Sozialismus oder Kapitalismus? Falsche Frage!

Kapitalismuskritik Es ist dringend geboten, den Übervater Kapitalismus zu entthronen. Im Folgenden Text werden dazu Vorschläge gemacht. Und das heißt nicht etwa, den Sozialismus einführen!

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In der öffentlichen politischen Diskussion hat sich zur Gewohnheit entwickelt, jegliche kritische Auseinandersetzung mit dem Kapitalismus als sozialistische Unart, gar als üble Nachrede zu klassifizieren, sowie jedem Kritiker vorzuhalten, er wolle mit seiner Beurteilung womöglich dem Kommunismus durch die Hintertür einer Kapitalismuskritik Zutritt verschaffen ins gesellschaftliche Gedankengebäude. Mit dieser Methode wird erfolgreich verhindert, kapitalistische Strukturen daraufhin zu untersuchen, ob sie noch zeitgemäß sind und ob sie den Herausforderungen der zu erwartenden Umgebungsbedingungen der Menschheit noch gerecht werden können. Eine kritische Diskussion scheitert häufig bereits daran, dass die meisten Teilnehmer am "politischen Diskurs" keine oder nicht ausreichend präzise Vorstellungen davon besitzen, was Kapitalismus bedeutet. Man konnte die Folgen dieser Art von Behandlung des Themas gut beobachten, als jüngst der Vorsitzende der Nachwuchsorganisation der SPD forderte, eine Reform des Kapitalismus auf den Weg zu bringen. Seine Thesen wurden im Politikbetrieb nicht diskutiert, sondern reflexartig abgelehnt und ins Reich der Spinner verwiesen, und zwar ohne eine sachliche Würdigung, lediglich mit der Behauptung, es drohe der Sozialismus. Das liegt an der Gewohnheit, die Aufrechterhaltung des Kapitalismus wie ein Glaubensbekenntnis zu verteidigen – wie es aus den einstigen Verteidigungsversuchen des „realexistierenden“ Sozialismus noch vertraut sein könnte. Selbst auf die Gefahr hin, dass die Finanzwelt kollabiert, weil sie unfähig ist, sich anzupassen. Im Jahre 2008 erhielten wir einen Vorgeschmack dessen, wohin dieses Glaubensbekenntnis tragen kann. – Es ist daher oberstes Gebot der Stunde, den Übervater Kapitalismus zu entthronen. Im Folgenden Text werden dazu Vorschläge gemacht. Und das heißt nicht etwa, den Sozialismus einführen!

Senator Conzens:
Hat Goldman Sachs und Co. die Goldman Sachs Trading Corporation organisiert?"
Mr Sachs:
Yes, Sir!
Senator Conzens:
Und sie verkauft ihre Aktien an die Öffentlichkeit?
Mr. Sachs:
Einen Teil davon. Die Trusts investierten bei sich selbst ursprünglich zehn Prozent der Gesamtausgabe von zehn Millionen.
Senator Conzens:
Und die anderen 90 Prozent wurden also an die Öffentlichkeit verkauft?
Mr. Sachs:
Yes, Sir!
Senator Conzens:
Zu welchem Preis?
Mr. Sachs:
Zu 104, das sind die alten Aktien. Die Aktien wurden später geteilt, zwei zu eins.
Senator Conzens:
Und welchen Wert haben die Aktien heute?
Mr. Sachs:
Ungefähr 1,75 Dollar.
Aus einer Anhörung im Senat der USA nach dem Crash der Börsen im Jahre 1929, zitiert aus: "Der große Crash 1929" von John Kenneth Galbraith, 1988

