Bundesweiter Protesttag der Bauern: „Die belegen uns mit einem Berufsverbot“
Protesttag Viele warnten vor einer bäuerlichen Mistgabel-Revolte, doch demonstrierten am 8. Januar Zehntausende friedlich. Wer mit den Landwirten spricht, versteht schnell: Die Liste ihrer Probleme ist lang
Das „Licht des 8. Tages": Bauernproteste am 8. Januar
Foto: Nils Lucas
An Jan-Friedrich Rohlfing nagt etwas: In dem Bach neben seinem Feld hat sich der Biber breitgemacht. Das bringt mehrere Probleme mit sich. Zum einen sind deswegen die schönen Erlen, die hier vor 15 Jahren angepflanzt wurden, der Reihe nach umgefallen – das Nagetier hatte sich an den Stämmen zu schaffen gemacht. Jene Bäume, die noch stehen, tragen die typischen Bissspuren und dürften in den nächsten Monaten auch kippen. Schlimmer ist aber etwas anderes. Rohlfing hält mit seinem Pick-up an einer Stelle, die aussieht, als hätte man aus Ästen eine Schleuse mitten im Bach angelegt. „Das ist eine Biberburg“, erklärt der Landwirt, „die hat der gebaut, damit er da drinne eine Nahrungsgrundlage findet.“ Alle paar hundert Met
Meter sieht man so einen Damm in dem kleinen Gewässer. Für Rohlfing hat das fiese Auswirkungen: Der Pegel steigt und überflutet seine Ackerfläche. Dabei will er hier bald Zwiebeln anbauen.Am liebsten würde der 46-Jährige kurzen Prozess mit dem Biber machen. „Aber darf ich ja nicht“, sagt er: Das Tier wird durch das Bundesnaturschutzgesetz abgesichert. Statt auf die Jagd zu gehen, muss der Landwirt also dabei zugucken, wie sein Feld absäuft und ein Baum nach dem anderen einknickt. Von der Politik fühlt er sich im Stich gelassen. Wer in Berlin interessiert sich schon für Herrn Rohlfing und dessen Biberproblem? Im sachsen-anhaltinischen Liederstädt, einem 200-Seelen-Dorf, hat er seinen Hof. Und dort längst nicht nur mit lästigen Nagern zu kämpfen.Kurz vor Weihnachten platzte den Bauern wegen der Ampelkoalition der Kragen. Bislang können sie sich die Energiesteuer auf Diesel, mit dem sie ihre landwirtschaftlichen Fahrzeuge betanken, teilweise zurückerstatten lassen. Zwar müssen sie die 47,04 Cent pro Liter erst vorstrecken. Aber wenn sie einen Antrag bei der Zollverwaltung stellen, kriegen sie davon Monate später 21,48 Cent zurück. Im Dezember kam ein Triumvirat aus Olaf Scholz (SPD), Robert Habeck (Grüne) und Christian Lindner (FDP) auf die Idee, dieser Steuervergünstigung ein Ende zu bereiten, um das klaffende Haushaltsloch zu stopfen. Auch mit den grünen Kennzeichen auf Traktoren, die Landwirte von der Kfz-Steuer befreien, sollte Schluss sein. Zwar ruderte die Ampel Anfang Januar teilweise zurück, die Kfz-Steuerbefreiung bleibt. Doch da rollte die Empörungswelle bereits.Demonstrieren gegen die Ampel-Koalition„Das hat das Fass nur zum Überlaufen gebracht“, sagt Rohlfing. Als Vorsitzender des Bauernverbandes im Saaletal organisierte er eine Demonstration in Halle. Das Datum war vorgegeben: Beim „Licht des 8. Tages“ solle es losgehen, stand auf seinem Whatsapp-Profil, an dem Tag hatten die Bauern eine bundesweite Protestaktion gegen den Ampelbeschluss geplant. Das ganze Land wollten sie an diesem Tag lahmlegen und mit ihren Traktoren reihenweise Autobahnauffahrten blockieren. Gesagt, getan.Auf den zentral gelegenen Riebeckplatz in Halle sind 1.600 Menschen dem Aufruf von Jan-Friedrich Rohlfing gefolgt: Landwirte, Fliesenleger, Dachdecker, Glaser – sogar Fahrscheinkontrolleure und einen Maschinenführer aus Norwegen trifft man in der Bratwurstschlange. „Der gesamte Mittelstand hat sich uns angeschlossen“, prahlt Rohlfing. In der Landeshauptstadt Magdeburg versammeln sich 5.000 Menschen. Schon vorab war klar gewesen, dass sich deutschlandweit viele andere Gewerke mit den Bauern solidarisieren würden. Im fernen München demonstrieren sogar 10.000 Menschen. Auf der Anklagebank sitzt auf einmal nicht mehr bloß die Landwirtschaftspolitik der Ampel. Sondern die Koalition als solche.Frühmorgens, die ersten Funken des Grillanzünders sind gerade erst durch die noch nächtliche Dunkelheit geflogen, steht ein Mann zwischen Traktoren, die die B91 in Halle blockieren. „Wer Bauern quält, wird abgewählt“, steht auf einem Plakat. Der Mann entpuppt sich als Handwerker, der die Rebellion der Landwirte nutzt, um ... ja, was eigentlich? Auf die Frage, warum er hier sei, erzählt er vom neuen Chemiebuch seiner Kinder: Darin sei das Periodensystem nicht mehr in so schönen bunten Farben aufgemalt wie früher, sondern: grau in grau. Das sei nur ein Beispiel dafür, was alles schieflaufe im Land. Und