Giotto in Konfliktregionen

Ausstellung Das Kunstmuseum Wolfsburg widmet dem farbgewaltigen Oeuvre Steve McCurrys eine Einzelschau. Bekannt wurde der Magnum-Fotograf 1984 durch das Bild einer jungen Afghanin

Die leuchtenden Burkas der Frauen werfen Falten wie bei Giotto. Steve McCurry hat sie so 1992 vor einem Schuhgeschäft in Afghanistan eingefangen. Eine Komposition aus Rückenansichten in blau, rostbraun, senfgelb, eingerahmt von Flip Flops und Sneakers, akzentuiert durch den roten Ballerina-Schuh, der aus einem der Schleier lugt. Der Westen hat da schon Einzug gehalten in die uns fremde Welt.

Für den Fotografen Steve McCurry ist Afghanistan ein prägender Ort. Sein „Afghanisches Mädchen“ mit den stechend grünen Augen, das er 1984 am Hindukusch in einem Flüchtlingslager porträtierte, machte ihn weltweit bekannt und verschaffte ihm Zugang in den Fotografenhimmel: zur Magnum-Agentur. Nach intensiver Suche fand McCurry die Afghanin 17 Jahre später wieder und durfte sie ein zweites Mal unverschleiert fotografieren. Beide Porträts sind nun neben hundert weiteren Werken im Kunstmuseum Wolfsburg zu sehen. Gezeigt werden Fotografien aus Asien von 1980 bis 2011. Der Schwerpunkt der Ausstellung wirkt nicht künstlich gesetzt. Seit McCurry sich mit 19 Jahren aus den USA nach Europa aufmachte, ist er Nomade, zehn Monate im Jahr vor allem in asiatischen Ländern unterwegs.

Zunächst planlos startet er seine Touren, verliert sich im Geschehen. „Für mich sind das fast meditative Spaziergänge mit Kamera, bei denen ich in friedvolle, kontemplative Zonen abdrifte“, sagte der 52-Jährige jetzt in Wolfsburg. Beim Blick auf die schneebedeckten Bürgersteige stellte er fest, „das ist für mich das perfekte Licht. Es ist grau, trübe, gedämpft. Starkes Licht schmerzt in meinen Augen, also zieht es mich hin zu Schatten, an dunkle Orte, in Innenräume, schmale Gassen.“

Dort entstehen dann vor allem auch Porträts. Sie sind farbgewaltig und eindringlich, nicht zuletzt durch den intensiven Blickkontakt der Fotografierten mit McCurrys Objektiv. Sie scheinen so perfekt abgelichtet, dass der Mann aus Kaschmir mit den graublauen, wässrigen Augen, dem hennaroten Bart, mit den lila Lippen und der schwarzgeäderten Hand fast zur Skulptur gerät. Und die Silhouetten der Kamele vor den lichterloh brennenden Ölfeldern und bedrohlich aufgetürmten, pechschwarzen Rauchschwaden in Kuwait – ein Bild, mit dem McCurry 1991 den World Press Photo Award gewann – muten wie ein apokalyptisches Filmset an. Die Fotografien faszinieren so stark, dass der Betrachter darüber die Armut, das Leidvolle zu vergessen droht.

Auch wenn Steve McCurry häufig in Konfliktregionen unterwegs ist, als Kriegsfotograf sieht er sich nicht. Mehr als das politische Geschehen interessieren ihn Identitätsfragen. „Ich arbeite an der menschlichen Story“, sagt er und folgt da seinen Vorbildern Walker Evans oder Dorothea Lange. Demnächst reist er nach Burma. „Nebenan ist Thailand, das aussieht wie New Jersey“, meint McCurry lachend, „aber Burma hat immer noch diesen wundervollen Charakter.“ Dass die Unterschiede zu verschwinden drohen, verleiht seinen Bildern Schatten der Melancholie. Und doch geht es ihm nicht allein darum, die Vielfalt abzulichten. Denn immer wieder entdeckt er in den Porträtierten die menschliche Verfassung. Wie weit weg das Leben des hennabärtigen Hirten in Kaschmir auch scheinen mag, im Wesentlichen, das ist die Botschaft seiner Bilder, sind wir alle gleich.

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Geschrieben von

Cara Wuchold

Kulturjournalistin

Cara Wuchold

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