Es gibt seit dem Erscheinen der Werke von Karl Marx und Friedrich Engels eine Reihe von wissenschaftlichen Erörterungen, die den Kapitalismus zum Teil scharf kritisieren und die auch offenlegen, welche Mängel ihm anhaften – zumindest an dem, was die Autoren für Kapitalismus halten. Man findet aber keine herausragenden Schriften, die den Kapitalismus als schlüssiges System vorstellen und nachzuweisen versuchen, dass es sich um ein Gebilde handelt, das als Blaupause für ein Gesellschaftsmodell dienen kann (mit einer Ausnahme vielleicht, nämlich Joseph Schumpeter, der in seiner Schrift "Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie" 1942 allerdings postulierte, der Kapitalismus zerstöre sich schließlich selbst und münde im Sozialismus). Eine Verbindung von Kapitalismus mit Demokratie in der Weise, dass Kapitalismus deren Voraussetzung ist, muss schon deshalb als Irrtum bezeichnet werden, weil Demokratie auch mit einem Wirtschaftssystem verbunden sein kann, das nicht kapitalistisch ist. Etwas anders verhält es sich im Falle der sozialistischen Theorien. Sozialismus wird als geschlossenes System mit Strahlkraft auf sämtliche gesellschaftlichen Zustände vorgestellt und bietet ausreichend Gelegenheit, seine Grundregeln kritisch zu würdigen – tatsächlich durchweg mit dem Ergebnis, dass Sozialismus sich als nicht umsetzbar erweist. Dieses Urteil wird durch den Anschein gestützt, dass alle bisherigen Versuche seiner Einführung grandios scheiterten (im "realexistierenden Sozialismus" des Sowjet-Imperiums oder Kubas beispielsweise). Sowohl die Vertreter der Auffassung, der Kapitalismus sei der Heilsbringer, als auch jene, die behaupten, nur der Sozialismus könne die Menschheit vor dem Untergang retten, verweisen zudem jegliche kritische Betrachtung ins Reich des Bösen. Sachliche Diskussionen zwischen den Kontrahenten oder mit Ihnen werden fast nie geführt, da jede Seite von der Unfehlbarkeit ihrer Vorstellungen ausgeht. Solches Postulat der Unfehlbarkeit findet man sonst nur bei Religionsvertretern. Der Kapitalismus wird zur Glaubenssache erklärt, da er als System nicht überzeugend begründet ist und deshalb "göttlicher Fügung" bedarf, um sich zu behaupten, während der Sozialismus sich ins Religiöse verkriecht, weil er zwar als ein einigermaßen schlüssiges Gedankengebäude vorgestellt ist, jedoch den Nachweis für die praktische Umsetzmöglichkeit seiner Thesen nicht erbringen kann. So stehen sich Hohe Priester zweier Glaubensbekenntnisse gegenüber, die es an Unversöhnlichkeit mit jedem Pfaffen aufnehmen können. Und diese Leute haben es geschafft, zu der heute gängigen Auffassung beizutragen, es gelte entweder Kapitalismus oder Sozialismus, mit der Folge, dass wer den Kapitalismus kritisiert, nur Sozialist sein kann – und umgekehrt wird jeder Kritiker des Sozialismus als Kapitalist eingestuft. Beide verstehen die Religion des jeweils anderen als gesellschaftlichen, ja moralischen Aussatz. Und das eine ist, wenn das andere nicht ist.

Beim Kapitalismus geht es schlicht um eine bestimmte Form des Einsatzes von Geld

Aber trotz der religiös motivierten Konfrontation bedarf es eigentlich keiner größeren Bemühung, um zu der Einsicht zu gelangen, dass Kapitalismus und Sozialismus überhaupt kein Gegensatzpaar,sind die sich gegenseitig ausschließen. Im einen Fall, dem Kapitalismus, geht es schlicht um eine bestimmte Form des Einsatzes von Geld, was unter sozialistischen Bedingungen genauso erforderlich ist, will man eine arbeitsteilige Wirtschaft betreiben; und im anderen Fall, dem Sozialismus, geht es in erster Linie um eine Organisation des Zusammenlebens in einer Gesellschaft. – Sehr vereinfacht dargestellt, verbirgt sich hinter dem Begriff Kapitalismus lediglich die Nutzung des Handwerkzeugs Geld als Privateigentum mit dem Ziel, damit die gesamte Wirtschaft zu steuern. Dieses Handwerkszeug kann aber in unterschiedlichsten gesellschaftlichen Organisationsformen genutzt werden. Letztlich führt eine missverständliche, bereichsweise falsche Vorstellung von Geld zu einer ideologischen Auseinandersetzung, die gleichzeitig und auf unterschiedlichen Fechtböden ausgetragen werden soll.

