Wenn wir mit der Mine kuscheln...

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Wir gehen harten Zeiten entgegen und sollten uns warm anziehen, sehr warm. Vor einigen Monaten berichtete meine hassgeliebte Regionalzeitung von einer "lebensechten" Amokübung für Lehrer an Problemschulen. Rauch auf den Fluren, verrammelte Türen, gellende Schreie und eine blutende Leiche auf dem PC-Boden. Die Lehrer kreidebleich - sowieso. Heuer unterhält uns das Journal mit der zweiteiligen Reportage einer jungen hübschen Journalistin oder Volontärin mit dem Titel: "Trainieren für den blutigen Ernst". Sie hat sich nämlich für ein Survivaltraining an der Bundeswehrkaserne Hammelburg (Bayern) "embedden" lassen. Drei Tode sei sie in einer Woche gestorben, schreibt sie: von einem Sniper ins Herz geschossen, von einer Autobombe in Stücke gerissen und mittels einer Mine zerfetzt. Der dreifältige Tod ereignete sich allerdings nicht in Bayern, sondern in einer simulierten Krisenregion, von der Bundeswehr "Rhönland" genannt (also nicht "Russland" oder "Rotland", der Kalte Krieg ist schließlich vorbei).

In diesem Krisengebiet sei es zu Unruhen gekommen. Paramilitärs und Banden treiben dort ihr Unwesen. Der Coach der "Guten" ist ein alter Haudegen: Tja , sagt er angesichts einer "Toten",..., sie hat mit der Mine gekuschelt, jetzt seid ihr alle erledigt. Frei nach Motto:Rumpel-die-pumpel-weg-sind-die-Kumpel. Haben wir gelacht. Ein wirklich erfahrener Coach: Merkt euch: Ob groß, ob klein, nur die Straße ist fein. Die Reporterin beschreibt in naturalistischer Manier, wie sie hilflos einen Halbtoten verbluten lässt. Der Sanitäter schreit: Die Faust. Stecken Sie die in die Wunde! Ich bin richtig gespannt auf die morgige Ausgabe: Die Schöne und Zarte wird als Geisel genommen und hoffentlich befreit werden. Von wem nur?

Das hätte sich Old Baudrillard nicht träumen lassen: Die Simulation "erscheint" nicht mehr echt, sie "ist" es! Authenical Simulation by Embedding. Da tut sich ein ganz neues Feld auf. Vergesst die flauen Computerspiele! Geht auf den ASE-Markt! Be fit for the future! Profite werden generiert, Arbeitsplätze geschaffen - warum nicht in Public Private Partnership?

PISA lehrt aber eins: Wir müssen früh anfangen. So können zum Beispiel Kleinkinder im Internet, besser aber im Internat durch Kontakt mit echten erfahrenen Geistlichen gestählt werden, natürlich betreut von Psychologen, die ihrerseits ihre Implementierungen im interkonfessionellen Camp "Clash of Civilisations" erfahren haben. Straffällige Jugendliche werden drei Wochen sich selber überlassen, und Studienräte bilden sich im "Ultimate Fighting" fort. Alles wird medial aufbereitet und vermarktet. Wahrscheinlich wird die Nachfrage nach den bisher beliebten HARTZ-IV-Kochkursen mit Sarrazin schwächer, da sie zu softig sind, dafür aber werden sich die Kurse "Zwei Wochen in Burkas" gerade im Managersegment sehr gut verkaufen (vor allem im deutsch-schweizerischen Grenzbereich).

Wirtschaftsführer werden sich vom "Simulationskommando 17. Juni" (die haben irgendetwas falsch verstanden) entführen lassen. Und selbst Olaf Henkel rafft sich noch einmal auf und lässt sich mitten in der Anne-Will-Reality-Show von einem (BILD-gesponserten) FAF-Kommando ("Faule-Arbeitslosen-Fraktion") kidnappen. Allerdings steht pannenbedingt schon einen Tag vorher sein Erpresserfoto im Blatt: Henkel hält die Bild in den gefesselten Händen, hinter ihm ein Vermummter mit Hansa-Pils.

Doch dann geht's los. Während der Innenminister im australischen Camp "Fight VERDI" gehärtet wird, setzt Westerwelle, gerade aus der Simulationsreality "Ich als dekadenter Römer" zurückgekommen, zur Befreiung Henkels tatsächlich die GSG 9 ein. Und die simuliert bekanntlich nicht gerne.

Die simulierte Wirklichkeit wird wirkliche Realität. Und die Arbeitslosen schießen zurück. Und nicht nur die. Baudrillard grinst diabolisch im postmodernen Himmel - und wir sind "rumpel-die-pumpel" auf einmal alle in "Rhönland". Und "Rhönland" ist überall. Und tatsächlich: wirklich. Gut, dass wir vorbereitet sind.

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