Kalte Krieger und Russland-Versteher

Brüssel EU-Lobbyisten, die sich unter anderem um die Interessen russischer Unternehmen in Eruopa kümmern, bleiben im Ukraine-Konflikt neutral
Ausgabe 27/2014
Kalte Krieger und Russland-Versteher

Foto: Alexander Nemenov

Ich kenne einen der bestvernetzten Lobbyisten Europas, sein Kunde ist ein führender russischer Konzern. Über Monate habe ich ihn angefleht, mich in Brüssel zu empfangen. In Zeiten wie diesen brauche ich jemanden zum Reden. Ich liebe nämlich das Russische.

Ich kann mir nicht helfen. Da ist die gutturale Brutalität und die streichelnde Zärtlichkeit der Sprache; die Erhabenheit der kyrillischen Schrift; eine tiefe, großzügige Philosophie gerade bei einfachen Menschen; da ist eine höhere Sexualität des Alltags. Ich brauche nur den Anklang eines russischen Chansons, das gerillte Metall eines postsowjetischen Schlafwagens oder – reden wir nicht drumherum! – einen Augenaufschlag slawischer Weiblichkeit zu erhaschen, und schon genieße ich eine stärkere Dosis Leben.

Russkij mir, die „russische Welt“, ist weit größer als die Russische Föderation. Da mich an Russland selbst immer der Kult der Staatsgewalt abstieß, fuhr ich lieber in freiere, vielschichtigere, doch kulturell irgendwie russische Länder – nach Moldawien etwa oder in die Ukraine. Diese Welt zerbricht gerade vor unseren Augen.

Seit ich die Brüsseler Europablase kenne, faszinieren mich Lobbyisten, die für Großkunden verschiedener Art charmieren. Das sind Hexenmeister der menschlichen Kommunikation, aber nur dieser eine rührte mich einmal fast zu Tränen. Ich führte mit ihm vor Jahren ein hartes Interview. Am Ende beschrieb er die Furcht des Westlers vor dem Russen, „der mit eingefrorenen Gesichtszügen dasitzt und auf den Tisch klopft mit dem Schuh“. Er stellte dem seine Erfahrung gegenüber, dass die „russische Seele sehr stark auf persönliches Vertrauen aufbaut“, verglich russische Freundschaft mit der Entmenschlichung im angelsächsischen Raum und fügte hinzu: „Ich bin mir sicher, dass viele Leute, die ich in Moskau kennengelernt habe, nie mehr aus meinem Leben verschwinden werden.“ Ich musste schlucken.

Nun erwarte ich ihn in Brüssel, in einem typischen Euro-Café mit plastikverpackten Salaten und Steaks. Man würde nicht vermuten, dass der Eintretende mit der übermüdet konzentrierten Augenpartie die Eliten Russlands und der Europäischen Union im Adressbuch hat. Ich falle mit der Tür ins Haus: „Seit Russland die Separatisten in der Süd- und Ostukraine unterstützt, ist es mit meinem Verständnis vorbei. Und Sie, vertrauen Sie Ihren russischen Kunden noch?“ Er zögert nicht: „Mein Vertrauen ist intakt.“

Der Lobbyist ist ein Landsmann, hat den gleichen Zungenschlag wie ich, vielleicht bringe ich ihm deswegen ein instinktiveres Vertrauen entgegen. Österreich ist neutral, was eine Tugend darstellen könnte in Zeiten, in denen Europa gespalten ist in Kalte Krieger und Russland-Versteher. „Es ist schwierig, aus meinem warmen Sessel zu urteilen“, sagt er, „ich versuche, mich zu bilden.“ Er spricht von „Propaganda auf beiden Seiten“. Nach 17 Jahren in Brüssel, zum Teil in Spitzenpositionen in der EU-Kommission, „kann mir niemand erzählen, wie Propaganda funktioniert“.

Im Gegensatz zu mir verfolgt er nicht das russische Fernsehen, seine Neutralität ist vollkommen. Ich behaupte: „Das Grundproblem der Russen ist unheilbar. Sie haben den Kalten Krieg verloren, ohne einen Schuss abzufeuern. Seitdem arbeiten sie sich an Amerika ab.“ Er entgegnet: „Das Grundproblem war der Umgang mit Russland. Das Nichtverstehen der russischen Phobien hat uns zum Teil dorthin gebracht, wo wir jetzt sind.“

Es gibt nichts, worin ich ihm nicht recht gebe: „Die EU ist nicht sehenden Auges in diesen Konflikt gegangen“, sagt er, „die Ukraine-Krise ist eine Metapher dafür, dass Bürokraten ohne politisches Gespür das Ruder übernehmen. Nun verlieren sowohl Russland als auch die EU.“ Nur zu meiner Bewertung, dass Russland im Osten der Ukraine offenbar den Weg des größtmöglichen Blutvergießens geht, bleibt er zurückhaltend. Ich danke für ein gelungenes Gespräch. Die Einsamkeit, in die mich die Liebe zum Russischen stürzt, bleibt.

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