Tatsächlich ist Kapitalismus aber eben keine Wirtschafts- und Staatsordnung

Um diese Erkenntnis zu untermauern, mag der Hinweis auf ein Phänomen helfen, das meist unbeachtet bleibt, nämlich dass es in der öffentlichen Wahrnehmung zweierlei "Sorten" Geld zu geben scheint: zum einen das gesamtwirtschaftlich wirkende Geld, das der Staat via Banken der Wirtschaft und den Bürgern (als Kredit) zur Verfügung stellt, sowie zum anderen das Geld in den Portemonnaies der Bürger und Unternehmen, das als privates Eigentum angesehen wird. Diese Unterscheidung darf, obwohl unzutreffend, für den Umgang mit Geld im alltäglichen Wirtschaftsbetrieb durchaus als zweckmäßig hingenommen werden; sie ist jedoch unangebracht, wenn es um die Betrachtung und Beurteilung gesamtwirtschaftlicher Abläufe geht und wenn gesellschaftliche Strukturen analysiert werden sollen. Dann darf Geld nämlich nur in seiner Funktion als Kredit des Staates, der Gemeinschaft aller Bürger in einem Währungsraum, wahrgenommen werden, und als etwas, das nicht ins Eigentum der Kreditnehmer übergeht, sondern, wie jedes private Darlehen auch, eines Tages zurückzuzahlen ist, mittels Steuern. Die "private" Vorstellung von Geld reicht also nicht hin, um volkswirtschaftliche oder gar globalwirtschaftliche Abläufe zu verstehen. Dazu noch folgender Hinweis: Seit Beginn des Industriezeitalters hat sich das Verständnis von Kapital als die Gesamtheit der Produktionsmittel (Land, Bauten, Waren, Geld, Wissen und Arbeitskraft) verengt auf das Kürzel "Geldvermögen" und auf seine Funktion als allein bestimmendes Mittel für Investitionen. Im öffentlichen Sprachgebrauch wird Kapital in Begriffen wie Kapitalmarkt, Kapitaleinsatz und Kapitalbedarf ganz selbstverständlich als bedeutungsgleich mit Geld verwendet. Kapital und damit Geld schwang sich deshalb im zwanzigsten Jahrhundert zu einer alles beherrschenden Kraft in Wirtschaft und Politik auf, beziehungsweise es erlaubt seither denjenigen, die über größere Mengen Geld verfügen, zu bestimmen, wohin sich wirtschaftliche und politische Entwicklung bewegt. Diesen Zustand beschreibt man heute als Kapitalismus, der nun – fälschlicherweise – als Wirtschafts- und Staatsordnung verstanden wird, wobei sein Hauptmerkmal das Privateigentum an Produktionsmitteln (also an Geld) ist, die sich im Vermögen ihrer "Eigner" dauerhaft vermehren sollen – hieraus wird übrigens die Forderung nach stetigem Wachstum abgeleitet. Solch ein Verständnis von Kapitalismus beruht auf der irrigen Annahme, Geld sei ein "Ding", das sich in Privateigentum befinden kann und von seinen Eigentümern nach deren alleinigem Gutdünken (privat) eingesetzt werden darf, sodass am Ende private Geldbesitzer der großen gesamtwirtschaftlichen Bedeutung des Geldes wegen das gesamte Gesellschaftsleben ordnen müssten. Tatsächlich ist Kapitalismus aber eben keine Wirtschafts- und Staatsordnung, sondern lediglich ein Mittel der Machtausübung, des Herrschaftsanspruchs der Geldvermögenden über das Geschehen in einer Gesellschaft, was so lang möglich bleibt, wie die politisch Verantwortlichen sich diesem Dogma unterwerfen. Sozialismus hingegen wird als eine Gesellschaftsordnung vorgestellt, die das gesamte Leben der Bürger eines Staatswesens regeln soll, wozu als "Unterordnung" auch die Wirtschaft gehört, deren Finanzsystem sogar kapitalistisch organisiert sein könnte. Ein aktuelles Beispiel dafür liefert China, das – zumindest vorgeblich – eine sozialistische Gesellschaft praktiziert und die Wirtschaft innerhalb dieses Systems kapitalistisch zu ordnen versucht. Ein Gegensatzpaar, Kapitalismus versus Sozialismus, existiert also gar nicht, weil die zwei Gedankengebäude in voneinander getrennten Regionen stehen und weil in den Gebäuden ganz unterschiedliche Dinge "lagern".

