In naher Zukunft

Atomwaffen Zum internationalen Tag gegen Atomtests

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Vor genau 70 Jahren zündete die Sowjetunion ihre erste Atombombe, um mit den USA in ein nukleares Wettrüsten zu treten, das bis heute nicht beendet ist. Vier Jahre zuvor hatten die USA drei „Atomtests“ durchgeführt: einen in der neu-mexikanischen Wüste und zwei Atombombenabwürfe auf die japanische Zivilbevölkerung, in Hiroshima und Nagasaki. Es folgten mehr als 2.000 Atomtests, ein Viertel davon oberirdisch, mit massiven Folgen für Umwelt und Gesundheit.

30 Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer, dem Symbol des Kalten Krieges, sind wir immer noch gefangen in der Logik der nuklearen Abschreckung. Vor 51 Jahren verpflichteten sich die USA und die Sowjetunion im Atomwaffensperrvertrag, das Wettrüsten „in naher Zukunft“ zu beenden. 1991 waren wir diesem Ziel sehr nah, als die beiden Staaten entschieden, ihre nuklearen Arsenale mit dem ersten START-Vertrag zu reduzieren, statt weiter auszubauen. Doch heute haben beide Staaten wieder massive Aufrüstungsprogramme aufgelegt, die bereits unter dem Deckmantel der „Modernisierung“ unter Obama und Medwedew/Putin begonnen wurden. Durch die neue Atomwaffenpolitik von Donald Trump kommen neue Atomwaffen hinzu. Putin zieht nach, denn die russische Atomwaffenpolitik hat zum Ziel, mit den USA Parität zu halten.

Manche behaupten nach wie vor, dass Atomwaffen den Frieden in Europa bewahren würden.

Aber in Wirklichkeit haben Atomwaffen den Frieden stets bedroht und nur aufgrund diplomatischer Erfolge konnten wir seit Ende des Kalten Krieges nachts wieder ruhig schlafen. Heute stehen wir vor den Trümmern der Eckpfeiler der europäischen Sicherheit, die aus einer Reihe von Abkommen bestanden.

Die Kündigung des ABM-Vertrages im Jahr 2001 erlaubte den USA die Stationierung einer Raketenabwehr, die für Russland eine Bedrohung der strategischen Stabilität bedeutet. Seitdem arbeitet Russland an neuen Waffentypen, die dieses Raketenabwehrsystem überwinden können.

Am 2. August 2019 wurde schließlich der INF-Vertrag zu Grabe getragen, der seit 1987 die Stationierung von landgestützten Mittelstreckenraketen in Europa verboten hat. Damit ist beiden Staaten das Testen neuer Raketen wieder erlaubt. Was die Russen am 8. August getestet haben, wissen wir noch nicht, doch der Test hat mehreren Menschen das Leben gekostet und weitere verletzt. Zudem wurde Radioaktivität in unbekannter Menge freigesetzt. Zehn Tage später schossen die USA eine Cruise Missile mit einer Reichweite ab, die unter dem INF-Vertrag verboten war. Als Startvorrichtung diente die Anlage Mk41, die die USA in Rumänien und Polen als Raketenabwehr stationiert haben. Das System, das Russland als „offensiv“ kritisierte und die USA nur als defensiv bezeichneten, wurde bei diesem Test also doch offensiv verwendet. Hatte Putin also Recht, als der den USA die Verletzung des INF-Vertrages vorwarf?

Und der dritte Eckpfeiler des Friedens in Europa ist der Neue START-Vertrag von 2010. Er läuft 2021 aus. Schon jetzt deuten die Äußerungen aus der Trump-Administration darauf hin, dass auch dieses Abkommen bald Makulatur sein wird. Vorbedingungen für die Erweiterung des Vertrages, die unmöglich zu realisieren sind, werden auch zum Ende dieses Vertrages führen – z.B. soll China auch Vertragspartei werden, obwohl sie weniger als ein Zwanzigstel der US-Atomwaffen besitzen.

