Sie spielen mit dem Faschismus!

eurogroupgames Es geht eben nicht nur um den Euro, die EU, den Zusammenhalt in Europa, das Wohl der Nordeuropäischen Steuerzahler*innen oder die humanitäre Situation in Griechenland.

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Es ist weitaus gefährlicher, als Sebastian Puschner in seinem Artikel im Freitag vor zwei Tagen festgestellt hat. Sie spielen nicht nur mit der EU und den ganzen oben genannten Verhältnissen, nein, sie spielen mit dem Faschismus. Eine zentrale These dort ist richtig, es gehe um die Verteidigung des neoliberalen Prinzips, noch schöner herausgearbeitet von Tom Strohschneider im nd. Beide argumentieren mit einem blog-Artikel von Paul Krugmann. Mir erscheint sein Meinungsbeitrag in der NY Times weitaus relevanter. Dort sagt Krugmann sinngemäß, jetzt Griechenland den Stecker zu ziehen, würde enorme Risiken bergen, nicht nur für die Wirtschaft sondern für das gesamte europäische Projekt, […] jenseits dessen könnte ein Chaos in Griechenland die unheimlichen, politischen Kräfte bestärken, die an Einfluss gewännen, indem Europas zweite große Depression immer weiter ginge. Mit folgendem Verweis auf die Bedrohung durch neo-nazistische Parteien und Bewegungen, wie sie der griechische Finanzminister Gianis Varoufakis in der Pressekonferenz (ab 22:10) nach seinem ersten Treffen mit Schäuble verdeutlichte. Aber nochmal von vorne, um auch meine Meinung transparent zu machen.

Sie setzen alles auf eine Karte. Merkel und Schäuble sind die wahren Zocker im sogenannten Schuldenstreit mit Griechenlands neuer Regierung. Wer dabei sowohl demokratiefeindliche Thesen propagiert, indem er sagt, ihm täten die Griech*innen leid, weil sie sich eine Regierung gewählt haben, die sich verantwortungslos verhielte , als auch noch die Dreistigkeit besitzt, zu behaupten, Griechenland habe in den vergangenen Jahren erhebliche Fortschritte gemacht, dem kann wohl nur noch ideologische Verblendung attestiert werden. Das Schäuble auf den Hinweis von Varoufakis, im Reformprogramm fehlten entscheidende Regeln gegen Korruption überhaupt nicht eingeht, verwundert wohl kaum.

Merkel und Schäuble vertreten vordergründig die Interessen der deutschen Steuerzahlenden respektive Wählerschaft, um ihren Machterhalt abzusichern. Sie wiederholen immer noch gebetsmühlenartig, dass es keine Alternative zur Austeritätspolitik gäbe. Und sie erdreisten sich auch noch – entgegen aller Kennzahlen - zu behaupten, diese Politik wäre erfolgreich, obwohl längst auch beim IWF anderes zu Tage trat - wenngleich es dort folgenlos blieb. Getreu dem Motto einer deutschen Vorgängerregierung, man müsse eine Lüge nur oft genug wiederholen, damit sie wahr würde. Einige der dramatischen Zahlen finden sich in einem Aufruf einiger kritischer Intellektueller. Wichtiger erscheint mir noch die Argumentation des griechischen Finanzministers. Er sagte in seinem Gastbeitrag in der NY Times, dass ihre roten Linien (also einige Austeritätsmaßnahmen nicht weiterzuführen) in den Verhandlungen richtig seien, sähen sie, wenn sie in die Augen der Hungernden in den Straßen ihrer Städte blickten. Und zuletzt, sie sind an der Regierung, weil diese Politik von den Griech*innen abgewählt wurde.