Was passiert, wenn die Kontrolle fehlt, konnten wir 2008 beobachten

Wollen wir die wichtigsten Zusammenhänge im Wirtschaftsgeschehen unserer heutigen westlichen Gesellschaft offenlegen, müssen wir zu allererst dem "Leviathan Geld" seine mystische Gestalt nehmen und seine Funktion nüchtern einordnen ins System des Zusammenlebens der Menschen. Behauptungen wie die, das freie Spiel der Kräfte auf den "Kapitalmärkten" steuere das Finanzgeschehen und auf diesem Wege die gesamte globale Wirtschaft, und es führe am Ende zum gerechten Ausgleich der Lebensbedingungen aller, sind nichts anderes als der Ausdruck ideologisch geprägter und deshalb nur scheinbarer Gesetzmäßigkeiten; es handelt sich vielmehr um blanke Deklarationen, die den Stellenwert von Glaubensbekenntnissen besitzen. Denn – das muss wiederholt werden, da diesbezüglich in der öffentlichen Diskussion immer noch Unverständnis überwiegt – Geld ist ein abstraktes Gebilde, das nur dadurch "existiert", dass es von "hoher Hand" aus dem Nichts geschaffen und gelenkt wird. Frei bewegen können sich "Marktteilnehmer" ausschließlich dort, wo sie in Gehegen, eingerichtet von einer Gemeinschaft, beispielsweise einem Staat, strengen "Verkehrsregeln" zu folgen haben. Diese Bedingung wird im Wirtschaftsgeschehen grundsätzlich anerkannt, aber sie scheint ausgehebelt, sobald es um Geld geht, weil man diesen Stoff für so "dünnflüssig" hält, dass er durch viele Ritzen gesetzlicher Hindernisse ins Freie zu dringen vermag. Darauf gründet die unsinnige Forderung, es müsse einen freien globalen Finanzmarkt geben, dessen Teilnehmer sich ohne Einschränkungen durch Regeln einer Gesellschaft (eines Staates) bewegen dürfen. Wie falsch dies ist, lässt sich allein an der Tatsache erkennen, dass heutzutage die Geldströme im internationalen Austausch sehr wohl gesteuert werden, allerdings nicht von der "Staatengemeinschaft", sondern von privaten gigantischen Finanzgruppen, aber auch von mächtigen Regierungen, beispielsweise von den USA, die damit Druck auf das Verhalten anderer Staatsführungen ausüben. Gut zu beobachten anhand der "Sanktionspolitik" des amerikanischen Präsidenten Trump gegenüber dem Iran: Durch den Einfluss auf die Geldbewegungen wird erreicht, dass die meisten am internationalen Finanzsystem beteiligten Banken Geschäfte mit dem Iran nicht abwickeln können (Es lohnt sich, die Technik des internationalen Geldtransfers etwas genauer zu betrachten – man kann das "googeln". Dann lässt sich beispielsweise erkennen, dass das internationale Geldüberweisungssystem SWIFT – Society for Worldwide Financial Telecommunication –, eine Genossenschaft europäischen Rechts, vertrauliche Daten an amerikanische Geheimdienste und Behörden übermittelt. Deshalb gelingt es den USA, Sanktionsmaßnahmen gegen den Iran durchsetzen, indem sie Banken, die dort Geschäftskontakt unterhalten und wovon die US-Behörden durch Informationen des SWIFT erfahren, von Finanzgeschäften mit den USA ausschließen, was sich die meisten Geldinstitute nicht leisten können). – Geld ist jedoch nur in dem Maße "flüchtig", wie es von staatlicher Kontrolle befreit bleibt. Und diese "Flucht" endet regelmäßig in einer Krise oder gar im Kollaps des gesamten Finanzsystems, da Geld, um dauerhaft zu existieren, staatlicher "Schöpfung" und der staatlichen Regulierung seines Einsatzes im Wirtschaftsleben bedarf. Was passiert, wenn die Kontrolle fehlt, konnten wir 2008 beobachten; doch die Ereignisse von damals und deren Hintergründe scheinen bereits in Vergessenheit geraten zu sein.

Jegliche Kritik am Finanzsystem sieht sich dem Vorwurf ausgesetzt, sie diene der Einführung von Sozialismus

Deshalb müssen wir die Erinnerung daran ein wenig auffrischen. Denn die Folgen der "Finanzkrise" sind beileibe noch nicht überwunden, und vor allem: deren Ursachen bestehen fort. Weil in der "kapitalistischen Welt" die "Finanzindustrie" seit den Siebzigerjahren des vorigen Jahrhunderts systematisch "dereguliert" worden war (man hatte die Kontrollinstrumente der Regierungen Schritt für Schritt zerstört), konnten sich Geldströme global frei – im Übrigen auch gesetzwidrig – bewegen, und es konnten Unsummen von "neuem" Geld produziert werden. Eine der schlimmsten Folgen davon war, dass die weltweit zirkulierende Geldmenge auf ein Zigfaches der im Wirtschaftsprozess benötigten Menge anwuchs. Die Leute, die im Besitz der "überzähligen" Geldvermögen waren, konnten Zinsen allerdings nur dann "erwirtschaften", wenn verzinsliche Anlagen für ihr Geld gefunden wurden. Da die "reale" Wirtschaft aber bereits mit Geld überschwemmt war, erdachten sich die Finanzjongleure ein System von "Finanzprodukten", das sich auf Kreditsicherheiten stützte, die es gar nicht gab! Es kam, was kommen musste: der Schwindel flog auf. – Doch statt nun unverzüglich damit zu beginnen, durch strenge Regeln zu gewährleisten, dass die Ursachen der Katastrophe beseitigt wurden, produzierten die Regierungen erst einmal noch mehr "unnötiges" Geld (gemessen am Bedarf der Wirtschaft), um die Verluste der Kasinospieler auszugleichen. Man schuf dann zwar sogenannte Rettungsschirme, Bankensicherungsfonds und viele neue Institutionen, doch man beließ es bei den "freien Kapitalmärkten", was dazu führte, dass nun, gerade zehn Jahre nach dem Beinah-Crash, abermals die Gefahr eines Zusammenbruchs des kapitalistischen Finanzsystems droht. Begründet wird die Untätigkeit der Staatsführungen mit dem Hinweis auf ein angeblich ehernes Gesetz des Kapitalismus, das verlange, die Geldströme dem freien Spiel der Kräfte auf den globalen Finanzmärkten zu überlassen. Und weil das Unverständnis der Zusammenhänge auch unter den politischen Akteuren weit verbreitet ist, klammern sich die Repräsentanten der Bürger, die Parlamentarier und Regierungsmitglieder, an die Glaubensbekenntnisse des Kapitalismus; mit der Folge, dass sich jegliche Kritik am Finanzsystem ohne Umwege dem Vorwurf ausgesetzt sieht, sie diene der Einführung von Sozialismus.

Geld "gehört" der Gemeinschaft

Wird es nicht gelingen, das Geldwesen ohne eine Beeinflussung durch Ideologien wie Kapitalismus oder Sozialismus neu zu organisieren, werden wir erleben müssen, dass die Entwicklung unserer "westlichen Gesellschaften" in Katastrophen endet. Das klingt nach Weltuntergangsstimmung, ist damit aber nicht gemeint; denn die Ereignisse werden nicht die Welt, sondern nur die sogenannte Erste Welt ruinieren. Das lässt sich an folgendem Zusammenhang gut erkennen: Für den Fall, dass eine Finanzkatastrophe zum Verlust sämtlicher Kapitalvermögen führt, trifft dies nur die Regionen, in denen der Lebensstandard vom Funktionieren des internationalen Finanzsystems abhängig ist. Von den etwa 7,7 Milliarden Menschen auf dem Globus zählen maximal 2 Milliarden zu den "Wohllebenden", also 26 Prozent. Die restlichen Dreiviertel aller Menschen werden dann zwar auf die Nutzung von Internet und Smartphones verzichten müssen, doch sie werden insgesamt nicht schlechter leben als bisher. Wahrscheinlich ist sogar, dass sie nach einem Finanz-Crash mit leichten Verbesserungen ihres Lebensstandards rechnen dürfen. Hier im goldenen Westen verlöschen derweil die Lichter, was durchaus buchstäblich zu verstehen ist. Sollte bei uns beispielsweise die Stromversorgung zusammenbrechen, was im Falle eines Kollapses der Geldversorgung höchst wahrscheinlich ist, geht nichts mehr. Abwenden lässt sich diese Gefahr nur, wenn es gelingt, das Finanzsystem wieder unter die Kontrolle der Gesellschaft zu bringen, dorthin, wo es seinen Ursprung hat. Geld ist schließlich ein Instrument, das geschaffen wurde, um in einer arbeitsteilig organisierten Gesellschaft den wirtschaftlichen und persönlichen Austausch von Leistungen zu sichern, und zwar aller Bürger eines Gemeinwesens. Daher "gehört" es der Gemeinschaft, die den Individuen Nutzungsrechte gewährt und nicht Eigentum! Und wer hierzu anmerkt, das sei ein sozialistisch inspirierter Versuch der Enteignung, der leugnet die Tatsache, dass Geld tatsächlich gar nicht ins Privateigentum übergehen kann, also auch niemand zu enteignen ist.

Diese Bedingung verlangt zu ihrer Beachtung nicht, Sozialismus einzuführen

Wir müssen uns stets darüber im Klaren sein, dass jede moderne Gesellschaft Geld benötigt, um die gewünschte soziale Bindung zu finden, die ein Zusammenleben erst gestattet, und um ein friedliches Miteinander zu erreichen. Es dürfte jedem von uns plastisch vorstellbar sein, dass heutzutage ein Leben von zig Millionen Menschen auf einer begrenzten Fläche wie die eines europäischen Staates gar nicht denkbar wäre, hätten die Menschen keinen Zugang zu Geld. Das heißt, ohne Geld können Menschen heute nicht mehr leben! Allein diese Bedingung zwingt dazu, einen Umgang mit dem Geld zu organisieren, der allen Menschen dessen Nutzung erlaubt. Und dies kann nur eine Institution der Gemeinschaft bewältigen, sprich der Staat. Die Forderung nach staatlicher Kontrolle über den Geldverkehr wird noch unterstrichen durch den Umstand, dass Geld nicht nur dringende Bedürfnisse stillt, sondern dass es auch den Wunsch nach stetig wachsendem "Wohlleben" zu befriedigen hilft und daher den Drang nach immer mehr Geld im eigenen Portemonnaie stärkt. Wo Geld als Privateigentum deklariert wird, ist eine Konzentration von Geldvermögen in der Hand sehr weniger Individuen die Folge, die damit Macht über all jene ausüben können, die von geringen Einkommen gerade ihre Grundbedürfnisse, vielleicht nicht einmal die, zu befriedigen in der Lage sind. Deshalb ist es Aufgabe der Gemeinschaft zu verhindern, dass Geldvermögen sich in der Hand Weniger so stark anhäuft, bis darüber die Beherrschung der Bevölkerungsmehrheit möglich wird. Auch diese Bedingung verlangt zu ihrer Beachtung nicht, Sozialismus einzuführen, vielmehr gilt es, extreme Ungleichheit zu verhindern, wozu Umgangsregeln erforderlich sind, wie sie in vielen anderen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens auch eingeführt wurden.

Unsere Forderung an die politischen Akteure lautet deshalb: Es sind Regeln einzuführen, die eine Kontrolle der Allgemeinheit über den Geldverkehr wiederherstellen, wozu die folgenden Grundsätze als Anhalt dienen können.

1.
Seine Funktion als einzig geltendes Zahlungsmittel wird Geld nur erfüllen, wenn es in einer Region benutzt wird, wo die wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse auch allgemein, für alle gleichermaßen, gelten. Nur in einem klar begrenzten Raum, in dem für alle Bewohner etwa dieselben Bedingungen herrschen, beispielsweise gleiches Rechts- und Steuersystem, kann eine öffentliche Verwaltung (der Staat) den Geldeinsatz überwachen und notwendige Regeln durchsetzen.

2.
Da die Geldmenge in einem Wirtschaftsraum in etwa der dort erbrachten Leistungsmenge entsprechen sollte, damit das Geld einen andauernden Wert behält, müssen ständig Beobachtungen angestellt werden, um die Entwicklung der Leistungsmenge zu erkennen, und es müssen Maßnahmen zur Anpassung der Geldmenge an die sogenannte wirtschaftliche Gesamtleistung getroffen und durchgesetzt(!) werden können. Leicht einzusehen ist daher, dass nur eine Verwaltungsorganisation wie ein Staat hinreichend ausgerüstet ist, diese Forderung zu erfüllen. Und entsprechend einleuchtend ist auch, dass der Geldwert nicht von einzelnen Gruppen in einer Gesellschaft bestimmt werden darf, sondern dass dies "Maßnahmen von hoher Hand" vorbehalten bleiben muss, die sich am Gemeinwohl orientieren.

3.
Damit Geld als Tauschmittel eingesetzt werden kann, muss sichergestellt sein, dass alle "Nutzer" dies anerkennen. Deshalb wird in dem Raum, in dem eine Währung gilt, von allen Bürgern gefordert (gesetzlich bestimmt), dass sie das hier gültige Geld als Gegenwert von Leistungen nutzen, als Zahlungsmittel akzeptieren. Allerdings ist diese Auflage nur so lange wirklich durchsetzbar, wie die Beteiligten am Wirtschaftsleben, also alle Personen, Unternehmen und Institutionen, das Vertrauen in die Werthaltigkeit ihrer Währung aufbringen. Neben einer eher psychologisch begründeten "Vertrauensbereitschaft" einer Währung gegenüber (die bei der Einführung der D-Mark im Jahre 1948 eine entscheidende Rolle spielte) ist es erforderlich, dass "jemand" die Gültigkeit der Währung garantiert. Das aber vermag ausschließlich ein Staat, tatsächlich die Gemeinschaft aller Steuerzahler. Deshalb war es bedauerlicherweise notwendig, dass in den Jahren nach der "Krise" 2008 die Steuerzahler weltweit mit "ihren" Billionen (dem Geld, das sie gezwungenermaßen per Kredit zur Verfügung stellten!) einspringen mussten, weil nämlich Gefahr bestand, dass das gesamte Währungssystem zusammenbricht. Denn es gilt folgender Grundsatz: Jeder Steuerzahler haftet anteilig für die Werthaltigkeit der in seinem Staate geltenden Währung. Zu befürchten ist, dass diese "Eventualschuld" vielen Steuerzahlern gar nicht bewusst ist.

4.
Banken dürfen nur entweder für den Zahlungsverkehr und die Kreditvergabe zur Deckung "realwirtschaftlicher" Bedürfnisse lizensiert sein, oder sie betreiben ausschließlich das sogenannte Investmentgeschäft, das auf Spekulation setzt. Solch eine Trennung sorgt dafür, dass im Falle des Platzens einer Spekulationsblase nur das Geld vernichtet wird, das in diesem "Geschäftsfeld" eingesetzt wurde. Der übrige Geldverkehr bleibt davon unberührt mit der Folge, dass Banken oder Investmentfonds, die sich verspekuliert haben, getrost pleitegehen dürfen, also nicht vom Steuerzahler gerettet werden müssen. Da ins Kasino in der Regel nur "überflüssiges" Geld getragen wird, ergibt sich im Falle eines Kollapses einer oder mehrerer "Investment-Banken" als nützlicher Nebeneffekt, dass die im Umlauf befindliche Geldmenge reduziert wird.

5.
Eine effektive Kontrolle der Geldmenge lässt sich nur gewährleisten, wenn auch der "grenzüberschreitende" Geldverkehr kontrolliert wird. Diese Forderung erhält ihre Berechtigung allein durch die Tatsache, dass Geld, wenn es aus einem Währungsraum fließt oder in ihn hineinströmt, dem Ab- oder Zufluss von Waren und Dienstleistungen entsprechen soll. Deshalb muss beim Transfer von Geld in oder aus anderen Währungsräumen nachgewiesen werden, welche Gegenleistungen dafür erbracht wurden. Außerdem müssen die "Währungshüter" eines Staates das Recht haben, den Wechselkurs zu anderen Währungen festzusetzen, wodurch einer Spekulation mit Währungen kein Anreiz mehr geboten wird.

6.
Ein spezielles Problem stellt der Euro dar, dem ein wesentliches Merkmal jeder Währung fehlt: Er wird zwar in den Staaten der Eurozone als gesetzlich vorgeschriebenes Tauschmittel anerkannt, doch die Steuerzahler jedes Landes sollen nur für die Geldverpflichtungen einstehen, die von ihren Regierungen eingegangen wurden. Voraussetzung für eine dauerhafte Funktionstüchtigkeit einer Währung ist aber, dass alle Bürger im Geltungsbereich einer Währung für die Verpflichtungen, die sich aus dem Gebrauch der Währung ergeben, geradestehen! Fehlt diese "Gesamthaftung", entsteht ein Manko, das es in einem "ordentlichen" Währungsraum nicht gibt. Die einzelnen Regierungen können nämlich selbst kein Geld "schöpfen" (Fiat-Geld), sondern sie müssen den Geldbedarf, der nicht durch Steuereinnahmen gedeckt ist, bei privaten Banken aufnehmen. Die Europäische Zentralbank darf den privaten Banken zwar Geld zur Verfügung stellen, nicht aber den Regierungen (Der Vertrag zum Euro verbietet der EZB, Staaten zu finanzieren). Diese im Grunde törichte Regelung hatten die "Väter" des Euro in den Vertrag geschrieben, weil einige Regierungen (unter ihnen die deutsche) besorgt waren, dass sie für die Schulden solcher Staaten aufkommen müssten, die weniger "sorgsam" mit ihrem Geld umgehen. Das war eine existenzgefährdende Fehlkonstruktion, die bis heute nicht korrigiert wurde. Die EZB hat den privaten Banken zwar in großem Umfang Staatsanleihen "abgekauft" und damit de facto doch Staaten finanziert; aber das Prinzip der getrennten Verantwortung für eine gemeinsame Währung wurde nicht aufgegeben. Wirklich lösen lässt sich das Problem jedoch nur dadurch, dass entweder eine gemeinsame europäische Wirtschafts- und Finanzpolitik praktiziert oder der Euro wieder abgeschafft wird. – Wie stark Finanzpolitik den gesellschaftlichen Zusammenhalt sichern oder schwächen kann, zeigt der kaum noch als schleichend zu bezeichnende Auflösungsprozess in der EU, dessen eine und wahrscheinlich wichtigste Ursache in der Ungleichheit der wirtschaftlichen Bedingungen innerhalb der EU liegt. Und der Euro, den man angeblich eingeführt hat, um den Einigungsprozess zu fördern, wirkt tatsächlich spaltend.

