„Bauern haben ihre Beziehung zur Natur verloren“: Bartholomäus Grill über Landwirtschaft
Interview Bartholomäus Grill ist bayerischer Bauernsohn und war lange Afrika-Korrespondent – jetzt liest er Landwirten die Leviten. Ein Gespräch über sein Buch „Bauernsterben. Wie die globale Agrarindustrie unsere Lebensgrundlagen zerstört“
„Ich hatte nie den Wunsch, Landwirt zu werden“, sagt Bartholomäus Grill. „Mir wurde auch schon in jungen Jahren nachgesagt, dass ich es mit der Arbeit nicht so habe und mich lieber auf den Speicher zum Lesen zurückziehe.“
Foto: Nikita Teryoshin für der Freitag
Einen „cri de colère“ nennt Bartholomäus Grill selbst sein Buch Bauernsterben – einen Zornesschrei, und tatsächlich: Grill schreibt wie Jean Ziegler – zornig, drastisch, ohne Resignation, faktenbasiert.
„Wie die globale Agrarindustrie unsere Lebensgrundlagen zerstört“, illustriert der langjährige Afrika-Korrespondent von Zeit und Spiegel anhand seiner Gesprächspartner bei Recherchen in aller Welt, ob auf ausgetrockneten Ackerböden in Sambia oder im Rupertiwinkel, wo sein alter Freund Matthias „Hias“ Kreuzeder, ein früher Biobauer und Kurzzeit-Grüner, alte Getreidesorten rekultiviert. In Oberbayern wurde auch Grill geboren, 1954, als Sohn einer Bauernfamlie.
der Freitag: Herr Grill, stellen Sie sich h
in früher Biobauer und Kurzzeit-Grüner, alte Getreidesorten rekultiviert. In Oberbayern wurde auch Grill geboren, 1954, als Sohn einer Bauernfamlie.der Freitag: Herr Grill, stellen Sie sich heute oft vor, Bauer anstatt Journalist geworden zu sein?Bartholomäus Grill: Ich hatte nie den Wunsch, Landwirt zu werden. Mir wurde auch schon in jungen Jahren nachgesagt, dass ich es mit der Arbeit nicht so habe und mich lieber auf den Speicher zum Lesen zurückziehe.Sie leben schon lange weit weg vom Speicher des Hofs Ihrer Kindheit, in Kapstadt – auch, weil Sie daheim in Bayern eine Art Verstoßener sind?Na ja, ich habe im Spiegel in einer Kolumne meinen Austritt aus dem Bayerntum erklärt, mit der Überschrift: „I mog nimma“. Das hängt zusammen mit der Politik der CSU, dieser Dickbramsigkeit, dieser trügerischen Überzeugung, stets die Klügsten und Besten zu sein. Da fällt es schon schwer, sich mit dem eigenen „Stamm“ zu identifizieren.Wie Sie das Idyll Ihrer Kindheit im Buch beschreiben, geht es aber halt kaum schöner: intakte Natur, prächtiges Brauchtum, die Landwirtschaft kurz vor einer gewaltigen Industrialisierung.Ich bin auf einem Bergbauernhof aufgewachsen, der noch ganz traditionell wirtschaftete. Dann hat meine Mutter geheiratet und wir gingen auf den väterlichen Hof ins Voralpenland, auch dort wurde noch in nachhaltigen Kreisläufen gewirtschaftet …... dann setzte in den 1960ern die „schnellste Mechanisierung der Agrargeschichte“ ein.Ja, ich fand diesen Fortschritt am Anfang faszinierend. Es war eine tolle Sache, wenn wir neue Maschinen bekamen, den Pöttinger Pionier-Ladewagen oder die Absauganlage, die die alten Melksysteme ersetzte. Gleichzeitig schaffte die Landwirtschaft den Anschluss an die Durchschnittslöhne der Industrie, mit Verspätung waren wir im Lande des Wirtschaftswunders mit allen Wohlstandsgütern angekommen: Waschmaschine, Spülklosett, Ölheizung, Auto, Fernseher usw.„Europas Idee nach dem Weltkrieg war richtig. Aber dann ist sie EU mit den Agrarsubventionen weit über das Ziel hinausgeschossen“Wann haben Sie zum ersten Mal gedacht, dass etwas faul sein könnte an diesem Wandel?Skeptisch wurde ich eigentlich erst Ende der 70er, als die maßlose Überproduktion sichtbarer wurde, die die EU-Agrarpolitik bewirkt hatte, Milchseen, Getreideberge ...Hinter der Überproduktion stand ja eigentlich ein guter Gedanke.Ein absolut richtiger Gedanke, ja. In der Nachkriegszeit sagten sich die Gründungsmitglieder der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft nach der Erfahrung von Hunger und Not: Das soll nie wieder über Europa kommen. Sie installierten ein ökonomisches und politisches System, das die Produktion massiv ankurbelte, um Ernährungssicherheit herzustellen, in manchen Jahren lag der Anteil der Agrarsubventionen am EU-Haushalt nahe 80 Prozent. Brüssel war weit über das Ziel hinausgeschossen, die Devise hieß: immer mehr und intensiver produzieren, mit mehr Kunstdünger und Pestiziden.Für Landwirte bedeutete das: wachsen oder weichen. Der Hof Ihrer Eltern, später Ihres Bruders musste aufgeben. Warum?Das lässt sich nicht monokausal erklären. Ein Punkt war sicher die vorgeschriebene Reduktion der Produktionsmenge durch die Milchquote. Unsere 25 Kühe gaben mehr Milch, als die Quote vorsah. Das wurde bestraft, vom Milchgeld abgezogen – der Schaden wäre kleiner gewesen, hätte man die Milch in die Jauchegrube geschüttet. Mein Bruder hat dann den Hof übernommen, auf biologischen Landbau umgestellt, aber nicht die richtige Partnerin gefunden. Ein paar betriebswirtschaftliche Fehler und Fehlinvestitionen kamen dazu – am Ende verscherbelte er den Hof.Sie erfuhren erst hinterher vom Verkauf. Und heute gehört der Hof einem Eventmanager aus München mit SUV.Mein einziges Erbgut ist ein kleines Stück Wald, aber das liegt abseits, sodass ich den Hof nicht sehen muss. Ich will mir die Erinnerungen an die Jugend nicht zerstören lassen. Es kam natürlich zum Zerwürfnis mit dem Bruder. Bei mir war es nicht so schlimm, ich bin ökonomisch einigermaßen abgesichert. Aber für meine Schwester wäre das eine Altersversicherung gewesen.1945 gab es in Deutschland rund zwei Millionen landwirtschaftliche Betriebe, heute sind es 256.000. Aber in den 1960ern und 70ern wollten halt auch viele lieber in der Industrie arbeiten oder studieren, als Bauer zu sein.Die durch die Mechanisierung überflüssigen Knechte und Mägde gingen oft in die Industrie, ja. Und durch das steigende Einkommen der Bauern und die Bildungsreformen unter Willy Brandt konnten Kinder aus Bauernfamilien aufs Gymnasium gehen oder den zweiten Bildungsweg einschlagen und studieren.Das haben Sie getan.Ja, der Bauernjunge, der stets nicht so recht anpacken wollte, ist endgültig zu den Studierten gegangen.„Die heutige Generation von Bauern ist technisch gut geschult und schätzt Pestizide wie Glyphosat sehr“Heute nennen Sie Landwirte „Agrarkrieger“, das Fußvolk der Feldherren aus den Agrar- und Finanzkonzernen, die einen Krieg gegen Boden und Wasser führen.Die jetzige Generation von Bauern und Bäuerinnen ist technisch gut geschult und schätzt Pestizide wie Glyphosat sehr, sie hat aber die Beziehung zur Natur verloren und denkt nicht über ökologische Zusammenhänge nach. Möglichst viel aus den Böden und Tieren herauspressen, ist alles, was zählt.Sind diese Thesen auf Gefallen gestoßen, als Sie neulich eine Lesung beim Bayerischen Bauernverband in Regensburg hatten?Nein, da flogen die Fetzen und die Bauern fühlen sich verletzt und beleidigt. Da spürte man ihren Starrsinn. Das haben wir schon immer so gemacht, und das werden wir auch weiter so machen, sagten sie. Die Kreisbäuerin wollte sogar, dass ich mich für diese Kriegsausdrücke entschuldige, Bauern seien doch eigentlich Naturschützer und speziell in Bayern sei die Landwirtschaft vergleichsweise kleinteilig, mit Mecklenburg-Vorpommern könne man das nicht vergleichen; mag ja sein, dass in Brasilien und irgendwo da in Afrika das nicht mehr funktioniere, aber hier bei uns sei die Welt noch in Ordnung.Da Sie gerade von Mecklenburg-Vorpommern sprachen: Ihr Vater ist doch nach 1990 in den Osten gefahren, waren Sie da dabei?Wir sind zusammen gefahren, er wollte unbedingt mal die riesigen LPGs sehen und hat dann auch ziemlich gestaunt über Ländereien, die dreißigmal so groß sind wie der eigene Hof von 25 Hektar. Heute reden sie im Osten zu Recht von der feindlichen Übernahme der DDR, Westhyänen sind wie Agrarimperialisten über den Osten hergefallen. Meinen Pa haben diese gewaltigen Monokulturen damals ziemlich beeindruckt, aber auch bestätigt in seinem Urteil, dass die moderne Landwirtschaft, die ja im Osten wie im Westen praktiziert wurde, unsere biologischen Ressourcen vernichtet.„Anton Hofreiter als Landwirtschaftsminister wäre eine bessere Wahl gewesen als Cem Özdemir“Ich kennen in Brandenburg einen Landwirt, der ist ein Linker, aber wegen des Land Grabbings und der Landwirtschaftspolitik so sauer, dass er schon überlegt hat, auf die AfD zu setzen.Und in Holland hat Geert Wilders die Wahl auch damit gewonnen, dass er sagte, die Regierung töte mit ihrem Green Deal die Bauern, weil für die Reduktion der Emissionen 30 Prozent der Agrarbetriebe aufgeben müssten. Auf EU-Ebene hat die EVP unter Führung des CSU-Mannes Manfred Weber gerade die Zulassung von Glyphosat für weitere zehn Jahre durchgedrückt und die Pestizidverordnung abgeschmettert, was den Green Deal der EU unterläuft.In Deutschland ist ein Grüner Landwirtschaftsminister, Cem Özdemir, wie finden Sie ihn?Na ja, er versucht das Beste draus zu machen, aber zum Beispiel bei der Glyphosatentscheidung hat Deutschland sich enthalten. Von echten Bauern höre ich auch immer wieder, da ist einer Minister, der keine Ahnung von Landwirtschaft hat. Da hätten die Grünen geeignetere Kandidaten gehabt.Wen denn?Anton Hofreiter zum Beispiel, der ist promovierter Biologe, versteht also die Grundzusammenhänge.Ihr Freund Hias Kreuzeder, ein Bio-Bauer aus Oberbayern, hat es ja in den 1980ern auch mit den Grünen versucht ...Er war ihr erster echter Bauer in Bonn, er hatte schon früh für eine agrarökologische Wende gekämpft, wenn es sein musste, auch mit den Fäusten im Wirtshaus. Aber nach einer Legislaturperiode ist er bei den Grünen wieder ausgetreten, weil die, wie er sagte, alle keine Ahnung von Landwirtschaft hatten.Wie geht es seinem Bio-Hof?Gut, er und andere bauen alte Sorten wie Laufener Landweizen an, das Mehl daraus haben schon Starköche wie Vincent Klink und Sarah Wiener gelobt. Junge Müller und Bäcker fühlen sich zu Neugründungen ermutigt, es wächst da in Südostbayern eine neue Bauern- und Handwerkerbewegung heran.Meine Oma ist ja auch noch auf einem Bauernhof in Bayern groß geworden, die sagt heute: Es kommen wieder andere Zeiten, dieser Überfluss wird enden, erst dann ändert sich was.Da hat sie vermutlich recht. Die Krisen müssen sich wesentlich verschärfen, um Handlungsdruck zu erzeugen. Aber dann könnte es zu spät sein. In Regionen wie dem Sahel ist es infolge des Klimawandels schon heute schwierig, Landwirtschaft zu betreiben. Weltweit hungern 800 Millionen Menschen, gleichzeitig leiden 1,9 Milliarden an Übergewicht und Fettleibigkeit. Die Agrar- und Ernährungswende wird eine viel größere Herausforderung als die Energiewende.Placeholder infobox-1
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