"Eine Art Schwindel"

Staatslügen Ein umfangreicher Sammelband über die politischen Lügen der fünften Republik kann den Leser nur wütend oder traurig machen. "Mais quels salauds!"

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Es gibt sie (noch), die Bücher, die man mit wachsender Be- und Entgeisterung liest und die man am Ende kopfschüttelnd mit einem gemurmelten „Mein Gott!“ oder auch "merde, merde, merde!“ zur Seite legt. Der Sammelband „Mensonges d'Etat“ (Staatslügen) (1) schafft dies locker. 20 Fachhistoriker und Journalisten präsentieren auf 550 Seiten eine repräsentative Auswahl der politischen Lügenwelt der fünften französischen Republik (1958 bis 202?). Den Herausgebern scheint es ähnlich gegangen zu sein wie mir. Im Schlusswort trösten sie sich und uns:

Vielleicht empfindet man nach der Lektüre eine Art Schwindel. Die Anhäufung kann den Eindruck erwecken, dass der Staat nur aus Lügen besteht. Das ist aber nicht der Fall.

Schließlich sei die fünfte Republik schon fast 70 Jahre alt (Zeit, endlich in Rente zu gehen, meinen viele). Da hat sich eine Welt von „Fällen“ angesammelt. Und in den Archiven (oder unter dem feinen Teppichboden des Präsidentenpalastes) warten sicherlich viele weitere auf ihre Enthüllung, was jedoch zu oft von einem trickigen Jorge de Burgos verhindert wird: „Désolé, secret-défense!“. Die leidgeprüften Herausgeber vertrauen trotzdem dem Klassiker Racine: „Es gibt kein Geheimnis, das die Natur nicht enthüllt“. Dies mag ein Trost sein, allerdings ein schwacher. Die Decouvrierung der Lüge findet stets nach dem (oft) großen Schaden statt, den sie angerichtet hat. Darum empfindet man als Leser nicht nur "Schwindel", sondern auch Ekel.

Schauen wir genauer hin. Die Herausgeber haben den Lügendschungel gelichtet (trotzdem ist er immer noch fast undurchdringlich) und nach Sachbereichen geordnet: die Lügen der Präsidenten, die Lügner der Präsidenten, die Lügen der Gaullisten, die Lügen im Algerienkrieg, in der Atomfrage und in den Bereichen Gesundheit, Polizei, Justiz und Finanzen. Dass sie nicht lange an spitzfindigen definitorischen Unterscheidungen zwischen Lüge, Verschweigen, Weglassungen, frechen Behauptungen und Verdrehungen aufhalten, mag Liebhaber dieser Disziplin enttäuschen. Manchen mag missfallen, dass die Lügen der Gegenwart nicht ausführlich behandelt werden, aber dies liegt in der Natur der Sache. Die Historiker verfügen einfach noch nicht über den nötigen Quellenfundus. Geduld ist die Tugend auch des Historikers. Nun zu einigen Lügengeschichte(n):

Mururoa heißt das „große Geheimnis“

Am Ende des Algerienkriegs stand die Atommacht Frankreich vor einem großen Problem. Bisher konnte sie ihre Nuklearversuche in Algerien unternehmen. Dort war 1960 die erste französische Atombombe erfolgreich gezündet worden. Und das ohne große Folgen. Schließlich war die Sahara für die Kolonialherren (fast) unbewohnt, so dass neben den paar hundert französischen Militärs „nur“ 200.000 unzivilisierte „Wüstensöhne“ und „einige“ Westafrikaner den Strahlen ausgesetzt wurden. Und die Messergebnisse mussten nicht veröffentlicht werden. Der Friedensvertrag von 1962 erlaubte allerdings die Fortführung der Versuche für „nur“ 5 weitere Jahre. Ein neues Experimentierfeld musste also her. Tatsächlich stand Korsika kurzfristig zur Diskussion (heute glaubt man es kaum). Nach einer strikt geheimen Rundreise des Generals Thiry im französischen Polynesien entschied sich der strikt geheime Verteidigungsrat schließlich für kleinere Atolle im Pazifik, Mururoa (in der indigenen Sprache bedeutet dies "großes Geheimnis") und Fangataufa. Thiry hatte als Brigadegeneral schon die Versuche in Algerien geleitet, war also ein militärischer Vater der französischen Atombombe. Nun vertraute der frisch Beförderte einem Lokalblatt in Mururoa an, er solle die Möglichkeiten eines Flughafens auf der nahen Insel Gambier eruieren. Der General war gelernter Pilot und in maritimen Dingen völlig unerfahren. Entsprechend transponierte er als Leiter des "Centre d'Expérimentation du Pacifique" (CEP) seine Erfahrungen aus der Sahara, mit dramatischen Konsequenzen für die Bevölkerung. 1964 wurde mit dem Bau der gigantischen Anlage begonnen. Dieser "Zweite Kontakt"(Renaud Meltz) der Bevölkerung mit dem Kolonialismus (den es formal nicht mehr gab) wurde zur großen Destruktion.