Das vierte Abkommen, vielleicht die wichtigste Sperre gegen das Wettrüsten, ist der umfassende Atomteststoppvertrag. Vor 23 Jahren verabschiedet (nach über 20 Jahren Verhandlungen), ist der Atomteststoppvertrag bis heute nicht in Kraft getreten. Bill Clinton hatte den Vertrag zwar 1996 unterzeichnet, aber der damalige republikanisch-dominierte US-Kongress votierte gegen eine Ratifizierung. Ohne die Ratifizierung der USA wird es schwierig, die Atomwaffenstaaten China, Indien, Israel, Nordkorea oder Pakistan zu bewegen, dem Vertrag ebenfalls beizutreten. Nach einer Reihe Atomtests in Indien und Pakistan im Jahr 1998 hat nur noch Nordkorea Atomwaffen getestet. Sonst haben sich alle Staaten an ein freiwilliges Moratorium gehalten. Seitdem ist es der Organisation für die Umsetzung des Vertrages (CTBTO) gelungen, ein weltweites Netzwerk von 300 Messstationen einzurichten, die seismischen Aktivitäten und das Freisetzen von radioaktiven Isotopen möglicher Atomtests aufzuspüren. Russland ist Vertragspartei und hat solche Anlagen installiert. Aber kurz nach dem Raketentest am 8. August sind die zwei Messstationen in der Nähe des Testgeländes aus unbekannten Gründen offline gegangen. „None of your business“, erklärte ein Sprecher der russischen Regierung, als er gefragt wurde, was da los sei.

Die USA arbeitet jetzt daran, das alte Atomtestgelände in Nevada wieder testbereit zu machen. Im Mai dieses Jahres sagte Lt. Gen. Robert Ashley, Direktor der Defence Intelligence Agency der USA, dass sich Russland „wahrscheinlich nicht an das Atomtestmoratorium im Sinne von Atomexplosionen mit Null Sprengkraft hält“. Dieser Vorwurf könnte – ähnlich wie beim INF-Vertrag – den Weg zur Wiederaufnahme der Atomtests in den USA zu ebnen versuchen.

Die Menschheit hat den Kalten Krieg nur mit Glück überlebt. Mindestens zehn Mal sind wir bekanntlich an einer atomaren Apokalypse vorbeigeschrammt. Nur als Beispiel, die drei bekanntesten Fällen: 1962 in der Kubakrise und zweimal im Jahr 1983, im September bei einem Fehlalarm in der Sowjetunion, als Stanislaw Petrow gegen die vorgesehene Befehlskette handelte und damit die Welt rettete sowie im November während der NATO-Übung „Able Archer“. Alle diese Geschichten zeigen Glück oder Mut von einzelnen Menschen. Werden wir weiterhin so viel Glück haben, wenn das Wettrüsten wieder richtig in Gange kommt?

Heute tritt Kasachstan dem UN-Vertrag zum Verbot von Atomwaffen bei. Das ist kein Zufall. Der internationale Tag gegen Atomtests wurde vor zehn Jahren von Kasachstan angeregt, weil das Land aufgrund der sowjetischen Atomtests unglaubliches Leid zu verzeichnen hat. Wer mehr darüber erfahren will, sollte sich den TED-Talk von Togzhan Kassenova anschauen.

Der Vertrag zum Verbot von Atomwaffen wird drei Monate nach dem Beitritt des 50. Staates in Kraft treten. Bisher gibt es 26 Vertragsparteien und eine Reihe von weiteren Staaten befinden sich im Prozess der Ratifizierung. Wenn wir das Wettrüsten in naher Zukunft beenden wollen, müssen wir uns aus der Logik der nuklearen Abschreckung befreien, in dem wir uns für das weltweite Verbot von Atomwaffen einsetzen. Der Landtag in Rheinland-Pfalz – das deutsche Bundesland, in dem US-Atomwaffen stationiert sind - hat es erkannt und sich am 22. August 2019 für einen deutschen Beitritt des Verbotsvertrags ausgesprochen. Ministerpräsidentin Malu Dreyer steht voll hinter dieser Forderung. Die Stadtstaaten Bremen und Berlin sind ebenfalls bereits mit gutem Beispiel vorangegangen. Auch 46 deutsche Städte rufen die Bundesregierung zum Beitritt zum Atomwaffenverbot auf. Über 91% der Deutschen wollen den Beitritt laut einer Greenpeace-Umfrage ebenfalls. Worauf warten wir eigentlich noch? Muss wie in Fukushima erst eine Katastrophe geschehen, bevor die Kanzlerin erkennt, was alle anderen hierzulande schon längst verstanden haben?

Atomwaffen gehören der Geschichte an. In naher Zukunft.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

xanth

Ich bin Geschäftsleiterin der IPPNW sowie Vorstandsmitglied der International Campaign to Abolish Nuclear weapons (ICAN) - Deutschland.

xanth

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden