Klaus Dörre zu Bauernprotesten: „Die Grünen haben völlig verspielt“
Im Gespräch Landesweit protestieren Landwirte gegen die Ampel-Politik. Der Soziologe Klaus Dörre warnt: Dass Grüne und Linke Bauern, Arbeiter und den Mittelstand vernachlässigen, ist gefährlich. Noch ließe sich ein Sieg der AfD jedoch verhindern
„Die Problemlage in der Agrarindustrie ist jedoch wesentlich größer, als es die Debatte um einzelne Diesel-Subventionen jetzt anklingen lässt“, sagt Klaus Dörre zu den aktuellen Protesten
Foto: Frank Hoermann/Sven Simon/picture alliance
Herr Dörre, wie geht es den Landwirten? In der Zeit liest man etwas von durchschnittlichen Jahresgewinnen von 115.000 Euro ...
Klaus Dörre: Vorsicht mit solchen Durchschnittszahlen – mir liegen ganz andere empirische Daten vor. In der Studie meines Kollegen Rolf Heinze unter mehr als 600 Landwirten im Jahr 2020 gaben 95 Prozent der Befragten an, sich einige oder große Sorgen um die persönliche wirtschaftliche Zukunft zu machen.
Und diese Sorgen konnte die Ampel-Politik diesen Landwirten seither wohl nicht gerade nehmen?
Schon die Heinze-Studie zeigte, dass es einen großen Verdruss gibt gegenüber allen etablierten Parteien. Aber sie zeigte auch, dass in den sozialen Medien nach den Landwirte-Protesten 2019 informelle Netzwerke entstanden sind, die relativ re
either wohl nicht gerade nehmen?Schon die Heinze-Studie zeigte, dass es einen großen Verdruss gibt gegenüber allen etablierten Parteien. Aber sie zeigte auch, dass in den sozialen Medien nach den Landwirte-Protesten 2019 informelle Netzwerke entstanden sind, die relativ resistent waren gegen rechts-außen. Die Landwirte ließen sich keineswegs vereinnahmen. Natürlich müsste man jetzt schauen, ob sich dies inzwischen geändert hat.Immerhin stehen zwischen 2019 und heute einige Jahre der Pandemie, in denen sich Protest-Infrastruktur gegen die Corona-Politik formiert hat, die teils ins Querdenker-Spektrum reicht, teils rechtsoffen ist – mit großen regionalen Unterschieden. Diese Infrastruktur wird teils auch für die Bauernproteste genutzt.Eines muss man selbstkritisch sagen: Die Linke hat bei solchen Protesten in den vergangenen Jahren Fehler gemacht, indem sie sie der Rechten überließ. Das zeigt ja die Studie von Oliver Nachtwey und Carolin Amlinger, Gekränkte Freiheit: In den Protesten hat eine Bewegung von links nach rechts stattgefunden. Es ist also wichtig, sich die politischen Gründe genauer anzuschauen, warum die Menschen auf die Straße gehen.Sie meinen die Streichung der Diesel-Subventionen in der Landwirtschaft?Die Problemlage in der Agrarindustrie ist jedoch wesentlich größer, als es die Debatte um einzelne Diesel-Subventionen jetzt anklingen lässt. Die Konflikte, die die Landwirte gerade auf die Straße tragen, hat Heinze in seiner Studie vorhergesehen: Der Agrarsektor ist schon seit den 1950er Jahren einem tiefgreifenden Strukturwandel ausgesetzt. Hatten wir bis Ende der 1980er Jahre noch 1,6 Millionen landwirtschaftliche Betriebe, sank diese Zahl in den 1980er Jahren auf 0,7 Millionen, 2019 waren es nur noch 58.000 erwerbstätigen Personen auf 275.000 Betrieben!Das nennt man wohl Höfesterben.Die Transformation geht tiefer: Hat ein Bauer in den 1950er Jahren zehn Menschen versorgt, versorgt er jetzt 135. Von einem Broteinkauf sind in den 1950er Jahren 45 Prozent beim Bauern gelandet – jetzt sind es noch vier Prozent. Es gab massive Industrialisierungsprozesse in der Landwirtschaft. Die Folgen kennen wir.Überdüngung, Monokulturen, Massentierhaltung.Genau. Das ist das eigentliche Problem: Es gibt keine fairen Erzeugerpreise, der ökonomische Druck war jahrzehntelang massiv. Und nun geraten die Landwirte auch ökologisch unter Druck, weil diese industrielle landwirtschaftliche Produktion – aus meiner Sicht zu Recht – in Frage gestellt wird. Das Problem ist aber, dass die Bauernhöfe nur begrenzt ökologisch umbauen können, weil die großen Agrarkonzerne und die Großhandelsketten im Grunde die Preise diktieren.Sie führen die Konflikte also auf die Transformation in der Landwirtschaft zurück: erst die Industrialisierung und Globalisierung, jetzt die Ökologisierung. Sehen sie da Parallelen zur Autoindustrie, zu der Sie forschen?Ja, das entspricht durchaus dem, was wir bei den Arbeitern im Automobilsektor finden – aber mit einem gewaltigen Unterschied: In der Autoindustrie sind die Beschäftigten lohnabhängig, sie haben Gewerkschaften und Betriebsräte, während wir es bei den Bauern überwiegend mit Selbständigen zu tun haben. Dieser Unterschied ist politisch sehr wichtig, weil Landwirte traditionell anders politisch orientiert sind: eher konservativ oder bei den Freien Demokraten.Und nicht bei den Grünen.Was hat schon Daniel Cohn-Bendit über die Gelbwesten gesagt? Dass die Bewegung „autoritär“ strukturiert sei, „voller Ressentiments“. Er lässt sich mit dem Satz zitieren: „Einigen Gelbwesten, die bereit waren, mit Macron zu verhandeln, wurde der Tod per Kopfabschlagen angedroht“! Das hat es gegeben, war aber nicht prägend für diese spontane Klassenbewegung. Ungewollt macht Cohn-Bendit deutlich: Das Sensorium für das Soziale geht den meisten Grünen völlig ab.Warum?Es sind Klassenschranken. Die Grünen sind eben eine Partei …... der Bessergestellten?Das würde ich nicht sagen, denn sie sind durchaus eine Partei der lohnabhängigen Mittelschichten und bestenfalls auch derer, die wir neue akademisch qualifizierte ArbeiterInnenklasse nennen. Die Grünen haben durchaus auch Stimmen gekriegt aus der Arbeiterschaft, teils mehr als die Linkspartei. Aber das haben sie verspielt. Eindeutig. Und wir müssen feststellen, dass auch die Linke es völlig versäumt hat, eine progressive Agrarpolitik zu machen. Und deshalb bleibt der Protest ein wenig sich selbst überlassen.Sich selbst? Die AfD versucht durchaus, die Proteste zu unterstützen.Die Linke muss neu überlegen, wie sie sich bei politisch gemischten Protesten positionieren will, weil es der Rechten in ihrer Abwesenheit zunehmend gelingt, die Straße zu beherrschen. Sie ist sehr mobilisierungsfähig.Teilweise gewinnt die Rechte hier aber auch die Oberhand, weil sie die Ziele der Proteste teilt, oder? Dieselsubventionen findet die AfD super, eine ökologische Linke hat damit ihre Probleme.Teilweise stimmt das, aber sobald man Klasse mit Klima zusammen denkt, ist die Rechte raus. Es gibt ja durchaus Arbeiter und Landwirte, die für ökologische Transformation offen sind, nur: unter welchen Bedingungen? Das müssen wir diskutieren. Die Grundhaltung bei den Landwirten ist, und die konstatieren wir auch in der Autoindustrie: Diese politische Klasse ist total verkommen, und mir ist im Grunde egal, wer mir Gutes tut. Da bildet sich eine Art Suböffentlichkeit heraus mit großer Distanz zur etablierten Politik.Wobei ja auch die CDU die Proteste der Landwirte unterstützt.Genau, Friedrich Merz versucht, sich an die Spitze der Proteste zu stellen – was deshalb besonders übel ist, weil die CDU diese Agrarpolitik der Industrialisierung und des Höfesterbens über viele, viele Jahre verantwortet. Und dass ausgerechnet der marktradikale Merz jetzt für staatliche Subventionen plädiert, muss man sich auf der Zunge zergehen lassen – zumal die CDU erst qua Klage vor dem Bundesverfassungsgericht dafür gesorgt hat, dass Transformationsmittel fehlen.Na ja, diese Corona-Mittel für die Klimatransformation zu nutzen, war nun einmal verfassungswidrig.Sicher liegt hier auch handwerkliches Versagen der Ampel-Regierung vor. Aber dass die CDU nun die Retterin der Landwirtschaft durch staatliche Subventionierung ist – das ist zynisch.Sie sagen, die CDU vertritt den Mittelstand nicht, die Sozialdemokratie nicht und die Grünen nicht. Wer vertritt ihn denn, den Mittelstand und, dahinter, diesen Teil der Mittelschicht?Niemand. Und deshalb entsteht eine Lücke, in der die AfD gerade groß landen kann.Wieso schafft die Linke es nicht, ihre Vorbehalte gegenüber konservativ tickenden Landwirten herunterzuschlucken und das nachvollziehbare Anliegen zu unterstützen, eine sozial wie ökologisch nachhaltige Landwirtschaft aufzubauen?Das hat eine ganz lange Tradition, die man zurückverfolgen kann bis zu Wladimir Iljitsch Lenin. In der Lenin-Studie über den Kapitalismus in Russland heißt es vereinfacht gesprochen: Die bäuerlichen Kleinproduzenten schwanken zwischen Eigentümer- und Arbeitsinteressen. Tendenziell sind sie reaktionär. Unvermeidlich ist – darin sieht er das Progressive – die Industrialisierung der Landwirtschaft. Sie fordert Opfer, unvermeidlich. Aber die Opfer muss man in Kauf nehmen, denn hinterher kommt der Sozialismus und alles wird besser.So wie heute: Die Opfer muss man in Kauf nehmen, denn hinterher kommt die Klimagesellschaft, und alles wird besser.Und so setzt sich diese linke Grundhaltung fort. Es gibt wenige Ausnahmen: Die italienische kommunistische Partei, die sehr früh eine Politik für selbstständige kleine Unternehmer in den linken Regionen Toskana und Ligurien entwickelt hat. Es gibt eine Tradition aus dem osteuropäischen Reformkommunismus.Und es gab die DDR, den Arbeiter- und Bauernstaat!Sowieso. Es gab erst eine sehr progressive Bodenreform. Und dann gab es die Kollektivierung, die LPGs sind entstanden. Durchaus mit Aspekten, die sich bewährt haben: Die LPG bot der Landbevölkerung sehr viel Infrastruktur, einen Fahrzeugpark, Kitas. Da ist mit der Wende viel weggebrochen, einige LPGs konnten sich immerhin durch Spezialisierung retten, mit stark vermindertem Personalbestand, in Form von Genossenschaften. Gerade diese wirtschaftlich erfolgreichen landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften stehen aber jetzt wegen ihrer industriellen, unökologischen Produktionsmethoden am Pranger. Und es sind diejenigen, die von den Dieselpreisen enorm belastet werden, weil die Ländereien noch ziemlich groß sind – was immer ökonomisch als ein Vorteil galt. Insofern ist der Osten noch mal eine Sondergeschichte.Mal wieder.Ja. Ganz genau. Aber im Grunde genommen wirft die Landwirtschaft auch im Westen dieselbe Frage auf, nämlich die nach genossenschaftlichen Produktionsformen, die auch in der Lage wären, die jetzt erforderliche Transformation in die Wege zu leiten. Das würde bedeuten, dass die Produktion über den Preis reguliert werden muss, dass es also mehr als kostendeckende Erzeugerpreise geben muss.Was aber zu Preisanstiegen für wichtige Nahrungsmittel führen würde?Unweigerlich, zumindest kurzfristig. Darüber müsste man politisch sprechen. Aber wir haben in unseren Studien gesehen, dass es durchaus Bereitschaft gibt, beim Konsum umzudenken: In unserer Studie zu Postangestellten in Nordrhein-Westfalen etwa haben die weiblichen Angestellten gesagt, wenn die Preise steigen, dann gehen sie nicht zum Discounter, sondern kaufen bewusster ein und werfen weniger weg. Die Männer haben gesagt: Wenn die Preise steigen, dann laufen alle doch erst recht zum Discounter.Preisanstiege sind jedoch gefährlich in einer Gesellschaft, in der die AfD – zumindest im Osten – demnächst stärkste Kraft wird, oder?Ich glaube, die AfD ist noch zu besiegen – und besiegen heißt für mich, sie unter 30 Prozent zu bringen.Wie?Dafür brauchen wir eine zivilgesellschaftliche Achse der Vernunft – jenseits der Parteien, aber polarisiert, also gegen die CDU als eigentlichen politischen Hauptgegner. Die CDU ist in entscheidenden Zukunftsfragen völlig neben der Spur, sie glaubt immer noch an den marktradikalen Kapitalismus. Sie sind der politische Gegner, die AfD ist für so ein zivilgesellschaftliches Bündnis zu einem Neustart im Osten eine Fußnote, das heißt, es braucht nicht jedes Mal diese Aufregung, wenn sie eine Bürgermeisterwahl gewinnt.Wir haben doch vorhin darüber gesprochen, wie unfähig der grüne und linke Teil der Gesellschaft darin ist, Kontakt zu Menschen aufzunehmen, die ein konservatives Lebensbild haben. Wie soll solch ein zivilgesellschaftliches Bündnis diese Kluft überwinden?Indem es Stimmen aus Gewerkschaften umfasst, aus der Wirtschaft, und indem ganz gezielt der Kontakt zu Menschen gesucht wird, die potenziell AfD wählen würden. Und zwar persönlicher Kontakt. Ich habe es ja selber erlebt, eine lesbische Vertrauensfrau erzählte mir, wie sie der AfD nahestehenden Kollegen begegnet. Und zwar nicht mit Zahlen, Daten, Fakten, sondern auf der persönlichen Ebene: Magst du mich? – Ja, doch! – Und wie kannst du dann die AfD wählen? Es muss ein Netzwerk entstehen von solchen Leuten wie dieser Vertrauensfrau. Multiplikatoren.Ein Verbot der AfD könnte diese Arbeit nicht verrichten?Ein Verbot könnte ein bestimmtes Spektrum der AfD-Sympathisanten beeindrucken, das würde ich nicht ausschließen. Aber es gibt auch viele Gründe, die dagegen sprechen, das überhaupt zu versuchen, siehe NPD-Verbot. Und: Je mehr Kontra gegen die AfD gegeben wird, desto verhärteter wird die Auseinandersetzung, das berichten mir auch Betriebsräte. Man kommt nicht drum herum, die sachliche politische Auseinandersetzung zu suchen. Auf allen Ebenen.
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