Der Präsident benannte es anders. De Gaulle sagte 1964 der nicht zu Unrecht irritierten Bevölkerung von Tahiti, was sie in Wahrheit wollte:

Aber ja, es ist wahr, dass Polynesien sehr gern der Sitz dieser großen Organisation wurde.

Dass die Entscheider wussten, dass der "little rain" nach der Atomexplosion schwer kontaminiert war, zeigen ihre archivierten Bemerkungen im geheimen Verteidigungsrat. Seit kurzem sind einige (!) von ihnen für einige (!) Historiker zugänglich. Außenminister Couve de Murville:

Es gibt kein Problem. Es ist halt genauso wie auf den Christmasinseln.

General Thiry:

Die Amerikaner waren auf Bikini und Eniwetok in derselben Situation, sie waren umgeben von bewohnten Atollen, die übrigens durch die Explosionen kontaminiert wurden.

Ja, dann... General Thiry war umsichtig. Er beauftragte sogar den französischen Geheimdienst, in den USA „jede Dokumentation über die nuklear bedingte Kontamination der Vegetation und der Fische“ zu „akquirieren“. Militärärzte warnten zwar vor genetischen Risiken der Polynesier. Aber Thiry war sich trotzdem sicher. In seiner „technik-szientifistischen Arroganz glaubte er sogar seinen eigenen Lügen“, so Renaud Meltz. Der General legte fest:

Gelegentlich der nuklearen Experimente in der Sahara, hat die Armee sehr zufriedenstellende prognostische Methoden entwickelt.

1963 kam er in einem geheimen Dokument zum Schluss:

Keine Kontamination durch ein radioaktives Produkt ist zu befürchten, weder extern noch intern.

Ein Jahr später argumentiert er mit (heute unerträglicher) Leichtigkeit:

Die Anwesenheit von 500 Bewohnern auf dem Archipel von Gambier ist ein gewisses Problem... Doch für die erste Kampagne müssen wir uns keine großen Sorgen um die Gambiers machen. Später müssen wir eine temporäre Evakuierung von 3 Wochen in Betracht ziehen.

Bis 1996 sollten 45 atmosphärische und - ab 1975 - 148 unterirdische atomare Explosionen ausgelöst werden. Nur einmal wurde die Bevölkerung evakuiert. Thiry verzögerte sogar den Bau von Schutzunterkünften. Wofür auch?

Es geschah, was geschehen musste. Am 2. Juli 1966 wurde die Bombe „Aldébaran“ gezündet, allerdings einen Tag später als geplant. Aufgrund der geänderten Wetterverhältnisse wurde der Kopf des Atompilzes über das Gambier-Archipel geweht. Der lokale Hauptmann informierte das Oberkommando:

Mangareva signalisiert 10mrd/pro Stunde... Muss man den Konsum der Lebensmittel, des Wassers und den Fischfang einschränken?

Die Marine war einsatzbereit. Ihr Forschungsschiff „La Coquille“ hielt sich zwar 48 Stunden entfernt auf, der Flugzeugträger „Foch“ hätte jedoch die evakuierten Menschen aufnehmen können. Auf dem Kreuzer „De Grasse“ hatte der oberkommandierende Admiral Lorain den Berater De Gaulles Foccart zu Gast („l'éminence grise"), der seinerseits seinem Chef den Erfolg der Atombombenzündung kommunizieren wollte. Er zeigte dem allmächtigen Gast gerade den Maschinenraum. Der Kommandant der „Foch“ beruhigte schließlich den Hauptmann in Gambier:

Keine Einschränkung Nahrung, keine Einschränkung Wasser und Fischerei.

Außerdem befahl er:

Angesichts des erreichten radioaktiven Niveaus, keine systematische Dekontaminierung.