so empörend eintönig die Zeichnungen in diesem Schulbuch auch sein mögen: Viele andere sind durchaus mit ernsteren Anliegen nach Halle gekommen. Matthias Egert, 39, ist einer von ihnen.Der CDU-Politiker ist Bürgermeister von Zörbig und einer von neun Rednern hier. In seiner Stadt gibt es ein Unternehmen namens Verbio, das Biogas aus Getreideabfällen produziert. Mehr als 1.000 Menschen arbeiten da. Doch zuletzt sei das Deutschlandgeschäft nicht mehr doll gelaufen. „In den USA und Indien haben sie mehr Planungssicherheit“, sagt Egert. Deswegen habe Verbio dort zwei Geschäftsstellen eröffnet. Besonders in den Vereinigten Staaten könne die Firma von dem Subventionsprogramm „Inflation Reduction Act“ profitieren. In Deutschland gebe es nichts dergleichen. 2024 rechnet Egert mit Steuereinnahmen von Verbio in Höhe von 6,5 Millionen Euro im Säckle seiner Kommune – 2022 waren es noch neun Millionen gewesen. Das zeige den Niedergang des Standortes.Die Preise für die Bauern entscheiden Chicago, Berlin und BrüsselAuch Jan-Friedrich Rohlfing macht sich Sorgen um die Zukunft. Er steht in seiner 1.500 Quadratmeter großen Maschinenhalle, in der Ecke sind Traktoren und LKWs geparkt, ein Dieselheizer bläst lautstark warme Luft in den Raum. Rohlfing ist ein typischer Mittelständler. Mit seinen zwölf Mitarbeitern bewirtschaftet er 1.700 Hektar. Für jeden gibt es täglich ein warmes Mittagessen auf Unternehmenskosten. „Das haben wir schon immer so gemacht“, sagt der Chef stolz. Sie bauen Kartoffeln an, Zwiebeln, Zuckerrüben und Getreide. Zehn Prozent der Fläche wird biologisch bewirtschaftet. Auch den Ferkeln geht es gut: Bei 24 Grad Innentemperatur tummeln sie sich in einem ausreichend großen Stall. Der Umsatz des Betriebes: 5,5 Millionen Euro pro Jahr. Eigentlich ist hier alles super.Und trotzdem ist Rohlfing sauer genug, um sich bei minus acht Grad stundenlang auf die Bühne am Riebeckplatz zu stellen. Sogar die harten Jungs vom Land flüchten sich an diesem eiskalten Tag zwischendurch bibbernd in den Eingangsbereich von Edeka, um sich aufzuwärmen. Wäre Rohlfing trotz 8o Wochenarbeitsstunden ein weitgehend sorgenfreier Mann – hätte er dann nichts Besseres zu tun?Der Landwirt zählt auf, welche Belastungen die Politik ihm alleine in der letzten Zeit vor den Latz geknallt hat. Da wäre zum Beispiel die EU-Agrarreform, die ihn seit diesem Jahr dazu verpflichtet, vier Prozent seiner Fläche aus Artenschutzgründen brachliegen zu lassen. „Das ist ein Berufsverbot von vier Prozent.“ Rohlfing rechnet vor, dass 2024 wegen dieser Flächenstilllegung europaweit 20 Millionen Tonnen weniger Getreide angebaut würden – exakt so viel, wie die Kornkammer Ukraine in einem Jahr erntet. „Da wird ein Aufwand betrieben, um das zu exportieren ... Und hier legt man es still.“ Zwar bekommt er im Gegenzug Direktzahlungen von der EU. Aber Rohlfing und die anderen Bauern sehen sich in einer Zwickmühle: Auf der einen Seite können sie die Preise für ihre Produkte nicht ändern, auf der anderen Seite gibt es immer kostenintensivere Regulierungen.Zum Beispiel gilt seit dem 1. Dezember 2o23 eine höhere LKW-Maut auf deutschen Autobahnen. Nur Lastwagen, die elektronisch oder mit Wasserstoff fahren, sind bis Ende 2025 davon befreit. Rohlfing hat vier Diesel-LKWs, mit denen er und seine Leute die Zuckerrüben zur Fabrik oder das Getreide zum Hafen nach Rostock transportieren. Wegen der höheren Maut sind seine Kosten um zehn Euro pro Tonne gestiegen. Das könne er aber nicht weitergeben: „Der Weltmarktpreis für Getreide wird an der Börse in Chicago gemacht. Die interessiert nicht, ob bei uns die Maut gestiegen ist.“ Dasselbe gilt für seine Zuckerrüben: Der weltweite Zuckerpreis wird in London festgelegt. Nicht von Jan-Friedrich Rohlfing aus Liederstädt. Bauern wie er sitzen in der Falle: vorgegebene Preise, neue Auflagen. Wenn dann Grüne mit mehr Bio und weniger Diesel um die Ecke kommen, kracht es.Rohlfing spricht von ihrer „Machtübernahme“ 2021. Und so hat er auch mit Wirtschaftsminister Robert Habeck, der wegen rebellierender Bauern nicht von seiner Fähre kam, wenig Mitleid. „Der hätte doch zur Polizei sagen können: Gib mir ein Megafon, dann spreche ich mit denen.“ Habeck veröffentlichte dann eine Videobotschaft in den sozialen Medien.
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken.
Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos.
Mehr Infos erhalten Sie
hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt.
Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.