Dass die Eurogruppe um Schäuble gerade mal drei Wochen nach der Amtsübernahme statthafte Alternativprogramme verlangt, und genausowenig wie die Medien die gewöhnliche, demokratische Schonfrist einräumen, zeugt von dem absoluten Willen, diese erste europäische Regierung seit Beginn des Thatcherismus zu zerstören, welche ernsthaft die neoliberale Mär der Alternativlosigkeit zu widerlegen angetreten ist. Das wird in der erneuten Ablehnung des Antrags der griechischen Regierung auf Verlängerung des Programms deutlich, indem das Finanzministerium einfach behauptet, die Anforderungen des Programms wären darin nicht erfüllt, obwohl dort von Griechenland die Inhalte des bestehenden Programms als bindend anerkannt werden. Und vor allem haben Merkel und Schäuble und die anderen europäischen, hörigen Regierungen Angst um ihre eigene Zukunft. Angst vor Wähler*innen, welche diese phrasendreschenden, verwaltenden Opportunisten satt haben und statt diesen Parteien und Politiker*innen wählen, die sagen, was sie meinen und machen, was sie versprechen. Das Syriza genau das durchhält, soll unter allen Umständen und trotz aller Risiken verhindert werden.

Zurück zum Faschismus. Es geht dabei weder darum, dass in Griechenland während der deutschen Nazi-Besatzung eineviertelmillionen Menschen starben, noch dass mit Chrysi Avgi – der goldenen Morgenröte – bereits jetzt eine Neo-Nazi-Partei drittstärkste Kraft im griechischen Paralament ist. Oder dass, wenn Syriza scheitert, Chrysi Avgi profitiert, wie selbst die konservative Journalistin Xenia Kounalaki festhält. Selbst wenn sich diese Tage doch noch auf eine Verlängerung geeinigt wird, bleibt die Gefahr bestehen. Die sogenannte Morgenröte hat es nämlich in den letzten Jahren verstanden, sich durch Wohlfahrtsmaßnahmen, wie kostenlose Essensausgabe – selbstverständlich nur für Griech*innen, nachhaltige Rückendeckung in Teilen der Bevölkerung zu erarbeiten. Es ist also nicht blos eine rechtsradikale Partei am Werk, sondern gleichsam Bewegung und Wohlfahrtsorganisation. Das hat Syriza, die ja selbst als Strömungs-Partei stark aus sozialen Bewegungen hervorgegangen ist, weitestgehend versäumt, eher noch scheinen sie Kräfte absorbiert zu haben.

Und wenn denn also – vorausgesetzt eines Übergangprogramms – die Regierung doch noch Ernst machen kann mit einem Angriff auf die griechischen Oligarchen? Was wäre wohl, wenn jene dann diese faschistische Bewegung finanziell unterstützen würde, mit weit aus weniger, als sie eventuell durch Maßnahmen der Regierung verlieren könnten? Wenn sie eine nationalistisch-reaktionäre Wohlfahrtspolitik jenseits des Staates etablieren würden? Ist nicht die NSDAP erst durch die Unterstützung deutscher Industrieller an die Macht gekommen?

Faschismus ist eine Spielart des Kapitalismus. Wenn der Kapitalismus in einer Krise steckt, setzt der Faschismus diesen mit autoritären Mitteln weiter durch. Dies wiederum auf Merkel und Schäuble zu beziehen, ginge wohl zu weit. Allerdings spielen die beiden genau dieses Spiel, wenn ihnen wohlwollend auch zu Unterstellen sei, dass sie es unbewusst spielen. Oft etablierten sich faschistoide Systeme nach gescheiterten Umbrüchen von links. Müssten wir also nicht alles daran setzen, dass dies in Griechenland nicht der Fall sein wird? „Wer aber vom Kapitalismus nicht reden will, sollte auch vom Faschismus schweigen“, konstatierte einst Max Horkheimer am Vorabend des zweiten Weltkriegs.

Lasst uns angesichts der humanitären Verhältnisse im europäischen wie globalen Süden, angesichts der sich stetig verftiefenden sozialen Spaltung, angesichts der explodierenden Staatsverschuldung und der militärischen Konflikte endlich über die Krise des Kapitalismus und dessen Überwindung reden, satt weiterhin Scheinkonflikte zu debattieren. Und lasst uns auch in Deutschland Haltung zeigen und Position beziehen in diesem erbärmlichen wie riskanten Spiel – beispielsweise am 18. März in Frankfurt bei blockupy . Es steht bereits schlimmer, als es sichtbar ist!

PS: Viele der Fragen und Thesen im letzten Teil werden argumentativ untermauert im griechischen Dokumentarfilm Fascism Inc.

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Geschrieben von

Yann Döhner

nichts als kreatives gemeingut...

Yann Döhner

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