Die „Coquille“ hatte inzwischen den Norden von Mangareva erreicht. Ihre Messungen ergaben extrem hohe Dosen im Plankton und Meereswasser. Die Bevölkerung wurde nicht evakuiert, sie hatte keinen Schutz, dafür aber das „Glück“, nicht informiert worden zu sein. Viele Polynesier wurden bei der Verhaldung der radioaktiven Abfälle beschäftigt. In der Folgezeit gelangten fast Jahr für Jahr etwa 20 Gigabecquerel radioaktives Plutonium-239 in den Ozean. Über Verwüstungen, Krankheit und frrühen Krebstod wurde kaum berichtet, dafür gab es Jubelberichte über den ökonomischen (Schein-)Aufschwung des Archipels. Vor allem über die zahlreichen Arbeitsplätze für die Polynesier. „Aldébrane“ sollte allerdings einen Nachfolger finden. 1974 schätzten die Fachleute die Wetterbedingungen wieder einmal falsch ein. Der Fallout der Bombe „Centaure“ gelangte aufgrund der Windrichtung bis ins 1.200 km entfernte Tahiti.

Admiral Lorain teilte zwar noch im Juli 1966 zwei Inspektoren die wahren Zahlen mit, fand es aber weiterhin notwendig, über die Sache zu schweigen. „Secret-défense“! Der übliche Weg also, vom Geheimnis zur Lüge, von der Lüge zum Schweigen. Und das kollektive Beschweigen kittet die Entscheider zusammen. Man lügt sozusagen aus "Staatsraison". Und garniert sein Gewissen rassistisch-kolonialistisch. Gelernt ist gelernt.

Aufsehen erregte jedoch die Affäre der „Rainbow Warrior“. Vor seinem Aufbruch in Richtung Mururoa-Archipel im Juli 1985 wurde das Greepeace-Schiff in Auckland versenkt. Ein Fotograf velor dabei sein Leben. Der französische Geheimdienst hatte 3 Teams eingesetzt: die Materialträger, die Materialüberbringer und die Materialanbringer. Allerdings gelang es der neuseeländischen Polizei schnell, die Terroristen der ersten beiden Teams zu verhaften. Es seien "ausländische Elemente", sagte der neuseeländische Ministerpräsident.

Der französische Ministerpräsident Laurent Fabius (heute Vorsitzender des Verfassungsrates) und sein Verteidigungsminister wiesen den Verdacht weit von sich. Der Geheimdienst habe das Schiff nur überwacht. Mit dem (entkommenen) dritten Team habe man nichts zu tun. Der Presse wurden bestimmte „Rapports“ zugesteckt, nach denen die Briten, aber auch die Russen oder rechtsextreme Neukaledonier die Übeltäter waren. Kurioserweise brachten Konkurrenzkämpfe im Ministerkabinett die Wahrheit ans Licht. Ein hoher Beamter (eine „sichere Quelle“) informierte den Investigativjournalisten Edwy Plenel. Jedenfalls musste der Verteidigungsminister seinen Chapeau nehmen. Heute weiß man, dass das "grüne Licht" für die Operation aus dem Präsidentenpalast gekommen war.

Gardanne, das "fruchtbare Land"

Verlassen wir den nuklearen Lügenozean (über den noch so viel zu berichten wäre). Es gibt ja noch die „normalen“ Umweltlügen. In Gardanne (etymologisch wohl eine germano-lateinische Mélange, die „fruchtbares Land“ bedeutet), ein malerisch zwischen Marseille und Aix-en-Provence gelegenes Städtchen, verarbeitet das Unternehmen „Alteo-Gardanne“ seit über hundert Jahren „rote Erde“, Bauxit. Sie hat einen wunderbaren Internetauftritt:

A FRENCH COMPANY,
A GLOBAL LEADER

A worldwide leader in the production of specialty aluminas, Alteo is a French industry whose head office is located between Marseille and Aix-en-Provence.

Committed to a strategy of sustainable growth, Alteo is developing high-value products while continuously and sustainably improving its environmental performance.

Dass „Alteo“ so umweltverliebt ist, hat natürlich Gründe. Bei der Produltion von Aluminin fallen Unmengen von hochtoxischem „Rotschlamm“ an. Früher, als die Firma noch „Péchiney“ hieß, hatte sie das Recht, diese Rotschlamm auf Kippen in den umliegenden Hügeln zu entsorgen. Das ging in der fortschrittlichen Fünften Republik gar nicht mehr. Man war auf der technischen Höhe der Zeit: eine Pipeline musste her, die den Mist in den 1000 bis 2000 Meter tiefen Mittelmeergraben von Cassidaigne führte, 7 km vor der schönen Stadt Cassis. Deren Lokalpolitiker protestierten, und Péchiney konterte mit Expertisen, dem know how von Werbeagenturen und der Staatsmacht. Das Institut für maritime Fischerei und der berühmte TV-Meeresforscher Kommandant Cousteau persönlich verkündeten, dass es kein biologisches Risiko gäbe. Industrielle und Bergwerkingenieure wiesen sogar den Ausdruck „Rotschlamm“ zurück. Der richtige Term wäre „träge Restbestände“.

Präsident Georges Pompidou verlieh Pipeline ihre "öffentliche Nützlichkeit", also Systemrelevanz, und wies die kritischen Anfragen der Lokalpolitiker und Assoziationen präsidial zurück. Die „Boues rouges“ seien nur harmlose Reste. Jede Besorgnis sei irrational oder aber - man hört noch heute den Unterton – parteilich. So war es nur konsequent, dass die Direktion der Abteilung „Verhinderung der Umweltverschmutzung“ des Innenministers 1970 entschied, Péchinay von jeglicher Umweltgebühr zu befreien. Die Firma war schließlich kein „pollueur-payeur“. Bei der Erarbeitung der „Konvention von Barcelona“ (1976), die die Verseuchung des Mittelmeer reduzieren sollte, erhielt Frankreich eine Ausnahme. Welche wohl? Bis dahin gab es übrigens keine ernsthafte Expertise, was denn da durch die Pipeline fließt.

Erst 1995 versuchte die Umweltministerin Corinne Lepage die Ausnahmegenehmigung zurückzunehmen. Péchiney konterte locker mit dem Arbeitsplatzargument. Resultat: die Genehmigung wurde bis 2015 verlängert. Aber immerhin wusste man mittlerweile, dass in 30 Jahren 24 Millionen Tonnen Rotschlamm ins Meer gelangt waren. Selbst nach der Modernisierung der Firma in den 2010er Jahren wurden noch jährlich 180.000 Tonnen, d.h. jeden Tag 5 Kilo Arsen (!) und Schwermetalle wie Titan und Vanadium ins schöne Mare nostrum gepumpt. Allerdings wuchs nach der Errichtung des Nationalparks „les Calanques“ der Druck auf „Alteo“, vor allem durch die Umweltministerin Ségolène Royal. Aber es gibt ja noch andere Politiker: wegen seiner strategischen Bedeutung (Digitalisierung!) erhielt das Unternehmen 2015 durch Vermittlung des Ministerpräsidenten Valls einen weiteren Aufschub von 5 Jahren. Man weiß bis heute nicht, warum der Direktor des Nationalparks seine Zustimmung gegeben hat. Mittlerweile beutet die Firma kein Bauxit mehr aus. Immerhin. Aber die Erbschaft des Rotschlamms bleibt, in den Hügeln um Gardanne und im Mittelmeer. Es sind halt „träge Restbestände“.

„Können diese Augen lügen?“

fragte DIE ZEIT während ihrer Kampagne für den damaligen Kandidaten Macron. Und ob, Herr Knopp! Er macht es elegant, anders als seine „Playmobile“ (wie die Opposition die KriegerInnen der Macronie gerne nennen). Aber er ist nicht der erste Lügner im Elysée (manche sagen übrigens, er ist eine einzige Lüge). Zum Ende der Lügengeschichten, quasi als Dessert, ein kleines präsidentiale s Bouquet aus der Lügenküche:

Der erste Präsident der Fünften Republik, auf den die ganze Verfassung zugeschnitten war (und deren undemokratischen Elemente der Macronie noch heute das Herrschen leicht machen), Charles de Gaulle, war ein sparsamer Lügner. Er verabreichte „patriotische Lügen“. So die Lüge, dass Paris sich 1944 selbst befreit habe, was nicht ganz falsch ist, aber auf keinen Fall richtig. Bei De Gaulles Nachfolger Pompidou ging es eher um die Gesundheit. Der Präsident war schwer erkrankt. Jeder wusste es, aber trotzdem hatte er manchmal nur etwas Fieber. Giscard d'Estaing war ein ganz anderes Kaliber. Seine Liebe zu Afrika wurde sein Verhängnis. Im November 1979 veröffentlichte das Enthüllungsblatt „Le Canard enchaîné“ eine Anweisung des zentralafrikanischen Diktators Bokassa an sein Rechnungsamt (April 1973):

Bitte übergeben Sie … der Sekretärin des Präsidenten der Republik eine Plakette von ungef. 3O Karat, adressiert an Monsieur Giscard d'Estaing, Finanzminister der Französischen Republik.

