Innere Sicherheit. Gerechtigkeit. Solidarität

Netzpolitik Die Debatte um die Vorratsdatenspeicherung zeigt, dass der SPD jegliche Konzepte für die Digitalisierung fehlen. Dabei gibt es einen einfachen Ausweg für die Partei

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Unbeirrbar: SPD-Chef Sigmar Gabriel betont zur Zeit immer wieder den Nutzen der Vorratsdatenspeicherung
Unbeirrbar: SPD-Chef Sigmar Gabriel betont zur Zeit immer wieder den Nutzen der Vorratsdatenspeicherung

Foto: TOBIAS SCHWARZ/AFP/Getty Images

Wie vor einigen Tagen bekannt wurde, arbeitet das Bundesjustizministerium aktuell wohl an einem Gesetzesentwurf für die Einführung der Vorratsdatenspeicherung. Das wäre dann das Ende einer langen und harten Debatte innerhalb der Sozialdemokratie über die Einführung dieser vollumfänglichen und anlasslosen Massenüberwachung. Dabei gab es viele Initiativen der Parteibasis gegen diese Überwachung. Fast jeder Landesverband hat Anträge gegen die Einführung der Vorratsdatenspeicherung verabschiedet. Es gab einen gescheiterten Mitgliederentscheid und am Ende haben auch noch der Europäische Gerichtshof und das Bundesverfassungsgericht die jeweilige europäische Richtlinie und das deutsche Gesetz einkassiert. Bis heute fehlt jeder Beweis der wirklichen Effektivität der Vorratsdatenspeicherung. Die Pariser Anschläge konnte sie auch nicht verhindern. Und auch bei der Bevölkerung ist die Todesstrafe beliebter als die Vorratsdatenspeicherung. Und trotz alledem hält die Spitze meiner Partei an der Einführung dieses Überwachungsinstruments fest. Die Vorratsdatenspeicherung ist dabei nur das prominenteste Beispiel einer ganzen Reihe an netzpolitischen Fehlentscheidungen der Sozialdemokratie.

Dabei gab es in der letzten Zeit einige Zeichen der Besserung. Das Thema Digitalisierung ist in den Fokus der Politik und der Medien gerückt. Auch meine Partei, die SPD, hat beispielsweise den Programmprozess #digitalleben ins Leben gerufen. Mit Experten und der ganzen Partei soll über die Konsequenzen der Digitalisierung diskutiert werden. Auch der Parteivorsitzende und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel hat erkannt, dass das Thema Digitalisierung ein zentrales Thema der nächsten Jahre sein wird. Doch auch wenn die Debatte in den letzten fünf Jahren breiter und intensiver geführt worden ist, haben wir bei zentralen Punkten immer noch nicht verstanden, wie wir mit der digitalen Revolution umgehen sollen. Wir haben noch nicht verstanden, wie groß die Umwälzungen durch die Digitalisierung wirklich sind. Und der Unwillen diese Umwälzungen wirklich zu verstehen, hat schlimme Folgen für unsere Gesellschaft.

Bislang fehlen Konzepte, Strategien und Papiere wie man die Werte und Prinzipien der Sozialdemokratie ins digitale Zeitalter überträgt. In den Fällen in denen wir aktiv wurden haben wir, das gehört auch zur Wahrheit dazu, leider nur eine recht geringe digitale Kompetenz bewiesen. So haben wir im Jahr 2010 das Zugangserschwerungsgesetz der damaligen Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen mitgetragen. In vielen anderen Bereichen gibt es einfach keine Positionierung. Auch innerhalb der Partei fehlen jegliche Strukturen und Foren zum Diskutieren. Erst vor kurzem hat mit der netzpolitischen Programmkommission das erste bundesweite netzpolitische Gremium seine Arbeit aufgenommen. Diese fehlende Auseinandersetzung mit dem Thema Digitalisierung führt letztendlich vor allem zu angstgetriebenen Abwehrkämpfen. Es wird daher Zeit endlich darüber nachzudenken, was die sozialdemokratischen Grundwerte „Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität“ in der digitalen Gesellschaft bedeuten.

Der zentrale Punkt in der Lagebestimmung der Sozialdemokratie in der digitalen Welt kann meiner Meinung nach dabei nur über die Bestimmung des Begriffes Freiheit führen. Bislang haben wir es leider verpasst darüber zu debattieren von welcher Art der Freiheit wir reden.

Den Begriff Freiheit als „Empowerement“ verstehen

Denn wenn man den Begriff Freiheit im Sinne von „Empowerment“ sieht, so ergibt sich schnell ein recht klares Bild. Mit dem Aufkommen des Internets schwang auch immer die Hoffnung eines Schubes der Demokratisierung, der Selbstbestimmung und der Möglichkeiten jedes Einzelnen mit. Leider hat sich diese Hoffnung bislang nicht erfüllt und ist auch mit der Zeit mehr und mehr in Vergessenheit geraten. Dabei ist das „Empowerment“ ein Ziel an dem man festhalten sollte und an dem die SPD festhalten muss. Hier lässt sich das Versprechen der Sozialdemokratie, nämlich des gesellschaftlichen Aufstiegs, wieder neu schreiben.

