de papier“ (Maurras, Pétain) und dessen fatale Konsequenzen hinweist, reagiert MM (nach einem schnellen Blick auf ihre Aufzeichnungen) mit einem Redefluss über muslimische Schwerkriminelle: Mohammed Mérah, „der jüdische Kinder erschoss“, Youssouf Fofana Chef der der "Gang des Barbares“, Rédouane Lakdim, „der einen Gedarmen tötete“, alle drei „naturalisierte Franzosen“, seien demnach keine „Français de papier“ gewesen?

Die richtige Antwort wäre gewesen: „Nein, es waren Franzosen. Und wir müssen uns fragen, warum sie zu Mördern wurden.“ Aber MP wechselt das Register:

Madame, Sie bringen alles durcheinander.

MM lässt – natürlich – nicht locker:

Das waren Leute, die Kinder und Juden umgebracht haben!

MP erscheint perplex. MM nimmt dies – wie viele Zuschauer – wahr und triumphiert:

Man sieht, dass Sie sich nicht wohl fühlen.

Panot hebt zu einem Kurzvortrag über die französische Nation an, spricht von der Verfassung von 1793, um wieder von MM unterbrochen zu werden:

Ich rede nicht von 1793, sondern von 2023. Damals gab es noch keine massive muslimische Einwanderung.

Das wirkt wie ein Art Gnadenstoß durch den „bon sens“. Wie ist eine Situation zu erklären, in der Verweise auf wissenschaftliche Studien, die Demonstration der selektiven Wahrnehmung Maréchals (das affirmative Beschweigen der Gewalttaten Rechtsextremer) einfach abprallen? In der historische Bezüge mit der simplen verbalen Geste des „Wir-leben-heute“ weggewischt werden können. Wäre es effektiver für Panot aufzuzeigen, dass die Immigration eine Konstante der kapitalistischen Produktion ist? Die Arbeitskraftverwertung der Migranten wird offensichtlich gebraucht. 20% der französischen Arbeiterklasse sind Einwanderer der ersten Generation. Seit der Wahl Melonis hat in Italien die Immigration zugenommen. Selbst ein Orbán wirbt um philippinische und indonesische Arbeiter.

In Wirklichkeit ist die Einwanderung in Frankreich weitaus geringer als z.B. in Deutschland, Die ständig modifizierten Immigrationsgesetze – das diesjährige ist das 29te innerhalb von 40 Jahren - haben vor allem eine Funktion: einen Teil der Arbeiter zwecks erleichterter Ausbeutung in Illegalität und Prekarität und gleichzeitig alle Arbeitenden unter Druck zu halten. Das ermöglicht wiederum Ablenkung durch Diversion und Division, von der wiederum die Rechten und Rechtsextremen politisch profitieren. Und die Medien sowieso.

Manchmal klingen diese ökonomischen Zusammenhänge auch bei MP an, aber insgesamt versucht sie viel zu sehr, die Behauptungen ihres Gegenübers mit abstrakten Wahrheiten zu widerlegen. Das muss misslingen. Man kann Islamophoben so wenig wie Hexen- und Rassengläubigen ihren (absurden) Glauben nehmen. Und hätte Panot an konkreten Beispielen die Funktion des antimuslimischen Rassismus aufgezeigt, wäre der Moderator, der MMs Redefluss so gnädig laufen ließ, der Nichte Le Pens zur Hilfe gekommen. Die Arbeitswelt gehört nicht zum Thema, es sei denn, diese ist durch Migranten „bedroht“.

Die Supporter der Insoumise hatten immerhin noch die kleine Genugtuung, dass MP in einer zu kurzen Sequenz den brutalen Neoliberalismus der erzkatholischen Schlosserbin zeigen konnte. Aber das Schlusswort gehörte Marion Maréchal Le Pen:

Ich bekräftige, dass ich die Kandidatin der Polizisten und der Gendarmen bin, während Sie, Madame Panot, die Kandidatin des Abschaums („racaille“, rechte Bezeichnung für die Jugendlichen der „Viertel“) und der Islamisten sind. Ich bin die Kandidaten derer, die Frankreich, die christlichen Wurzeln und die französische Identität lieben.

1947 blickte Viktor Klemperer auf die nahe Vergangenheit zurück:

Der Nazismus glitt in Fleisch und Blut der Menge über durch die Einzelworte,die Redewendungen, die Satzformen, die er ihr in millionenfachen Wiederholungen aufzwang und die mechanisch und unbewusst übernommen wurden.

Ganz so weit sind wir noch nicht, aber offensichtlich hat der Rechtsextremismus in Frankreich die Hegemonie in bestimmten Bereichen stabilisiert. Ausdrücke, die vor einem Jahr noch öffentlich tabuisiert (und zum Teil justiziabel) waren, sind gesellschaftsfähig: „Großer Austausch“ (MM spricht vom „Phänomen Grand Echange“), „Abschaum“ („racaille“). Lieblingsbegriffe der Rechten und Extremrechten sind gängig geworden: „Identité française“, „christliche Wurzeln“, „racisme anti-blanc“ werden vom Moderator und leider auch von der Debattengegnerin hingenommen. Die großen Reaktionäre des 19. und 20. Jahrhunderts, die Barrès und Maurras, haben post mortem gesiegt. In ihrem Tagebuch von 1996 hat die Schriftstellerin Françoise Giroux hatte diesen Prozess der Faschisierung so beschrieben:

So fängt der Faschismus an. Er nennt nie seinen Namen. Er kriecht. Er schwebt. Wenn er die Nasenspitze zeigt, sagt man: Ist er's wirklich? Glauben Sie das wirklich? Man muss ja nicht gleich übertreiben! Und eines Tages hat man ihn an der Fresse und wird ihn nicht mehr los.

Post duellum.

Natürlich hat die Nationalversammlung am 19. Dezember das von der Commission mixte verschärfte Immigrationsgesetz angenommen. Und diesmal mit den Stimmen des Rassemblement national. Marine Le Pen zeigte sich amused. Viele Artikel im neuen Gesetz sind fast wörtlich ihrem letzten Wahlprogramm entnommen. Im Kampf gegen den „Immigrantenstrom“ finden Zentrum, Rechte und Rechtsextreme zur „Nation“ zusammen. Sind wir in der Post-post-Demokratie endgültig angekommen? Die CGT-Generalsekretärin Sophie Binet spricht wohl zurecht von einer “Allianz der Welt des Geldes mit der ranzigen xenophoben Ideologie der extremen Rechten“. Bleibt nur die Linke. Aber gehören diese „Antisemiten“ überhaupt noch zur Nation? Allerdings: Man muss ja nicht gleich übertreiben!

Roland Barthes, Mythologies, Paris 1957

Pierre Bourdieu, Sur la télévision, Paris 1996

Barbara J. Fields&Karen E. Fields, Racecraft, Marseille 2021 (am. 2012)

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