Der Chefredakteur des "Canard" insinuierte gar, dass die militärischen Interventionen Frankreichs in Zentralafrika dem Zweck gedient hätten, die Privatarchive Bokassas zu aquirieren. Jedenfalls kamen immer mehr Details an die Öffentlichkeit. Die Plakette sei 1 Million Francs wert gewesen. Giscard und seine Brüder hätten weitere Diamanten erhalten. Der Beschuldigte schwieg zunächst obstinat, um dann doch zu erklären, der Wert der Diamanten sei geringer als angegeben. Der Ton war aristokratisch:

Dem Wert dessen, was ich geschenkt bekommen habe, setze ich ein entschiedenes und verachtendes Dementi entgegen.

Wie auch immer. Giscard war angeschlagen. 1981 unterlag er dem Sozialisten Mitterand. Der entschied sich für die Geste, sein Vermögen öffentlich zu machen... und vergaß sein Haus ium noblen Gordes (Provence) und auch sein Gesamtvermögen: 12 Millionen hatte ein Sozialist einfach nicht zu besitzen. Bei seiner Wiederwahl 1988 wusste er von seiner schweren Krankheit. Sein Arzt berichtet:

Was soll ich Danielle sagen?“ Die Antwort kam wie das Fallbeil der Guillotine: Nichts“.

Wen soll ich informieren? Wer kann mir in Ihrer famlialen Umgebung helfen? - Niemand“.

Mitterands Nachfolger Jacques Chirac ist nicht umsonst zum legendären „Supermenteur“ (Superlügner) einer satirischen TV-Puppenserie geworden. Auch seine immobilen und mobilen Besitztümer verloren mirakulöserweise bei Dienstantritt ihren Wert. Aber halten wir uns nicht zu lange bei Chirac auf. Dessen Nachfolger Sarkozy ist für den Journalisten Renaud Lecadre „der größte Lügenschwätzer der Fünften Republik“, obwohl er nur 5 Jahre Präsident war. Nur zwei eher harmlose Beispiele : Sarkozy hatte 2007 versprochen, im Fall seiner Wahl sich erst einmal in ein Kloster zurückzuziehen, um in sich zu gehen. In Wirklichkeit feierte er mit „Bling-Bling-Kollegen“ im „Fouquet's“ und verbrachte seine Ferien auf der Yacht des Milliardäres und Medienmoguls Bolloré. 2014, im Wettbewerb um den Vorsitz der rechten UMP (später Les Républicains) behauptete er, der einstige sozialistische Präsidentschaftskandidat Jospin habe einer Frau, die in der Metro Angst habe gesagt: „Madame, Sie haben keine Angst, Sie haben nur den Eindruck, Angst zu haben.“ Was Jospin - natürlich - nie gesagt hatte. Dazu Lecadre:

Eine reine Lüge, eine ausgearbeitete affinierte Pseudo-Anekdote, die von Meeting zu Meeting wiederholt wurde.

Übergehen wir Hollande (ja, auch der Langweiler hat gelogen) und warten wir, ab, was die Historiker noch über Macron finden werden.

Ich wünsche dem Buch eine baldige Übersetzung und einen "Cousin germain", der über die Staatslügen der BRD berichtet.Es ist nicht nur anekdotisch, sondern zeigt die Bedingungen der Lüge, das soziale Geflecht, in dem sie gedeihen, aber auch die großen Schäden, die sie anrichten. Wie wichtig eine gewisse Lügen-Resilienz ist, zeigt die Aktualität zur Genüge. Wir sehen tagtäglich, dass, wie die Herausgeber schreiben, "die Staatslüge den Frieden bricht und den Krieg begünstigt."

Sie entwickeln am Ende eine Art kategorischen Imperativ gegen die politische Lüge:

Es kann Situationen geben, die eine politische Lüge rechtfertigen, aber nur wenn dies provisorisch geschieht und den politischen Führer ein einfaches Kriterium leitet: „Wenn diese Lüge, die ich nun begehen werde, den Franzosen enthüllt wird, in einem Monat oder einem Jahr, werden sie mir die Lüge übel nehmen?“ Das setzt aber eine fordernde Öffentlichkeit voraus... Ein freies Land ist ein Land, das sich nicht anlügt.

Ich möchte ergänzen: Voraussetzung für dieses "freie Land" ist eine sechste Republik, die den Regierenden das Lügen erschwert. Schließlich sind nicht alle PolitikerInnen so bewundernswert ehrlich wie die erste Regierungssprecherin Macrons, Sibeth Ndaye:

Ich stehe voll zu meinen Lügen, wenn es gilt, meinen Präsidenten zu schützen.

(1) Yvonnick Denoel/Renaud Meltz, Mensonges d'Etat. Une autre histoire de la Ve République. Paris 2023 (Nouveau Monde Editions)

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