Mit diesen Anhaltspunkten soll eines verdeutlicht werden: Um in Sachen Geld die Wiederherstellung des Primats der Politik zu erreichen (wo die Interessen der Gemeinschaft der Bürger die maßgebliche Bestimmungsgröße darstellen), dürfen keine ideologischen Scheuklappen angelegt sein, vielmehr ist darauf hinzuwirken, dass "praktische Vernunft" überwiegt, wenn notwendige Reparaturen um kapitalistischen Finanzsystem vorzunehmen sind. Und das ist mit Blick auf die herrschenden Verhältnisse äußerst dringlich. – Ein wenig Hoffnung ist allerdings berechtigt: Es gibt nämlich Bewegung in diesem Sinne, die wir nicht nur hier in Europa, sondern auch in den USA beobachten können, dem Land mit dem stärksten Glauben an unbegrenzten Kapitalismus. Selbst dort werden kritische Stimmen immer lauter und Kritiker des Systems erhalten erkennbar Zulauf. Sie werden zwar, was nicht anders zu erwarten ist, von den Nutznießern des "Turbokapitalismus" aber auch von den blind konservativ eingestellten "Followern" Donald Trumps als Sozialisten diffamiert; doch ihre Vorstellungen sind bei näherer Betrachtung eher pragmatisch und nicht ideologisch vorgeformt. In der hiesigen Berichterstattung werden beispielsweise der Senator Bernie Sanders und die Senatorin Alexandria Ocasio-Cortez sehr oft als Sozialisten abgestempelt, weil die amerikanischen Medien diese Einordnung vornehmen. Sieht man sich deren Forderungen jedoch unvoreingenommen an, wird man erkennen, dass sie sachliche Kritik am kapitalistischen Finanzsystem üben und keineswegs ideologisch verblendet sind. In diesem Sinne darf man sicherlich auch die warnenden Äußerungen Ray Dalios verstehen, eines superreichen Amerikaners und Gründers eines Hedgefonds namens "Bridgewater Association", dem ein privates Vermögen im Wert von 17 Milliarden Dollar zugesprochen wird. Dieser Kapitalist hat auf einem Treffen mit seinen Kollegen aus der "Hochfinanz" folgende Feststellung getroffen: "Für die Mehrheit der Amerikaner funktioniert Kapitalismus heute nicht!" Und er knüpft daran die Aufforderung, das Finanzsystem gründlich zu reformieren. Wenn schon namhafte Kapitalisten selbst Zweifel daran hegen, dass die herrschenden Vorstellungen vom freien ungeregelten Finanzmarkt nicht länger aufrechtzuerhalten sind, dann ist das sicher ein Signal für die Notwendigkeit unverzüglichen Handelns!

Wir müssen den Vertretern beider Glaubensbekenntnisse jedoch vermitteln, dass sie einem Irrglauben aufsitzen

Die größte Hürde, die es zu überwinden gilt, ist der zum Teil fanatische Glaube an die Segnungen des Kapitalismus, der obendrein gern als eine wichtige Voraussetzung für Demokratie deklariert wird. Glaube ist ein Fels in der Brandung, heißt es, und ein Glaube könne nur durch einen neuen Glauben verdrängt werden. Deshalb scheint es naheliegend, den Kapitalismus gegen den Sozialismus antreten zu lassen oder umgekehrt. Wir müssen den Vertretern beider Glaubensbekenntnisse jedoch vermitteln, dass sie einem Irrglauben aufsitzen, was eine schwer zu leistende Arbeit sein wird. Aber eine Alternative dazu ist nicht in Sicht. Im Übrigen ist Eile geboten; denn in kritischen Situationen mit einer in der Bevölkerung verbreiteten Unkenntnis der Zusammenhänge neigen sehr viele Menschen dazu, statt Vernunft walten zu lassen, den bequemen Weg zu gehen und bloßen Verkündern scheinbar einfacher Botschaften zu folgen.

Geldpolitik ist ein Stützpfeiler der Gesellschaft; und sobald dieser Pfeiler einstürzt, kollabiert das gesamte Gefüge. Vielleicht wirkt als erste Maßnahme heilsam, wenn wir uns darauf verständigen, Begriffe wie Kapitalismus und Sozialismus aus dem Wortschatz zu tilgen, und stets empfindlich darauf zu reagieren, wenn Politik ideologisch begründet wird.

Beitrag auch erschienen im Blog zeitbremse.wordpress.com

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

zeitbremse

Mein zentrales Thema: die direkte Demokratie, dazu: "Die Pyramide auf den Kopf stellen", Norderstedt 2008.

zeitbremse

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