Denkt man die Freiheit als „Empowerment“ eines großen Teils der Bevölkerung, so ergibt sich daraus eine recht klare netzpolitische Agenda. Eine solche netzpolitische Agenda würde zu allererst einen hohen Schutz vor staatlicher Überwachung beinhalten und mit Sicherheit keine anlasslose Vorratsdatenspeicherung einführen. Bei jedem Gesetz das die staatliche Überwachung der Bevölkerung erhöht müsste nachgewiesen werden, dass es wirklich dem Schutz der Bevölkerung dient. Beim Datenschutz ergibt sich hieraus eine Schutzpflicht des Staates gegenüber den Nutzern. Die SPD würde zu einer klaren Bürgerrechtspartei werden. Ein Profil das ihr momentan fehlt.

Aus dieser Sicht auf den Freiheitsbegriff ergibt sich auch eine klare Pflicht zur gesetzlichen Sicherung der Netzneutralität, also einer Gleichbehandlung aller Daten im Internet. Hieraus ergibt sich auch ein Urheberrecht das die Künstler und die Nutzer und nicht wie momentan die Verwerter in den Mittelpunkt stellt. Hieraus ergibt sich aber auch eine digitale Bildungspolitik die nicht auf eine reine Wissensvermittlung, sondern vor allem auf Befähigung setzt. Die Befähigung mit einer Flut an Informationen umzugehen, die Befähigung mit Beschimpfungen im Internet umzugehen und die Befähigung zu einem selbstbestimmten Datenschutz.

Eine neue digitale Arbeits- und Wirtschaftspolitik

Aus dieser Sicht auf den Begriff der Freiheit lassen sich vor allem aber Rückschlüsse auf die Arbeits- und Wirtschaftspolitik ziehen. Es gibt wohl keinen anderen Bereich in dem die digitale Revolution solche großen Veränderungen und teilweise auch Verwerfungen mit sich gebracht, hat als auf dem Arbeitsmarkt. Bislang konzentrieren sich unsere politischen Bemühungen in diesem Bereich vor allem darauf den Status Quo irgendwie zu bewahren. Überdenkt man aber mal das Konzept des „Empowerment“ im Bereich des Arbeitslebens durch so würden sich ganz neue Ansätze in der Arbeitsmarktpolitik ergeben. Digitale Technologien ermöglichen vielen Menschen eine neue zeitliche und räumliche Flexibilität, sie ermöglichen aber auch neue Teilhabe- und Selbstverwirklichungsmöglichkeiten. Bislang hat die Politik darauf leider kaum reagiert. Wir haben vor allem an den bewährten Mechanismen des klassischen Arbeitsschutzes festgehalten ohne zu fragen wo dieser noch sinnvoll ist und wo dieser in der digitalen Welt längst Makulatur geworden ist.

Doch die wirkliche Veränderung muss im Bereich der Bildung stattfinden. Wir brauchen dringend gut ausgebildete Beschäftigte. Es gilt jetzt endlich das schöne Bild des Laptops als Werkbank des 21. mit Leben zu füllen. Nur aus digital mündigen Schülern werden digital mündige Bürger und digital mündige Arbeitnehmer. Nur aus digital mündigen Schülern entstehen neue Start-Ups und neue digitale Innovationen.

Auch im Bereich der Wirtschaftspolitik würden wir nicht zulassen, dass nur einige wenige große Unternehmen den gesamten Online-Markt unter sich aufteilen und neue Unternehmen kaum Chancen gegen, oft allmächtig wirkende Konkurrenten wie Google, Facebook oder Apple haben. Geht man noch einen Schritt weiter, so müsste auch die Wettbewerbspolitik neu gedacht werden. Bislang ging es in der Wettbewerbspolitik vor allem darum, zu verhindern, dass ein Unternehmen so mächtig wird, dass es den Wettbewerb aushebeln kann. Im Internet, mit seinem dynamischen Markt, spielt eine solche Betrachtung aber nur noch eine untergeordnete Rolle. Denkt man die Wettbewerbspolitik im Sinne des „Empowerments“ dann muss auch diese dafür benutzt werden Bürgerrechte zu verteidigen. Bei vielen Angeboten privater Unternehmen kann der Nutzer nicht selber entscheiden ob und wie viele Daten er preisgeben will. Auch in solchen Fällen könnte die Wettbewerbspolitik aktiv werden.

Schlussendlich würde sich noch eine letzte und sehr wichtige Veränderung ergeben: eine technikbejahende Politik und eine Politik die vor allem auf die vielen Chancen der neuen Technologien setzen würde. Denn kaum eine andere gesellschaftliche Veränderung bietet eine solche Chance auf ein selbstbestimmtes Leben wie es das Internet tut. Keine andere gesellschaftliche Veränderung bietet der Sozialdemokratie eine solche Chance ihr 150 Jahre altes Versprechen des sozialen Aufstiegs und der Mitbestimmung wieder mit neuem Leben zu füllen.

Es bleibt nur die Frage, ob die Sozialdemokratie diese historische Chance jetzt erkennt.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Yannick

Yannick Haan ist Sprecher des Forums Netzpolitik der Berliner SPD und Mitglied in der Netz- und Medienpolitischen Kommission beim SPD Parteivorstand.

Yannick

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